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Ausgabe:

1913 Nr. 6

Spalte:

175-176

Autor/Hrsg.:

Kroker, Ernst

Titel/Untertitel:

Anekdoten Melanchtons u. Leipzig 1913

Rezensent:

Wolff, Eugen

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175

Theologifche Literaturzeitung 1913 Nr. 6.

176

das Scheitern des Konzils die demokratifche Zufammen-
fetzung der Verfammlung verantwortlich: ,Mit einem Ge-
meinwefen, das auf fo ariftokratifchen Grundlagen aufgebaut
ift, wie die römifch-bifchöfliche Kirche, war ein
völlig demokratifches Parlament unverträglich'. Lazarus
dagegen billigt den demokratifchen Zug der Verfammlung
und meint (S. 42): .Sicher ift, daß die Zulaffung der
niederen Geiftlichen nicht der Grund des Scheiterns des
Konzils war, fondern daß in der fpäteren Zeit ganz andere
Momente mitwirkten, die die Verfammlung zur Auflöfung
brachten', fo vor allem die Sondertendenzen der weltlichen
Mächte. Ich glaube, daß letzteres Urteil nicht richtig ift.
Die katholifche Kirche verlieht es allerdings oft, auch
demokratifche Elemente in ihren Dienft zu nehmen. Aber
nur fo lange und nur in foweit, als diefe volkstümlichen
Kräfte eben dienen und nicht etwa herrfchen wollen.

Straßburg i. E. Robert Holtzmann.

Kroker, Prof. Dr. Ernft: Anekdoten Melanchthons u. Leipzig.

(Sonderabdr. aus den Schriften des Vereins f. die Ge-
fchichte Leipzigs. X. Bd.) Leipzig, J. Wörner's Verl.
1911. M. 1.—

Anekdoten, wie fie Melanchthon in feine Vorlefungen
einzuftreuen liebte, find von zahlreichen Zuhörern gebammelt
worden. Zu dem Druck von Johannes Manlius
haben fich fchon eine ftattliche Reihe handfchriftlicher
Sammlungen angefunden, die häufig Ergänzungen, häufig
auch abweichende Faffungen bekannter Gefchichten beibringen
. Die neuerdings von der Leipziger Stadtbibliothek
erworbene Sammlung eines jungen Lübeckers, Johannes
Rickemann oder Rechemann, liegt den Mitteilungen von
Kroker zugrunde. Soweit die Stücke datierbar find, fallen
fie meift in die Jahre 1554 und 1555. — Auch diefer neue
Fund bewährt, daß die Ausgabe des Manlius nur ein Ergebnis
von Umarbeitungen darftellt. Wiederum erlangen
wir manche Erzählungen in einer Faffung, die der Original-
äußerung erfichtlich näherfteht. Gleich unabweisbar wird
der Eindruck, daß Melanchthon eine handfchriftliche
Sammlung von Tifchreden Luthers befaß und weithin wie
eigenes Gut benutzte.

Melanchthons auffällige Neigung für Geifter- und
Teufelsgefchichten führt in der neu herangezogenen Hand-
fchrift unter anderem zu einer auffchlußreichen Berührung
mit Luthers Tifchreden. In diefen berichtet Lauterbach
als Augenzeuge eine Teufelsbefchwörung durch Luther.
Ein Wittenberger Student, Valerius Glöckner, hatte fich
einem anftößigen Lebenswandel ergeben. Auf Vorhaltung
feines Präzeptors geftand er Anfang 1538, daß er vor
fünf Jahren Chrifto abgefagt und fich dem Teufel übergeben
habe. Luther habe dann dem jungen Manne fcharf
ins Gewiffen geredet: ob es ihm leid wäre und ob er
fich wieder zu Chrifto bekehren wolle? Als Glöckner
diefe Fragen bejahte, fprach Luther das Vaterunfer und
betete zu Gott, dem Jüngling feine Sünde zu vergeben
und ihn wieder in die Kirche aufzunehmen um Chrifti
willen. Diefen tatfächlichen Vorgang hat nun Melanchthon
nach fünfzehn Jahren bereits in allen Abfchnitten
phantaftifch ausgefchmückt; das Teufelsbündnis wird
fzenifch veranfchaulicht: es wird in einen Wald bei Wittenberg
verlegt, der Teufel erfcheint als zerlumpter Greis,
verfpricht dem Teufelsbanner tägliche Geldzuwendungen
und erlangt eine Verfchreibung mit deffen Blut. Ebenfo
bannt Luther durch Gebet den Teufel leibhaft, um ihm
die Verfchreibung abzuzwingen, wobei diefer dem Reformator
zuruft: O Du, o Du! — Kroker glaubt hier fchon
mitten in der fich bildenden Sage vom Doktor Fault
und ihrer Lokalifierung in Wittenberg zu flehen: be-
fonders der Wald, der Teufelsfold und ,vor allem' der
mit Blut gefchriebene Kontrakt — ,da haben wir bereits
bei Melanchthon den Kern, deffen Mittelpunkt der Doktor
Fauft geworden ift'! Es läßt fich nun freilich zeigen, daß
Melanchthon diefe drei Züge garnicht für den fingulären

Fall erdichtet, vielmehr gerade weil fie in Teufelsbünd-
niffen wonicht durchgehen, doch häufig wiederkehren,
ohne weiteres auf diefes Beifpiel übernommen hat. Und
würde ,das fromme Wittenberg als der Sitz des gottlofen
Teufelsdieners' von hier feinen Urfprung nehmen, fo hätte
fich jedenfalls ein ftrenger Lutheraner, doch wohl auch
ein Schüler Melanchthons, die in der Bekehrung des
Teufelbanners liegende Verherrlichung des Reformators
gewiß am wenigften entgehen laffen. Daß dem fogen.
Volksbuch vom D. Fauft keine Wittenberger Lokallage
zugrunde liegt, wird aus dem Mangel an Lokalkenntnis
augenfällig. Aber gerade bei dem neuerdings von mir
(in der Schrift: ,Fauft und Luther') verfochtenen katho-
lifchen Urfprung der Fauft-Dichtung bliebe die Möglichkeit
offen, daß neben andern von Luther und Melanchthon
erzählten Anekdoten auch die vorliegende zu paro-
diftifchen Zwecken mitgefpielt hat — nicht als .Kern' der
Fauft-Hiftoria, den ich in der Bloßftellung Luthers und
der Luther-Stadt fehe, wohl aber als eines der zahlreichen
Einzelmotive, um den berüchtigtften Teufelsbündler dem
Wittenberger Kreis zuzufchieben.

Kroker erwähnt aus der ihm vorliegenden Handfchrift
noch drei unbekannte Äußerungen Melanchthons über
Fauft. Die .intereffantefte' gibt er wieder: diefes Abenteuer
von Faufts Flugverfuch in Venedig war allerdings
fchon durch Manlius überliefert; nur die ausdrückliche
Klage des Abgeftürzten über den Teufel fehlt dort noch. —
Jedenfalls hat Kroker mit Umficht auf die Bedeutung der
Handfchrift für die Löfung verfchiedenfter Probleme der
Gelehrtengefchichte hingewiefen.

Kiel. Eugen Wolff.

Hamon, M.: Vie de Saint Francois de Sales, eveque et
prince de Geneve. Nouvelle ed. abregee, entierement
revisee par le chan. iM. Gonthier et l'abbe M. Letourneau.
(VIII, 224 S. m. Bildn.) kl. 8°. Paris, V. Lecoffre 1911.

fr. 3-5o.

Das gegenwärtige Werk will eine volkstümliche Abkürzung
fein, eine den unterften Klaffen des Volkes zugängliche
Lebensbefchreibung, ein Geschenkbuch, welches
von allen Lehrern der Jugend als Preis ausgeteilt werden
kann. Es ist alfo nicht eine wiffenfchaftliche Arbeit. Wir
bedauern es, denn es gibt noch keine kritifche Biographie
des F. de Sales.

Die Verfaffer haben die Biographie benutzt, welche
12 Jahre nach feinem Tode von feinem Neffen C. A.
de Sales, 1634 herausgegeben wurde. Ihre perfönliche
Arbeit befteht nur darin, daß fie in einigen Punkten die
Biographie durch perfönliche Forfchungen zu vervollkommnen
gefucht haben. — Ihre Arbeit ift eine Händige
Lobpreifung des Helden; in dem von ihnen gezeichneten
Bilde findet fich keine Schattenfeite. Sie erzählen z. B.
fehr ausführlich alle die außerordentlichften Wundertaten
die F. de S. angeblich getan hätte.

Dagegen werden die Genfer und Berner als Prote-
ftanten und Haeretiker fehr fchlecht behandelt. Wenn
man die über fie gefprochenen Urteile ohne Kontrolle annehmen
würde, müßte man fie alle für lauter Fanatiker
und Böfewichte halten. Die Autoren haben keine der
proteftantifchen Arbeiten über diefe Gefchichtsperiode
benutzt. Wenn fie die Academie de Calvin, von Prof.
Borgeaud (Genf 1900) gelefen hätten, wäre ihnen klar geworden
, das Lignarius in der Tat Lignaridus hieß;
wenn fie das ausgezeichnete Werkchen von A. Guillot:
F. de S. et les Proteftants (Genf, 1876) aufgefchlagen
hätten, wären fie gerechter gewefen gegenüber den Prote-
ftanten. Die Escalade, ein durch den Herzog von Sa-
voyen angeftellter mißlungener Verfuch, des Nachts fich
der Stadt Genf zu bemächtigen während einer Friedenszeit
, ift vollftändig ignoriert, und doch hatte F. de S. mit
ganzem Gewicht feiner Perfönlichkeit den Herzog bewogen,
fich der Stadt Genf zu bemächtigen um darin die fo-