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Ausgabe:

1913 Nr. 6

Spalte:

182-183

Autor/Hrsg.:

Fulliquet, Georges

Titel/Untertitel:

Précis de Dogmatique 1913

Rezensent:

Lobstein, Paul

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181 Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 6. 182

Urfache haben mag in der urfprünglichen Anlage des I das .ewige Sein' wird abgelehnt; wenn auch deffen Faffung
Menfchen und der Welt, für den tätigen Willen liegt die als .Wollen' und fonft Andeutungen vermuten Iahen, daß
Schuld bei ihm felbft. Die notwendige Diskrepanz zwifchen dies .ewige Sein' in einer weiteren Ausführung greifreinem
Wollen und tatfächlichem Handeln führt alfo un- barer geiftige Züge gewinnen würde. Für eine trans-

entrinnbar zum Schuldbewußtfein. — Auf dem Gebiet
des Erkennens und künftlerifchen Geftaltens fehlt dies
letzte Moment. Aber auch hier haben wir jene .Kluft':
anftatt reinen Erkennens nur die nie abgefchloffene Erkenntnis
der Erfcheinungswelt; zugleich anftatt fouveräner
Freiheit des erkennenden Geiftes feine Hineinziehung in
diefe endlichen Verknüpfungen, auch in der Form der
Erkenntnis der eigenen Endlichkeit und Vergänglichkeit.
Und auch für den Künftler ift .was er fchafft, nicht das,
was er fchaut' (70); darum: .das Künftlerdafein ift ein Da-
fein gebrochenen Wollens' (71).

Diefen in feinem Wefen gegebenen Zwiefpalt würde
der Menfch einfach .als gegeben hinnehmen' (74), wenn
er fich nicht im Gefühl felber zum Bewußtfein käme. So
aber .erlebt er im Gefühl der Unruhe und Unficherheit'
.die Unmöglichkeit des Lebens in der Welt' (85). So
erlebt er das .Verhängnis' (4. Abfchnitt) feines Dafeins.
Der Verfuch, durch Ignorieren oder Verdrängen _ der
geiftigen oder materiellen Seite feines Dafeins aus diefer
Not herauszukommen, widerfpricht dem tatfächlichen Wefen
des Menfchen. .Ein Verlaffen diefer Doppelfpur ift unmöglich
; fie gehört zum ewigen Wefen des Menfchen' (99).

Es gibt aber doch eine Erlöfung (5. Abfchnitt). Sie
wird gewonnen ,in der Verbindung mit dem ewigen Sein
der Welt'. Diefes ewige Sein der Welt, das dem Erkennen
nicht zugänglich war, .wirkt neben den Einzeldingen auf
das Gefühl des Menfchen' (103). In Gefühl erfolgt ein
Einswerden mit dem ewigen Sein der Welt, wodurch der
Menfch .Anteil' an ihm gewinnt (105). .Innerhalb der
Grenzen feines Dafeins entfteht fo im Menfchen immer
wieder die Grundbeftimmung der Ruhe, der Sicherheit,
des Gleichgewichts' (106) ein Gefühl der .Geborgenheit'
(106). Zum Verfchwinden freilich kommen jene Zwie-
fpältigkeiten und das Schuldgefühl dadurch nicht; fie
werden durch das Gefühl der Ruhe und Geborgenheit
immer wieder .überdeckt'; denn — nach Spinozas Rezept
—■ ift die Wirkung des Abfoluten im Bewußtfein kräftiger
als alle Wirkung endlicher Dinge. — Im Unterfchied von
dem .gewaltfamen' Verfahren der akosmiftifchen Myftik
muß (ich die Verbindung des Menfchen mit dem ewigen
Sein ,in der innigften Verbindung mit den das konkrete
Leben befchäftigenden Dingen der Welt' vollziehen (110).
So erlebt der Menfch die Erlöfung. Ihre Folgen find
Unbefangenheit und tapferes Ausharren in den jeweiligen
Aufgaben feiner widerfpruchsvollen Lage, voll Zuverficht
auf den Fortgang des Gelingens in der Welt; auch die
Erkenntnis der eigenen Vergänglichkeit wird durch das
Gefühl der Ruhe im ewigen Sein .überdeckt'. —

Es hat einen eigenen Reiz, bei den Darlegungen des
Verfaffers im Einzelnen allerlei Spuren zu begegnen, von
denen man nicht erwarten würde, das fie fich fo begegnen
und zufammenlaufen könnten. Wir nannten fchon Spinoza;
in der Anfchauung von der felbftändigen Perfönlichkeit
und ihrer Gewinnung und Behauptung in der Welt finden
wir Herrmann; in der Lehre von der Unbefangenheit und
auch fonft gelegentlich Joh. Müller; einzelnes Stiliftifche

zendente Faffung des menfchlich-perfönlichen Seins irgendwie
in der Richtung des Glaubens an perfönliche Unfterb-
lichkeit bleibt kein Raum. In diefer Richtung erfcheint
als volle Löfung die .Überdeckung' des eigenen Ver-
gänglichkeitsbewußtfeins durch das gefühlsmäßige Einswerden
mit dem .ewigen Sein'. Das mag als fubjektive
Löfung tatfächlich auch genügen; es bringt aber keine
genügende Löfung der Probleme, die das geiftige Sein
aufgibt, wie ich in der 2. Auflage meiner Schrift über den
Unfterblichkeitsglauben weiter auszuführen verruchte. —
Macht W. hier dem modernen Immanentismus zu ftarke
Konzeffionen, dem fich das Schwergewicht der geiftigen
Zielfetzung aus dem Perfönlichen in den Menfchheits-
fortfchritt verlegt, fo kommt er an einem andern Punkte
dem modernen Determinismus weiter entgegen, als das
m. E. nötig wäre. Schuldzurechnung und Freiheit bleiben
in einer eigentümlichen Schwebe; wie fehr die unvermeidliche
Vorherrfchaft diefer willenshaften Selbftbeurteilung
hervorgehoben wird, erfcheint doch die Betrachtung des
ganzen Schuldverhängniffes als einer im Wefen des Menfchen
begründeten Ünvermeidlichkeit dem eigentlichen
Sachverhalt näher zu kommen. — Daß hier unter dem Titel
.Erlöfung' vom Menfchen die Rede fein wird, verrät
fchon der Untertitel, wie fich ja auch die eigentliche zentrale
Realität aller wurzelftarken Religion, nämlich Gott,
durchweg fehr im Unbeftimmten hält.

Gnadenfeld. Th. Steinmann.

Fulliquet, Prof. Dr. G.: Pr6cis de Dogmatique. (334 S.)
kl. 8°. Geneve, Kündig. — Paris, Fifchbacher 1912.

M.4 —

Der Dekan der evangelifch-theologifchen Fakultät in
Genf, der den Lehrftuhl für fyftematifche Theologie als
Nachfolger Gafton Frommeis an der Univerfität inne hat,
G. Fulliquet, will feinen Zuhörern einen Grundriß geben,
der ihm felbft als Leitfaden bei den Vorlefungen und als
Schema für die mündlich zu erteilenden Erklärungen
dienen foll. Somit ift das vorliegende Buch beftimmt den
Dienft zu leiften, den unter uns die verbreiteten Schriften
von O. Pfleiderer, H. Schultz, Reifchle, Kirn verrichten.
Man muß fich diefen Zweck ftets vergegenwärtigen, um
dem Verfuche des Vfs. gerecht zu werden und an den-
felben nicht einen Maßftab anzulegen, den er nicht verträgt
.

Nach einer allgemeinen Einleitung (1—12), die vom
Dogma und der Dogmatik, von den Beziehungen des Gefühls
und des Gedankens in der Religion, von der Quelle,
der Form und der Methode der Dogmatik in gedrängten,
vielleicht allzu knappen Lehrfätzen handelt, zerlegt F. den
dogmatifchen Stoff in vier Hauptteile: Chrifti Perfon und
Werk (13—79), die chriftlichen Erfahrungen (81—160),
das Reich Gottes (161—273), Wiffen und Glauben (275—327).
Die ftarken Bedenken, die diefe Gliederung auf den erften
Blick hervorrufen muß, werden durch die Ausführung des
entworfenen Planes nicht zerftreut. Der letzte, erkenntnisklingt
leife aii buddhiftifche Paränefe an. Und doch kann ' theoretifchen und apologetifchen Problemen gewidmete

dem Ganzen nicht abgefprochen werden, daß es Eigenes 1 Teil, hätte am Eingang eine geeignetere Stätte gefunden,
fei und Einheitliches. Die Art einer wiffenfchaftlichen j nachdem man einzelne Fragen, wie den Schöpfungsbegrifif

Unterfuchung hat es nicht. Eher ift es ein Bekenntnisbuch
. Eine ftarke Stimmung gibt ihm feine Einheit und
hebt über die Partien hinweg, in denen die Sache etwas

und die Efchatologie aus diefem Zufammenhang losgelöft
und an einen paffenderen Ort verlegt hätte. Die Voran-
ftellung von Chrifti Perfon und Werk würde einen wohl

verfchwommen und unbeftimmt zu werden droht. Das ! begründeten Sinn gehabt haben, wenn der Vf. die chrifto-
Befondere — und ich meine auch Bedeutfame — ift die zentrifche Methode in Anwendung gebracht und die Er-
ftarke Betonung des bleibenden Dualismus alles menfch- ' fcheinung Chrifti als Erkenntnisgrund und Maßftab zur
liehen Geifteslebens, dem keine andere wirklich erlöfende i Beurteilung der einzelnen Beftandteile des chriftlichen
Überwindung zuteil werden kann als in der religiöfen | Lehrfyftems verfucht hätte; das ift aber, abgefehen von
Erfahrung. Diefe freilich felbft hält fich fehr im Un- j einzelnen Absätzen (93—94, 223—225), nicht der Fall. —
beftimmten. Die Anwendung der Perfönlichkeitsidee auf Die Behandlung der .chriftlichen Erfahrungen', welchen