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Ausgabe:

1912 Nr. 5

Spalte:

153-154

Titel/Untertitel:

Unsere Kirche. Worauf sie ruht und was sie soll. 4 Vorträge zur Besinnung und Verständigung, hrsg 1912

Rezensent:

Schian, Martin

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 5.

154

betrachten fei, wird die betreffende Schule am beften klare, von kräftigem religiöfem Ernft getragene Reden,

felbft entfcheiden die in Bafel ihres Eindrucks nicht verfehlt haben werden

t> r ua. • und die auch außerhalb Bafels Beachtung verdienen, wo

Straßburg 1. E._P. Lobftein. man immer dem Kirchenprobiem in feinen Tiefen nachgeht.

Unlere Kirche. Worauf fie ruht und was fie foll. 4 Vor- Gießen. M. Schian.

träge zur Befinng. u. Verftändigg., hrsg. v. den Freunden ,-- —— ; ;

der Neuen Wege in Bafel. (109 S.) 8«. Bafel, Helbing [Scholz, D. Hermann: 25 Jahre an St. Manen in Berlin.

& Lichtenhahn 191.. M. 1.50 L Ausgewählte Predigten. (IV, 292 S.) 8». Berlin,

um -tr ir . ,wu tv vt c ,**n fn G- Nauck 1911. M. 4—; geb. M. 5 —

Wie vier Frankfurter (1h. Lit.-Ztg. 1911 Sp. 370 f.), lo * . ....

haben auch vier Bafeler Theologen im Winter 1910/11 [ Die vorliegende Sammlung von 30 Predigten bildet

den erften Teil einer Erinnerungsgabe, die der Verfaffer
feiner Gemeinde aus Anlaß feiner 25jährigen Wirkfamkeit
in ihrer Mitte anbietet; in einem zweiten Teil gedenkt er
feine Erfahrungen aus Amt und Leben niederzulegen.
Mit der Gemeinde werden alle, die geweckten Sinnes
diefe Predigten lefen, dem Verfaffer für die wertvolle
Gabe herzlich dankbar fein; der Referent begrüßt darin
eine höchft willkommene Bereicherung der homiletifchen
Literatur. Die Predigten find einer für tiefere Gedankengänge
empfänglichen, geiftig höhergebildeten Hörerfchaft
gehalten. Der fchöne Adel der Sprache ift durchflutet
von warmer Religiofität, in der das ewige Evangelium
in ungebrochener und unverhüllter Herrlichkeit verkündet
wird. Dadurch gewinnen die Predigten einen volkstümlichen
Charakter, fo daß fie auch einfacheren Chriften
zum Herzen fprechen. Der einwandfreie gefchickte homi-
letifche Aufbau der Predigt, in dem nur die Numerierung
der Teile ftörend wirkt, wie die geiftvolle Ausführung
der reichen Gedankenfülle ift dem praktifchen Chriften-
leben in Dienft geftellt. Ohne Spur der Abfichtlichkeit
werden die Bewegungen und Beftrebungen, die Probleme
und Nöte der Gegenwart beleuchtet, werden auch in-
ftruktive Erörterungen über die hl. Schrift, über den
evangelifchen Glaubensbegriff, über das Amt des Wortes
dargeboten. Öfter wird an den Anfang der Predigt,
befonders in den Feftzeiten, fofort das, um was es fleh
handelt, klar und feft hingeftellt; fo in der erften Ofter-
predigt: ,was uns zu Oftern fröhlich macht, ift, daß wir
einen lebendigen Chriftus haben, von dem es nicht heißt:
er war einmal, fondern der lebt und ift'; dann: ,was wir
an Himmelfahrt begehen, ift im Glaubensbekenntnis mit
den Worten ausgedrückt: fitzend zur Rechten Gottes';
am Trinitatisfonntage wird die religiöfe Bedeutung der
ökonomifchen Trinität hervorgehoben. Die Vorliebe des
Verfaffers für fcheinbar fernabliegende Texte, namentlich
bei Feftpredigten, hat den Vorteil, daß das Thema
der Predigt dadurch nicht feiten eine überrafchende Beleuchtung
erfährt, die um fo erfrifchender wirkt, als alle
Künftelei der Art des Verfaffers widerltrebt, daher ganz
ausgefchloffen ift. Am Fefte der Himmelfahrt wird
Hebr. 13, 14 zugrunde gelegt: .wir haben hier keine
bleibende Stadt (nicht: Statt), fondern die zukünftige
fuchen wir'; am Reformationsfefte Luc. 17,10: ,wenn ihr
alles getan habt, was euch befohlen ift' ufw.; am Toten-
fonntag Joh. 20,29: ,felig find, die da nicht fehen und
doch glauben'. Das führt uns auf eine andere, fehr beachtenswerte
, Eigentümlichkeit. Es fehlt ja nicht an allgemeinen
Themen, aber überwiegend find die fpeziellen;
fie find jedoch fämtlich der Art, daß das oft gehörte
Bedenken, fpezielle Themen könnten nur einen Teil der
Hörerfchaft intereffieren, nicht aufkommen kann. Die

vor weiterem Kreis zu den Kirchenfragen Stellung ge
nommen. Sie hatten befonderen Anlaß in der inzwifchen
vollzogenen Umwandlung der evangelifch-reformierten
Landeskirche Bafels in eine freie Volkskirche mit öffentlich
-rechtlichem Charakter. Aber fie befchränkten fich
nicht auf die akuten Verfaffungsfragen, fondern griffen auf
die Grundlagen alles Kirchentums, ja alles Chriftentums
zurück, fo fehr, daß der Titel der Reihe faft als zu eng
erfcheinen will. ,Was ift uns Jefus Chriftus?' fragt L.
Ragaz. Von der pofitiven Auffaffung will er den Gehalt
annehmen, nicht aber die Form; er prophezeit ihr übrigens
bemerkenswerter Weife eine große Zukunft. Am freifinnigen
Chriftentum befriedigt die Form, aber nicht der
Inhalt; denn Jefus wird von ihm zu ftark im Bereich des
bloß Menfchlichen feftgehalten. Am gefchichtlichen Jefus
vorbeigehen? Noch weniger. Wir müffen in der Erkenntnis
Chrifti einen neuen Weg gehen. In ihm ift die Wahrheit
des Menfchen erfchienen, aber auch die Wahrheit
Gottes. ,Der Gott, der uns in Jefus begegnet, ift nicht
die moniltifche Einheit von Gott und Welt, fondern der
weltüberlegene, perfönliche Gott, der Herr und Richter
der Welt' (S. 26). Das in ihm verkörperte gottmenfeh-
liche Leben aber muß fich auswirken zu einer gottmenfeh-
lichen Welt (28). Das alles faßt R. zufammen in den Satz,
für den er rechtes Verftändnis fordert: Jefus der Chriftus'.
Gedankengänge, die gegenüber den drei gefchilderten
nicht abfolut neu, aber in ihrer befonderen Faffung
und ihrer entfchloffenen Wucht fehr wirkfam find. —
P. Wer nie beantwortet die Frage: /Warum find wir
Proteftanten?' Die Wendung gegen .Proteftverfamm-
lungen' im Eingang mache ich mir nicht zu eigen ; in das
Lied von der Größe der katholifchen Religion (S. 3Öf.),
ftimme ich nicht voll ein. Aber die Ausführungen über
das, was wir gewonnen haben, da wir die eine katholifche
Kirche verließen, über die Güter, die über ,die an fich
ganz leere perfönliche Freiheit' weit hinausführen, find
trefflich. Sie werden der reformatorifchen Auffaffung
bei allem Zugeftändnis ihrer Mängel doch in der Hauptfache
durchausgerecht. —Theodor Schmidt, der ,Kirche
und foziale Frage' befpricht, erfreut durch unbefangene
Würdigung Wicherns wie Stöckers, fchildert fehr fcharf
kritifierend die foziale Untätigkeit der evangelifchen Kirche
als eine furchtbar traurige Gefchichte verpaßter Gelegenheiten
und zeichnet die fozialen Aufgaben der Kirche
nach fruchtbaren Gefichtspunkten. Seine Sätze fordern
mehrfach auch Widerfpruch heraus; wenn er die foziale
Frage die Schickfalsfrage der Kirche nennt, fo ift auch
diefe Formulierung einfeitig. Aber er bringt fehr vieles,
was zu gründlicher Befinnung auffordert. Dahin rechne
ich ausdrücklich die Darlegungen, welche eine pofitive
Wurdiprig der fozialiftifchen Bewegung anftreben. — An

H U tI Llechtenhans Vortrag mit dem allzu umfaffen- Spezialität geht alle an und ift für alle fruchtbar: z. B.
den 1 hema ,Kirche, kirchliche Parteien und Reich Gottes' j .Kann Buße Freude fein?' /Von den Grenzen der Barm-
lcneinen mir die gefchichtlichen Partien mit ihrer guten 1 herzigkeit.' ,Der Wert der Dankbarkeit.' /Wie fich Altes
Entwicklung der Notwendigkeiten in der kirchlichen Ent- j und Neues verträgt.'

Wicklung nicht ganz mit den prinzipiellen Bemerkungen Doch eine Schranke der Predigten ift nicht zu ver-

uber das, was der evangelifchen Kirche not ift, zu ftimmen. | kennen. Sie liegt darin begründet, daß — ich folge nur
Sehr intereffant find die Notizen über das Bafeler Partei- i dem Eindruck der Predigten felbft — die Hörerfchaft
leben: find danach nicht eigentlich in der Bafeler Volks- nicht die einer abgefchloffenen Parochial-Gemeinde ift,
kirche zwei Kirchen äußerlich verbunden? Jedenfalls geht j fondern die einer Perfonal-Gemeinde. Daher fehlt der
die Scheidung der Richtungen weit über das hinaus, was ' Gemeindefaktor; nur feiten und nur in fchüchterner Weife
bei uns z. Z. üblich ift. — Alles in allem: gedankenreiche, kommt er zu Wort. Am Bußtage, an dem der gemein-