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Ausgabe:

1912 Nr. 6

Spalte:

167-170

Autor/Hrsg.:

Metzger, Paul

Titel/Untertitel:

Der Begriff des Reiches Gottes im Neuen Testament 1912

Rezensent:

Baldensperger, Wilhelm

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167 Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 6. 168

9./10. Dezember, 416 auf 14. Dezember, 410 auf 19./20. November
— alfo immer zwifchen 12. Oktober und 16. Dezember
fiel. Das wurde durch Einfchaltung eines Monats
erreicht. Genauer fallen nach Ginzels Tafeln zwifchen
1. Kislew 471 und 465 nun 75 Mondwechfel d. h. 3 Jahre
zu 12 und 3 zu 13 Monaten; zwifchen 1. Kislew 465 und
460 liegen 60 Mondwechfel d. h. 5 Jahre zu 12 Monaten;
in den Jahren 458—446 find 5 Schaltmonate zu berechnen,
446—440 wieder 3, 440—420 nur 7, 420—416 aber 2,
416—411 nur ein einziger. Von irgend einem Syftem j
oder Zyklus (von 8 oder 19 Jahren) ift hier keine Rede.
Nun zeigt aber auch die Vergleichung der jüdifchen und
ägyptifchen Kalenderdaten, daß die Juden jener Zeit ihr
Jahr ebenfo mit dem Nifan begannen, wie das in
Affyrien-Babylonien und wahrfcheinlich auch Perfien üblich
war. Erft nach Alexander ift der 1. Tisri Jahresanfang
geworden. Wir wiffen aber, daß Paffah am Vollmond
des Nifan gefeiert wurde, wenn die Sonne im
Zeichen des Widders ftand: das ift eine aus Babylon
flammende Regel, die den Jahreskreis nach der Sonne
ordnet. So berechnet Sprengling auf Grund der Papyri
nicht weniger als dreißig Paffahfefte des Zeitraums 471
bis 410 v. Chr.

Im zweiten Teil feiner Arbeit beftimmt er die Zeit
der erften Achämeniden. Er betont fehr ftark, daß alle
gleichzeitigen Urkunden, auch aus Ägypten, poftdatieren
d. h. das Sterbejahr eines Herrfchers diefem und nicht
feinem Nachfolger zufchreiben, daß die letzten Urkunden
einer Regierung nicht als Zeugnis der wirklichen Regierungsdauer
eines Herrfchers gelten können, wohl aber j
die erften einer neuen Regierung deren Exiftenz beweifen.
Aus den aramäifchen Papyri werden dann die Regierungszeiten
von Cyrus bis auf Darius II und im Zufammen-
hang damit die Jahreszahlen wichtiger Ereigniffe innerhalb
diefes Zeitraums feftgeftellt. Die Arbeit ift mit einer
bequemen Breite gegeben, fo daß auch der Nichtfach-
mann unfchwer zu folgen vermag.

Gießen. Oscar Holtzmann.

Metzger, Dek. Lic. Paul: Der Begriff des Reiches Gottes im

Neuen Teftament (311 S.) gr. 8°. Stuttgart, Verlag der
ev. Gefellfchaft 1910. M. 3 —

Es möchte Mancher fragen, wenn ihm eine neue
Arbeit über ,das Reich Gottes' zu Gefichte kommt, ob
Polch ein Thema noch am Platze ift. Ift das Gottesreich
der Evangelien nicht Jahrzehnte hindurch zum Überdruß
der theol. Welt abgefchlachtet worden? Hinwiederum
könnte ein Anderer, der feinen Blick mehr auf die Zukunft
und auf die Ergebniffe der religionsgefchichtlichen
Forfchung richtet, die Frage aufwerfen, ob man fich jetzt
fchon endgültig über den urchriftl. Gedanken des Reiches
Gottes ausfprechen kann. Der Verfaffer der vorliegenden
Studie allerdings fcheint wenig oder gar keinen Wert
auf etwaige aus fremden Religionen zu gewinnende Er-
kenntniffe zu legen. Sein Arbeitsfeld hat er kanonifch
umzäunt, wie fich das ja auch fchon aus dem Titel des
Buches ,Der Begriff des Reiches Gottes im Neuen
Teftament' ergibt. Zwar wird in einem einleitenden
Abfchnitt und auf manchen Seiten der nachfolgenden
Erörterungen auch auf die außerkanonifche, pfeudepi-
graphifche Literatur des Judentums Bezug genommen;
aber dabei waltet das Beftreben ob, diefe jüdifchen
Schriften von den neuteftamentlichen möglichft weit abzurücken
. Gewiffe Ergebniffe der neueren Theologie,
z. B. in Bezug auf das von der rabbinifchen Gefetzes-
kafuiftik fich abhebende, fittliche Niveau der Apokalypfen,
werden anerkannt und diefe meffianifche Glaubensweife
des Judentums wird fogar als ,ein merkwürdiges Zeugnis
für die zur ungefähren Zeit der Erfcheinung Chrifti eingetretene
Fülle der Zeiten' bezeichnet. Aber das gefchieht
. doch nur mit einem gewiffen, hinter den Worten bemerkbaren
inneren Widerftreben. Wenn es M. nicht

leugnen kann, daß die alte Chriftenheit felbft die jüdifchen
Apokalypfen als geiftesverwandt empfand, fo bemüht er
fich doch angelegentlichft um den Nachweis, daß die
eigentliche gefchichtliche Wurzel des evangel. Reichsgedankens
im A. T. zu finden fei. Er hält es für wichtig,
daß gewiffe formelle Beziehungen des Reiches Gottes
nicht in der Apokalyptik, fondern im Buche Daniel vorliegen
(S. 63). Wie gut, daß Daniel doch noch in den
Kanon, ob zwar nur vor Torfchluß, hineingekommen ift!
Oder es ift unferem Verfaffer tröftlich, daß ein apokalyp-
tifches Zitat ,nur in einer neuteftamentlichen Schrift
zweiten Ranges' (Judasbriel) vorkommt. Die Annahme
deuterokanonifcher Schriften war einft in der Zeit der
werdenden Kirche ein Zeichen dafür, daß der Kanon
noch nicht abgefchloffen, noch nicht feftftand. Wenn
folche Unterfcheidung heute wieder auflebt, befagt das
nicht zur Genüge, daß jetzt am anderen Ende der Entwicklung
der Kanon nicht mehr feftfteht, nicht mehr
gefchloffen ift? Übrigens würde das Renommieren mit
dem minderwertigen Judas beffer unterbleiben angefichts
der Tatfache, daß felbft bei dem unanfechtbaren Paulus
und den Evangelien Anfpielungen auf jüdifche pfeudepi-
graphifche Werke vorkommen. Was follte nun aber für
den Forfcher von heute, der den Tagesftrömungen Rückficht
trägt, der maßgebende Gefichtspunkt fein? Sind
wir nicht längft über das alte Schema von kanonifch
und unkanonifch hinaus? Wenn man uns heute mit dem
Schein überlegener Sachkenntnis predigt, daß das Jefus-
bild überhaupt der gefchichtlichen Unterlage entbehrt
I und das ganze Urchriftentum in Mythus fich auflöft, wäre
da nicht gerade der Nachweis am Platze, wie fehr die
Glaubensweife der erften Chriften im Mutterboden des
Judentums wurzelte und wie gut fie gerade als Weiterbildung
auf demfelben begriffen und fomit als gefchichtliche
Größe gewertet werden kann? Das wäre wohl
auch Rettungsarbeit im bellen Sinne des Wortes. Wer
in falfch verftandenem pofitivem Intereffe die neutefta-
mentliche Gedankenwelt ifoliert, dürfte in feiner Art dazu
beitragen, die Bahn zur ihrer völligen Mythologifierung
freizumachen.

Andererfeits wird man es freudig begrüßen, daß im
Gegenfatz zu manchen Unterfuchungen neueften Stils,
deren Blick nur auf den großen religionsgefchichtlichen
Zufammenhängen ruht und fich bei Löfung der neuteftamentlichen
Probleme durch fubjektive Eindrücke leiten
läßt, hier wiederum einmal eingehende Kleinarbeit an
den Texten geliefert wird. M. will eine exegetifch gefchichtliche
Methode in dem Sinne handhaben, daß er
fich ,möglichft genau dem Gang der Quellen felbft in
der Entfaltung des Begriffs des Gottesreiches' anfchließt.
Er beginnt mit einer Analyfe diefes Begriffes in den
fynoptifchen Evangelien auf mehr denn hundert Seiten,
wobei er fich hauptfächlich durch den /Reichstheologen'
Matthäus die Wege weifen läßt. Darauf folgen Erörterungen
des Begriffes bei Johannes, in der Apoftelgefchichte, in
den Paulinen und anderen Briefen und zuletzt in der
Offenbarung Johannis. Von einer eigentlichen Gedankenentwicklung
in der Reichspredigt Jefu möchte M. nicht
reden, fondern nur von einer Entfaltung in der Weife,
daß diefe Predigt mit dem Leben Schritt hält und der
werdenden Wirklichkeit fich anpaßt. Das Reich felbft
ift viel weniger eine Lehre als eine große Sache, eine
ernfte Zukunft. In der Hauptfache ift es eine jenfeitige
eschatologifche Größe, alfo nicht eine immanente geiftige
Welt, welche die Erfüllung fittlicher Aufgaben zum Inhalt
hätte. Allerdings foll Jefus bald auch feinen Zuhörern
das Reich als eine fchon in der Gegenwart fich anfetzende
Wirklichkeit enthüllt haben, entfprechend feiner fortgefetzten
Wirkfamkeit. Im letzten Stadium erfcheint der
Todesgedanke, deffen Eintreten mit dem als übernatürlich
gedachten Reich zufammenhängen foll. Warum nun
aber diefe erwartete Gottesherrfchaft erft durch Leiden
und Sterben Jefu (und nicht etwa durch eine wunder-