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Ausgabe:

1913

Spalte:

228-229

Autor/Hrsg.:

Döller, Johannes

Titel/Untertitel:

Das Buch Jona nach dem Urtext übersetzt und erklärt 1913

Rezensent:

Löhr, Max

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Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 8.

geblieben. Das wäre umfomehr zu bedauern gewefen,
als bis jetzt nur fo äußerft wenig gefchehen ift, uns die
reiche Erzählungsliteratur der Chinefen zu erichließen.
Müffen wir uns doch auch vom Herausgeber wieder
fagen laffen (S. XIII, Fußnote), daß aus der ganzen langen
Reihe von hiftorifchen Romanen Chinas bisher nur ein
einziger, das San-kuo-chih-yen-i, und auch diefes nur bis
Kap. 44, in eine europäifche Sprache überfetzt worden fei.

Dr. Müller hat dabei die von Th. Pavie 1845—51 in Paris veröffentlichten
zwei Bände ,San-koue-tchy. Histoires des Trois Royaumes'
im Auge. Daß von eben diefem Werke, dem bei weitem populärften
aller chinefifchen Romane, feit 1904 auch eine gekürzte deutfche Über-
fetzung von Dr. R. Wilhelm, veröffentlicht in W. Roehrs ,Die Welt des
Oftens' und im Jahrg. 1906 der ZMR, vorliegt, ift ihm offenbar nicht
bekannt und fei eben deshalb hier von mir vermerkt.

Behandelt diefer Roman mit feiner Schilderung der
Kämpfe, die fchließlich zum Sturze der fchwach gewordenen
Han-Dynaftie (206 v. — 220 n. Chr.) führten,
einen der intereffanteften Abfchnitte der chinefifchen Ge-
fchichte, fo gilt dies in noch viel höherem Maße von
dem vorliegenden Werke, das fich um die in noch erft
halbhiftorifcher Zeit von 1148—1122 v. Chr. fich hinziehenden
Kämpfe dreht, deren Endergebnis der Untergang
des letzten Kaifers der Shang- (oder Yin-)Dynaftie,
des berüchtigten Wüterichs und Genußmenfchen Chou-
wang, und die Aufrichtung der neuen Dynaftie Chou
(1122—249 v. Chr.) war. Denn die neue Dynaftie ift diejenige
, in der der Konfuzianismus feine Wurzeln hat, zu
deren uns hier entgegentretenden Begründern Wen-wang
und Wu-wang Konfuzius als zu feinen Herrfcheridealen
auffchaute und die zufammen mit des letzteren Bruder,
dem Fürften von Chou, in feiner Verehrung fich den
alten kulturfchöpferifchen Mufterkaifern Yao, Shun, Yü
und T'ang anreihten. Für den Erforfcher des chinefifchen
Religionswefens noch wichtiger als diefe epifche
Beleibung und Belebung der fonft nur als Schemen vor
unferem inneren Auge fliehenden großen Vorbilder Kungs
ift die Fülle der den Erzählungen diefes hiftorifchen
Romans zu entnehmenden Belehrung über die moderne
Volksreligion Chinas. Er kann hier recht eigentlich im
Überfluß wühlen und befonders über den Vulgärtaois-
mus Auffchlüffe gewinnen, wie fie in folcher Maffe fonft i
kaum wo zu finden find. Mit Befriedigung wird man ;
aber auch gewahr, wie in all dem Dickicht kraufen 1
Zauberglaubens und trotz der atembenehmenden dumpfen 1
Atmofphäre wirren Geifter- und Dämonenfpuks doch die
erhabenen religiöfen Vorftellungen und die lautere Moral j
des alten kanonifchen und klaffifchen Schrifttums nicht
erftickt worden ift. Nicht weiter wundernehmen wird
bei Literatur von der Gattung diefes Romans die ana-
chroniftifche Einmifchung buddhiftifchen Gedankenguts.

Der Buchtitel ift fchon im Chinefifchen inadäquat.
Daß in ihm fchon die eigentliche Idee des ganzen Werkes
ihren Ausdruck finde, wie der Herausgeber (S. XX) meint,
kann ich nicht zugeben. Ganz und gar nicht verftänd-
lich aber ift mir die von Grube gewählte Wiedergabe
diefes Titels mit ,Die Metamorphofen der Götter'. Von
Verwandlungen und Umzauberungen der zuhauf auftretenden
Geifter und taoiftifchen Genien (Sien) in alle
nur möglichen Geftalten ift ja in den hundert Kapiteln
ein arg vieles die Rede. Aber Feng-shen-yen-i be-
fagt doch nicht foviel wie Erzählungen von Göttermeta-
morphofen, fondern bedeutet Erzählungen von Apo-
theofen oder, unmißverftändlicher, Deifikationen und bezieht
fich auf den Schluß des Romans (Kap. 99), wo die
Hauptkämpen der beiden ftreitenden Parteien von dem
neuen Herrfcher mit der Götterwürde belehnt werden.
Über den in China uralten in etwas an die Kanonifations-

•) Anmerkungsweife wenigftens möchte ich darauf hinweifen, daß
fich eine Spur diefes Brauchs auch in den älteften japanifchen Annalen
fchon bei dem Jahre 644 n. Chr. findet. Siehe Nihongi überf. von
Florenz) S. 90f., wo ein Infekt zur Deifikation empfohlen wird. Von
einer Rangerhöhung eines Gottes ift in der japanifchen Gefchichte zum
erftenmal unter dem Jahre 672 die Rede (Nihongi S. 245).

und Beatifikationspraxis der katholifchen Kirche erinnernden
Brauch, der mit dem technifchen Ausdruck Feng-
shen, ,Götterernennung', bezeichnet wird, hat Herbert
Müller in einem Beitrag ,Über das taoiftifche Pantheon
der Chinefen' in der Ztfchr. f. Ethnol. (igi i, S. 421 ff.)
fich ausgelaffen. So war es wohl nur Schülerpietät, die
es dem Herausgeber wehrte, korrigierend an die Titel-
überfetzung des Lehrers zu rühren.

Nur wer die zwei gewichtigen Halbbände 1 wirklich
durcharbeitet — das bloße Lefen vieler für unferen Ge-
fchmack entfetzlich öden Partien voller Wiederholungen
fchon koftet einen Überwindung — wird eine rechte Vor-
ftellung von der Arbeitsleiftung haben können, die Dr.
Müller auf fich nahm, indem er das Nachlaßmanufkript,
in dem da und dort auch noch Lücken durch Nachüber-
fetzung auszufüllen waren, durch die Preffe gebracht.
Daß er fich der weiteren Mühe unterzog, auf Grund
eigener kurforifcher Lektüre des chinefifchen Originals
feinerfeits eine fehr genaue Inhaltsangabe der fehlenden
zweiten Hälfte desfelben zu liefern (S. 587—630), um fo
einen Überblick über die ganze Handlung zu geben, ift
ein zweites Verdienft. Ein drittes die Einleitung (S. XIII
—XXIV), in der M. über die Stellung des Feng-shen-yen-i
in der chinefifchen Literatur orientiert, die ihm bekannten
Ausgaben des Werks (die Vorrede der älteften derfelben
ift 1695 n. Chr. verfaßt) angibt, fich über die Technik des
Romans ausläßt, die hiftorifche Grundlage des Feng-shen-
yen-i aufzeigt und auf die darin enthaltenen religions-
wiffenfchaftlichen Materialien hinweift. Den Text hat er
ohne erklärende Fußnoten gelaffen, dies wohl in der
richtigen Annahme, daß nach dem Werke doch nur
folche greifen werden, die mit den chinefifchen Altertümern
hinreichend vertraut find, um ihrer entraten zu
können. Auch diefe aber werden fchmerzlich das Sach-
regifter vermiffen: der beigegebene Index enthält faft nur
die Namen der handelnden Perfonen.

Coburg. Hans Haas.

Döller, Prof. Dr. Johannes: Das Buch Jona nach dem Urtext
überfetzt u. erklärt. (III, 112 S.) Lex 8°. Wien,
C. Fromme 1912. M. 5.50

Döllers fehr faubere Arbeit über das Buch Jonas will
ein Studentenbuch fein. Daraus erklärt fich u. a. fowohl
feine Ausführlichkeit im Zitieren der Arbeiten anderer,
wie überhaupt die umfängliche Heranziehung der bisherigen
Literatur über das Jonasbuch. Aus diefem Be-
ftreben, dem Theologieftudierenden ein nie verfagendes
Nachfchlagebuch zu bieten, refultiert aber auch noch eine
andere Seite diefer D.fchen Arbeit: fie ift vorwiegend
Referat; nicht als ob der Verf. nicht einen eigenen Standpunkt
hätte und diefen auch durchblicken ließe, aber diefer
wird doch mehr angedeutet, als ausgeführt. So heißt es
z. B. über das eine Problem des Jonasbuches: Gefchichte
oder Fiktion (S. 30), nach einer im Anfchluß an N. Peters
gegebenen Bemerkung, daß die Annahme einer Fiktion
katholifcherfeits nicht ausgefchloffen fei, nur eben: ,mir
erfcheinen doch die geltend gemachten Schwierigkeiten
nicht fo gewichtig, um die traditionelle Anfchauung von
dem ftreng gefchichtlichen Charakter der Erzählung aufzugeben
'. Auch die Behandlung des anderen Problems
von der Tendenz des Buches (S. 31 ff.) ift faft aus-
fchließlich referierend. Verf. nimmt nur neben dem uni-
verfaliftifchen Hauptzweck noch den einen oder anderen
Nebenzweck an. Allein D.'s Buch, das in vorzüglicher
Ausftattung dargeboten ift, wird feiner Abficht, ein Kompendium
oder Nachfchlagewerk zu fein, jedenfalls aufs befte
dienen. Zur Literatur möchte ich den fleißigen Verf. noch

!) Die jedem der beiden Halbbände aufgedruckte Bezeichnung

Band I, die das Erfcheinen eines zweiten Bandes erwarten laffen muß,

ift offeubar ein bloßes Verfehen. Das Werk ift, fo wie es vorliegt,
komplett.