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Ausgabe:

1913 Nr. 6

Spalte:

179-180

Autor/Hrsg.:

Breit, Ernst

Titel/Untertitel:

Ibsens Soziologie und Ethik 1913

Rezensent:

Schwartzkopff, Paul

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179

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 6.

180

wefentlichen ~ Faktor des Geifteslebens überhaupt zu begreifen
; die theologifche Ethik hat das evangelifch-chrift-
liche Ethos als ein organifches Ganze zu begreifen und
mit der philofophifchen Ethik in Beziehung zu fetzen,
um dasfelbe als eine berechtigte Erfcheinungsform des
Geifteslebens zu erkennen.

Königsberg i. Pr. Dorn er.

Breit, Dr. Ernft: Ibfens Soziologie und Ethik. Auf Grund
feiner Dramen dargeftellt u. gewürdigt. (Apologet.
Tagesfragen XI.) (59 S.) 8». M.-Gladbach, Volksvereins
-Verlag 1912. M. 1.20

Die Brofchüre bildet das elfte Heft der apologetifchen
Tagesfragen. Dem Verfaffer fällt Chriftentum mit Katholizismus
zufammen. Er wird daher dem Proteftantismus,
z. B. in der Auffaffung der Ehe, nicht gerecht (S. 44).
Dennoch ftrebt er nach objektiver Beurteilung des modernen
Dramatikers, bewundert fein dichterifcb.es Schaffen,
ftimmt feiner fozialen Gefinnung, fowie feiner Wertung
des Berufes bei und gibt zu, daß er, wie feiten einer,
feine Zeit verftanden und fich ihr verftändlich gemacht,
auch gute Beiträge zur Kenntnis des menfchlichen Lebens
beigebracht habe (S. 44. 34. 38. 31. 8. 58). — Anderfeits
leitet er zunächft unter dem fittlich-religiöfen Gefichts-
punkte (Abfchn. 1) nicht neu ,aber richtig die Schwächen
von I.s. Ethik aus feinem einfeitigen Individualismus und
Subjektivismus her. Alle Lehren über Gefellfchaft und
Moral find bei diefem auf den Gedanken des dritten
Reiches zugefchnitten (44), welches die Einfeitigkeiten der
antiken Wiffenfchaft und Kunft, fowie der jüdifchen und
chriftlichen Sittlichkeit und Religion, durch Zufammen-
faffung in einer höheren Einheit, überwinden foll. In ihm
fallen die vergänglichen Dogmen und kirchlichen Formen
hin und herrfcht kein ,bloß äußeres' Sittengefetz (19) mehr,
fondern allein die .ideale Forderung' vollen Menfchen-
tums. Dies liegt jedoch in der urperfönlichen Veranlagung
des felbftherrlichen Individuums, als opferfreudiger Egoismus
' und bezeugt fich dem Inneren des Menfchen als
ein Gefetz, das ihn zur .unbedingteften Wahrheit gegen
fich felbft und zum reftlofen Befolgen feiner Vorfchriften'
verpflichtet (23 f.). — B. weift nun mit gefchickter Anziehung
von Beifpielen aus I.s. Dramen, nach, daß es, von
deffen Standpunkte eines darwiniftifchen Materialismus
aus, überhaupt keine Verpflichtung gebe, da die ideale
Forderung, als Produkt der Materie, kein inneres Recht
habe, diefer zu gebieten, daß vielmehr die Folge des
reinen Individualismus die .Vernichtung der Gefellfchaft'
bedeute (26 ff.) — Hiermit ftürzt alfo zugleich I.s Lehre
von Staat und Gefellfchaft (Abfchn. 2) zufammen. Diefe
Lebenslüge gilt nur denjenigen, die fich nicht zu jener
idealen Forderung erheben können. Diefe ift indeffen
nur eine Form, die jeder mit dem ihm eigenen Inhalt
erfüllt. Hiernach entfcheidet, wie B. zeigt, nur der Eigenwille
der Perfönlichkeit, ohne Rückfleht auf andere. So
kann fie keineswegs zum Altruismus oder zum echten
Sozialismus erziehen. Vielmehr muß folgerichtig das
Recht des Stärkeren fiegen. Nur die Einfchränkung
der weltgefchichtlichen Selbftfucht könnte ein gefelliges
Zufammenleben ermöglichen (31 f. 37. 44). — Viel Schönes
fagt B. endlich über die Frau als Gattin und Mutter
(Abfchn. 3). Er tut dar, wie fich auch hier die .ideale
Forderung' als Todfeindin ihres heiligften Empfindens
erzeigt. Pflichten gegen fich felbft fchützt Nora vor, als
fie zugleich mit dem Manne auch die geliebten Kinder
verläßt. ,I.s Ethik tritt zum Weibe als Befreierin und
bringt ihr das Elend der ungezügelten Sinnlichkeit' (49 f. 54).
,Wie auf folcher Grundlage eine Erhebung des Volkes
zuftande kommen foll, ift . .. nicht einzufehen' (53). Auch
hier erhellt die Widernatürlichkeit und innere Haltlofig-
keit der idealen Forderung (55). B. weift im wefenlichen
mit Recht in allen diefen Beziehungen auf die tief gegründeten
ethifchen Anfchauungen des Chriftentums hin,

das er indeffen auch hier wieder ungefchichtlich dem
Papfttum gleichfetzt (56). Er zeigt, wie von I.s Standpunkte
aus die wichtigften Lebensprobleme unlösbar
bleiben. Dennoch kann der Katholik dem modernen
Dichter nach einer wichtigen Seite nicht gerecht werden,
da das ftarre katholifche Syftem grundfätzlich jede Entwicklung
bekämpfen muß. Selbft eine folche, die den
ewigen Gehalt fefthält, ohne indes die zeitliche Wandlung
feiner vergänglichen Formen zu verkennen. Bei alledem
ift die Lefung des anregenden Büchleins auch anderen als
katholifchen Damen (5) zu empfehlen.

Wernigerode. Schwartzkopff.

Wirz.Pfr.Sem.-Relig.-Lehr.Hans: Die Erlöfung. Eine Studie
über die Frage: Wie wird das Leben lebbar i (IV, 160S.)
8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1912. M. 3—; geb. M. 4 —

Erlöfung hat ganz im allgemeinen ihre Urfache ,in
dem Kollidieren des Dranges zum Leben mit den mancherlei
Lebenshemmungen'; fie wird erlebt, ,wenn fich der
Lebenstrieb nach einem Hemmnis ungehindert entfalten
kann' (S. 8). Dann immer wird zugleich auch das vorher
unerträgliche Leben lebbar. Solche Erlöfungen .gefchehen
im ganzen Bereiche des Lebens' (S. 8). Das find aber nur
.einzelne Erlöfungen', weil fie .unter dem Einfluß eines
einzelnen Teiles der Welt erlebt worden find' (S. 9). über
all' diefen einzelnen Erlöfungen fteht ,eine letzte höchfte
allgenugfame Erlöfung' (S. 11) als v, berwindung aller Lebenshemmungen
des .Lebenstriebes in feiner reinften
Form' (S. 12). Hier handelt es fich darum, daß der
Menfch feinem geiftigen Wefen nach .feine Würde, Freiheit
und Selbftändigkeit in der Welt, die ihn vernichten
will, behauptet' (S. 160).

Das geiftige Wefen des Menfchen fteht unter feften
Nötigungen oder Normen. Daß er ganz diefen Normen
gemäß lebe, ift die .höchfte Abficht des vollkommenen
Menfchen' (S. 14). Um drei Normen handelt es fich dabei:
die äfthetifche, logifche und ethifche Norm; das ,Bild der
höchften Vollkommenheit' des Wollens, Erkennens und
künftlerifchen Schauens, das wir zu bilden vermögen,
erfcheint uns hier überall als das, was erreicht werden
foll (S. 47). Davon handelt der zweite Abfchnitt: ,Das
vollkommene Leben', freilich fchon mit beftändigen Seitenblicken
auf das Nichterreichen diefes Vollkommenen
und mit anderen Abfchweifungen, was der klaren Herausarbeitung
der Idee des vollkommenen Lebens nicht
dienlich ift. — Speziell für das Wollen erfcheint als der
höchfte Zweck: .werde ein vollkommener Menfch' (S. 39);
das bedeutet: .Gewinne in dir den Mittelpunkt, der unbeweglich
ift' (S. 39) und .allmächtig' (S. 40). Es ift die
Idee der perfönlichen Selbftändigkeit, und zwar jedes
Menfchen. Dies .oberfte Gefetz' fteht ,in vollkommener
Unerbittlichkeit' da (S. 41).

Das .wirkliche Leben' (3. Abfchnitt) aber fleht fehr
anders aus. ,Es befteht ein tiefer Widerfpruch zwifchen
dem reinen Wollen und dem in der Welt möglichen
Wollen und Handeln' (S. 49); fo auch zwifchen dem reinen
Schauen und reinen Erkennen und der in der Welt möglichen
künftlerifchen und erkennenden Betätigung. Die
Urfache diefes Widerfpruchs ift die tatfächliche Verflechtung
des Menfchen in die endliche fichtbare Welt mit
ihren konkreten Einzelheiten. Der Menfch muß fich ,in
feinem Handeln ganz in die Befchaffenheit der konkreten,
finnlich wahrnehmbaren Welt' einfügen (48). So .verlaufen
Wollen und Handeln innerhalb zweier Formen der
Wirklichkeit'. ,Ich fchaue die Vollkommenheit..... aber
ich handle nicht nach ihr'. Nun .erhebt fich aber das
Wollen immer zum Richter über das Handeln'. .Ein
Handeln ift, am höchften Wollen gemeffen, nicht gut,
fondern böfe' (52). .Der fittlich ftrebende Menfch erkennt,
daß er den Zuftand der freien Perfönlichkeit, an deffen
Herausarbeitung er fich .... notwendigerweife machen
muß, nimmermehr erreicht' (58). Wie fehr das feine