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Ausgabe:

1913 Nr. 8

Spalte:

242-244

Titel/Untertitel:

Corpus Scriptorum Christianorum Orientalium. Scriptores aethiopici. Series II. Tomus XXV 1913

Rezensent:

Duensing, Hugo

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 8.

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hindurch ift fie zur Aufklärung geworden und mit dem
großen organifatorifchen Befreiungsftreben gegenüber
Abfolutismus und Kirche verbunden worden. Erft wenn
man diefes Fortleben und diefe Fortbildung der Renaiffance
erwägt, kommt man zur Frage nach ihrem wahren Verhältnis
zu den ethifch-religiöfen Problemen der Gegenwart.
Ihr unter uns heute fo oit zum Kulturprinzip verlelbftän-
digter, moralfreier Selbftgenuß ift dagegen ein praktifches
Lebensproblem nur für äfthetifierende Literatur und für
die aus Nietzfche ihre Ideen beziehenden Feuilletoniften.

Selbftverftändlich liegen für Wernle die eigentlichften
Schranken der Renaiffance eben gerade in diefer moralfreien
Selbftfucht, in der äfthetifierenden Oberflächlichkeit
ihrer religiöfen Ideen und in dem mangelnden Wahrheits-
ernft. Seine Charakteristik ist ein bischen derb: „eine
zauberhafte intellektuelle und ästhetische Bildung, eine
grenzenlose sinnliche Roheit und Gemeinheit und die Kriecherei
vor dem Dogma und der kirchlichen Zeremonie".
Von diefer Seite kontraftiert er dann die Reformation mit
ihr, die er mit vollem Recht nicht als die religiöfe Parallele
und Ergänzung der Renaiffance, fondern als völlig gegen
fie felbftändige religiöfe Bewegung auffaßt. Gemeinfam
ift beiden nur die Atmofphäre der Neu- und Umbildung
des europäifchen Lebens. Es ift der alte Gegenfatz einer
populär-religiöfen Bewegung gegen eine intellektuell-äfthe-
tifche. Nur die erftere hat Kraft und Ernft, neue Verhält-
niffe zu fchaffen und das alte Syftem zu durchbrechen,
wozu in diefem Falle freilich hinzukommt, daß die Reformation
als Umbildung der Kirche und Unterftützung des
fürstlichen Staates mit den großen organifierenden Sozialformen
der Zeit im Bunde war, während die Renaiffance
in diefer Hinficht überhaupt keine organifierende und populäre
Kraft befaß. Das erlangte erft die Aufklärung, und
da ftand dann das Kräfteverhältnis fofort anders.

Es ilt hier nicht möglich, auch W.'s Auffaffung von
der Reformation zu fchildern. Indem er ihre Selbftändig-
keit gegenüber der Renaiffance und ihren fpezififchen
Zufammenhang mit der innerkirchlichen Entwickelung
betont, hütet er fich vor den bislang fo häufigen Moderni-
fierungen und betont er die Kontinuität mit dem Mittelalter
. Aber gleichzeitig will er doch das prinzipiell Neue
und auch in der modernen Welt fich behauptende Moment
hervorheben. Wunderfchön ift das diefe Dinge darfteilende
4. Kapitel in feiner Einfachheit und Energie.
Daran reiht fich dann zum Schluß eine Darfteilung der
mit der Kirchenreform einfetzenden Neubildung der fpezi-
fifch proteftantifchen Kultur. Indem fie den katholifch-
mittelalterlichen Gedanken der Zufammengehörigkeit von
Religion und Kultur fortfetzt und nur umbildet, fteht fie
nach W. dem Mittelalter fehr nahe, ift aber doch jedenfalls
eine fiegreiche Durchbrechung der katholifchen
Kultur. Sie erreicht, was weder die Sekte noch die Renaiffance
konnten. Hier wäre nur freilich zu betonen, daß die
fo angeeignete Kultur im Proteftantismus fo gut wie im
Katholizismus eben großenteils die Renaiffancekultur ift und
daß fich die verfchiedenen proteftantifchen Länder gerade
durch das Maß diefer Aneignung unterfcheiden, daß die
anglikanifche Gefellfchaft darin am weiteften geht. Eine
weitere Frage wäre die nach den Gründen diefes verfchiedenen
Maßes der Aneignung und die nach den Er-
gebniffen der damit gefetzten inneren Spannungen. So
würde man in England und den Niederlanden die relativ
konfervative proteftantifche Aufklärung verftehen, die
eben deshalb erft von hier aus nach Deutfchland übergriff
Ebenfo würde man von hier aus den fo viel heftigeren
und radikaleren Zufammenftoß der analogen vereinigten
Elemente in der franzöfifchen Aufklärung begreifen
. Die Renaiffance innerhalb des Proteftantismus, I
das wäre das wichtigfte Thema, das fich aus den von
W. angegriffenen Aufgaben weiterhin ergäbe. Doch fehlen
hierzu noch die Vorarbeiten oder müßten doch wenigftens
erft gebammelt und ausgemuftert werden. Statt deffen
ftellt W. die Frage, weshalb es in der altproteftantifchen

Kultur ,zu einer Weltumgeftaltung im Sinne des reforma-
torifchen Chriftentums — auch fogar in Genf — nicht
gekommen ift'. Hier fucht er freilich m. E. die Gründe
nicht tief genug, wenn er darin nur die Nachwirkung des
mittelalterlich-konfervativen Hinnehmens der natürlichen
Ordnung fieht (S. 167). Die Schaffung einer rein chrift-
lichen .Kultur' war und ist wohl überhaupt unmöglich. Mit
folchen Forderungen käme man auf den Weg der Täufer.

Auf den prächtigen Schlußabfatz S. iogT. fei noch
befonders hingewiefen. Das ift auch mein Credo in diefen
Dingen. Im übrigen wuß ich mich auf meine Studie .Renaiffance
und Reformation' in der Hist. Zeitschrift 1913
beziehen.

Heidelberg. Troeltfch.

Corpus scriptorum christianorum orientalium. Scriptores
aethiopici. Series II. Tom. XXV. Vitae sanctorum
indigenarum. I. Acta S. Walatta Petros. — II. Mira-
cula S. Zara-Buruk. (IX, 248 S.) gr. 8°. Leipzig,
O. Harraffowitz 1912. M. 12.80

I. Die jefuitifche Miffion, welche im erften Drittel
des fiebzehnten Jahrhunderts mit großem Nachdruck in
Abeffinien getrieben wurde, hat durch die Gewaltmaßregeln
, welche fie im Gefolge hatte, Märtyrer des alexan-
drinifchen Bekenntniffes gefchaffen. Es gab nicht wenige,
welche den vom Kaifer gebotenen Religionswechfel ver-
fchmähten, mutig für ihren angeftammten Glauben eintraten
und dafür Verbannung und manches andere auf
fich nahmen. Die hervorftechendfte Märtyrerin der alexan-
drinifchen Rechtgläubigkeit ift die vornehmem Gefchlechte
entfproffene Walatta Petros, deren Bild fich dem abef-
finifchen Volke feft eingeprägt hat. Von ihr ift eine
umfangreiche Lebensbefchreibung vorhanden, die einzige,
welche fich aus der Epoche der Franken, fo viel wir
wiffen, erhalten hat. Eine der königlichen Bibliothek zu
Dresden gehörende Handfchrift diefer Vita hat im Jahre
1876 Schodde in der ZDMG Bd. XXX S. 297-301 be-
fchrieben. Eine zweite im Britifchen Mufeum liegende
Handfchrift hat Turajew in feinen zu Petersburg 1902
erfchienenen Unterfuchungen auf deni Gebiete der hagio-
logifchen Quellen zur Gefchichte Äthiopiens auf S. 239
—281 ausgezogen und verwertet. Der dort S. 240—269
gegebene Auszug enthält alle wefentlichen Beftandteile
diefer Vita. Der äthiopifche Text der dritten bisher bekannten
Handfchrift, nämlich der d'Abbadie'fchen Hf.
Nr. 88, bildet den erften Teil des vorliegenden Bandes. Und
zwar er allein. Die Londoner Handfchrift hat der Herausgeber
Conti Roffini nicht verwertet, weil er nach Kollation
einiger Blätter derfelben zu dem Urteil gekommen war,
daß fie von der d'Abbadie'fchen nicht abweiche. Die
Dresdener Handfchrift erwähnt er überhaupt nicht. Daß
dadurch der Wert feiner Publikation herabgedrückt wird,
läßt fich fchon an dem Auszuge, den Turajew aus der
Londoner Handfchrift gemacht hat, zeigen. Diefe Handfchrift
hat mehrfach richtigere Lesarten.

So hat fie für Abba Johannes S. 63 Z. 32 Abba Zar'a-Johannes,
und dies wird das Richtige fein, da fich wohl der Ausfall, nicht aber
der Zufatz von Zar'a erklären läßt. Aus dem gleichen Grunde wird ftatt
'aqäbjäna negüs S. 29 Z. 20 vielmehr 'äqäbjäna nabib za-ufigus zu lefen
fein. S. 108 Z. 27 find hinter Kella die Worte Märjäm wala'abbä"
zu ftreichen. Andere Abweichungen find wenigftens in Erwägung zu
ziehen, fo z. B. wenn ftatt Angara S. 100 Z. 19 in der Londoner Hf. auf
f. 94 die wohlbekannte Infel Närgä fteht. Dazu kommt, daß in dem
Mf. des Herausgebers manches fehlerhaft und unverftändlich ift, was
vielleicht durch die anderen Handfchriften eine Verbefferung oder Aufhellung
hätte erfahren können. Übrigens kommen in diefem Texte
mehrere neue Wörter vor. So ift mir die Krankheit mäque S. 50 Z. 31
unbekannt. Das S. 120 Z. 14, 21 u. 23 vorkommende "J'CjrirJ wird die
Bambusftange fein, mit der noch heute die Eingeborenen ihre I'apyrus-
floße auf dem Tzanafee fortbewegen. Segel und Ruder find dort noch
unbekannt. Das Wort wird mit dem amharifchen tarakaz Hacken, Ab-
fatz zufnmmenhängen, weil es fich dabei um ein Abflößen vom Untergrund
wie beim Gehen mit dem Abfatz handelt.

II. ,Peut-etre la derniere que la voix du peuple ait