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Ausgabe:

1913 Nr. 8

Spalte:

245-246

Autor/Hrsg.:

Kirchenheim, A. v.

Titel/Untertitel:

Emil Herrmann u. die preußische Kirchenverfassung 1913

Rezensent:

Eger, Karl

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 8.

246

thodiftifchen Profelyten und Profelytenmachern in Deutfch-
land finden kann, ,dem Methodismus' zuzufchreiben. Der
theologifch-gebildete Methodismus, von dem Workman
fagen kann, daß er fich bemühe ,to express itself in more
modern language and from the ftandpoint of a wider
and more liberal interpretation of the Scriptures' (S. 118),
fteht in feinem Verftändnis des Chriftentums m. E. höher
als viele fog. ,kirchliche' Theologen auch bei uns, die auf
diefe ,Sekte' herabfehen.

Halle a. S. Loofs.

Kirchenheim, Prof. A. v.: Emil Herrmann u. die preußifche
Kirchenverfaffung. Nach Briefen u. andern meift ungedr.
Quellen. (150 S.) gr, 8°. Berlin, M. Warneck 1912. M. 3.20

Die Schrift ift nach brieflichen und anderen meift ungedruckten
Quellen gearbeitet und mit hoher Begeifte-
rung für Herrmanns Perfon und für das von ihm in der
preußifchen Kirchenverfaffung geleiftete Werk gefchrieben.
Wenn es wahr ift, daß nur der einen Menfchen richtig
verlieht, dem diefer Menfch es angetan hat, dann ift K's
Schrift in hervorragendem Maße dazu geignet, uns in ein
wahres Verftändnis des edlen Mannes, dem die preußifche
Landeskirche ihre verfaffungsmäßige Ordnung verdankt
, einzuführen, und keiner wird fie ohne innere Bewegung
und gemütliche Förderung, die qualitativ mehr
ift als die in dem Buch gebotene erweiterte Kenntnis des !
Mannes, aus der Hand legen. Ein näheres Eingehen auf j
Einzelheiten der Schilderung von H.'s Perfönlichkeit verbietet
fich an diefer Stelle; ich fetze nur einiges aus den
von H. für feine Gefchäftsführung als Präfident des Oberkirchenrats
privatim aufgezeichneten Verwaltungsgrund-
fätzen hierher: .Den Parteien gegenüber ift mein Grund-
fatz, über ihnen zu liehen, meine Direktiven nicht aus
ihren Programmen, fondern aus der Erkenntnis der die
Entwicklung der evangelifchen Kirche beherrfchenden
Lebensmächte zu nehmen. Nur fo kann ein geiftiges
Ubergewicht des Kirchenregiments entliehen und allmählich
auch dem Parteiwefen der Stachel der Gehäffig-
keit mit feinem Gefolge an Verleumdung, Intrigue ufw.
ausgebrochen werden, indem es die fortfchreitende Erfahrung
feiner Ohnmacht und Einflußlofigkeit macht . . .
Weiter muß den einzelnen Perfonen gegenüber davon
ausgegangen werden, daß fie, wenn auch Genoffen
einer Partei, doch in der Regel auch noch ein Mehreres
find, was nicht in dem Programm aufgeht, fie find daher
als einzelne auf ihre Individualität anzufehen und ohne
Abneigung und Vorliebe nach ihrer befonderen Gabe
und Leiftungslähigkeit zu verwenden. Dies Verfahren
wird von den Parteiorganen zwar der Kirchenregierung
als Schwanken und Prinziplofigkeit ausgelegt werden, allein
allmählich doch als Gerechtigkeit und Konfequenz eines
höheren Prinzips erkannt werden.. . Meinem Kollegium
gegenüber ift die Hauptaufgabe, in ihm den Geilt einer
felbftändigeren und kräftigeren Initiative zu pflegen . . .
und die wichtige Uberzeugung in _ ihm herbeizuführen,
daß der der Spitze der Kirchenleitung vorgezeichnete
Weg nicht zwifchen den Parteien hindurch, noch weniger
in der Linie einer derfelben, fondern über fie hinwegführt..
Nach oben und unten muß man wiffen, weffen man fich
zu dem Oberkirchenrat zu verfehen hat, fchwächliche
Mittelwege und Durchfchlängelungen zwifchen entgegengefetzten
Forderungen dürfen nicht vorkommen. Am
meitlen der Energie wird es .. . den Parteiverfammlungen
der Geiftlichen gegenüber bedürfen, die die Entleerung
und Schwächung der Union, fowie eine Einfchüchterung
der Kirchenbehörden, eine Art Nebenregierung erftreben'.
Die Sätze dürften genügen, einem diefen tapferen, geraden,
charaktervollen Mann und tiefgründigen Kenner der Be-
dürfniffe und Nöte der Landeskirche lieb zu machen
und den Wunfeh zu wecken, ihn genauer kennen zu lernen,
zumal er für feine Grundfätze mit feiner Perfon und fchließ-
hch mit dem Opfer feiner Stellung eingetreten ift. — Daß

K. bei Schilderung der Kämpfe Herrmanns durchaus auf
der Seite feines Helden Stellung nimmt und bei der
Gegenfeite nicht nur fachlich, fondern auch moralifch die
tiefften Schatten findet, ift verftändlich; der Hiftoriker
wird hier mehr abwägen dürfen, als der begeifterte Biograph
es getan hat. Ebenfo wird er feinen Vorbehalt machen
dürfen und müffen, wenn K. in Herrmanns Schöpfung,
der preußifchen Kirchenverfaffung, die reine Durchführung
reformatorifcher Ideale erblicken zu follen glaubt. Das
tut aber alles dem Wert des liebenswürdigen Buches
keinen Eintrag, das hervorragend geeignet ift, uns Emil
Herrmann, den tief innerlich frommen Mann, der an feiner
evangelifchen Kirche mit ganzer Seele gehangen und für
fie mit feiner ganzen Kraft gearbeitet hat, von Herzen
lieb zu machen. Möchte das Buch feinen Zweck bei vielen
Lefern erreichea

Friedberg i. H. K. Eger.

Fries, Jakob Friedrich: Julius und Evagoras. Ein philo-

soph. Roman. Neu hrsg. u. m. Einleitg. verfehen v.

Wilhelm Bouffet. (XXXVIII, 487 S.) 8°. Göttingen,

Vandenhoeck & Ruprecht 1910.

M. 4 —; geb. M. 4.60; in Leder M. 7.50
Schmid, weil. Prof. Heinrich: Vorlefungen über das Wefen

der Philolophie u. ihre Bedeutung f. Wiffenfchaft u.

Leben. Für denkende Lefer. Neu hrsg. v. R. Otto.

(Bibliothek der Gefamtlit. des In- u. Auslandes Nr. 2225

bis 2230.) (VIII, 289 S.) kl. 8°. Halle, O. Hendel (1911).

M. 1.50; geb. M. 1.95

Die Philofophie der neueften Zeit ift in mehreren
ihrer hervorragendften Erfcheinungen durch die Rückkehr
zu früheren Syftemen gekennzeichnet. Kant, Fichte, Hegel
wurden nacheinander beftimmend für gewiffe Hauptrichtungen
derfelben. Daß unter diefen auch einer der bedeu-
tendften Schüler Kants, Jakob Friedrich Fries, an die Reihe
kam, lag nicht bloß in der Renaiffancerichtung der Gegen-
wartsphilofophie überhaupt, fondern zugleich in den befonderen
Bedingungen der bevorzugten Problemftellungen Die
mächtig fich entwickelnde Pfychologie drängte zu einer
Auseinanderfetzung mit der Philofophie, und das Schlagwort
,Pfychologismus' wurde der Ausgangspunkt einer
großen Zahl erkenntnistheoretifcher Unterfuchungen. Es
lag nahe, das Problem ,Pfychologie und Erkenntnistheorie'
einmal an feinem hiftorifchen Ort aufzufuchen, bei Fries,
bei welchem Kants Kritik der reinen Vernunft ,anthropo-
logifch gewendet' erfchien. Aus diefem Motiv ging zunächft
des Referenten Abhandlung über ,das Kant-Friefifche
Problem' (Heidelberg 1902), fowie deffen Werk ,Fries und
Kant' (2 Bände, Gießen 1906) hervor. 1904 begann die
,neue Fries'fche Schule' mit der Veröffentlichung ihrer
Abhandlungen und 1909 erfchien als Hauptwerk diefer
Schule Leonard Nelfons Buch über ,das fogenannte Erkenntnisproblem
'. Aber auch außerhalb der eigentlichen
Fachwiffenfchaft erwachte das Intereffe für Fries, wofür
das Buch von R. Otto, die Kantifch-Friesfche Religions-
philofophie (Tübingen 1909), eine Erneuerung der einft
fchon von de Wette eingeleiteten Anwendung der Fries-
fchen Philofophie auf die Theologie,ein hervorragendes
Zeugnis ift. Zu dem Kreife dieferVeröffentlichungen gehören
auch die beiden vorliegenden Schriften.

Der Ausgabe des von Fries im Laufe des Jahres
1813 verfaßten philofophifchen Romans Julius und Evagoras
' fandet W. Bouffet eine wertvolle Einleitung voraus,
in welcher er die Lefer über Fries' Leben und Weltan-
fchauung, fowie über den Inhalt des Romans orientiert.
Es ift kein Roman im gewöhnlichen Sinne des Wortes,
die Erzählung desfelben ift nur ,Rankenwerk für die philofophifchen
Gefpräche'. Aber der Inhalt des Buches ift
doch trotz der wenig künftlerifchen Form, trotz der Über-
fchätzung der Antike und ihres Kulturwertes, trotz einer