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Ausgabe:

1912

Spalte:

151-153

Autor/Hrsg.:

Dunkmann, Karl

Titel/Untertitel:

Das Sakramentsproblem in der gegenwärtigen Dogmatik 1912

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Alls find aber die Quantitäten bedeutungslos, auf die
Qualität kommt alles an. Ferner gibt ihm das neue
Denken erft den Mut zum Kampfe wieder. Das alte
Denken mußte alles in einen lähmenden Monismus
fpannen, jetzt ift das fittliche Ringen des Einzelnen ein
Moment des Allebens. Hier bricht im modernen Leben
etwas durch, was einzig und allein in der Religion der
Bibel Heimatsrecht hatte. Gewiß ift auch hier Gott unveränderlich
, aber in Heiligkeit, Gerechtigkeit, Treue und
Liebe. Dies fein innerftes Wefen fchließt aber nicht aus,
fondern ein, daß er als abfolute Lebensmacht in immer
wechfelnden Formen fich durchfetzt, in jedem Akt nicht
nur künftlerifcher Schöpferkraft fich manifeftiert, fondern
vor allem in jedem Akt fittlicher Freiheit, befonders bei
denen, die neue fittliche Werte fchaffen, in einziger Weife
bei Jefus, aber auch den geringen Beruf als Durchbruchspunkt
feiner Wirkfamkeit heiligend. Von diefen modernen
Grundgedanken fällt ein neues Licht auch auf den zentralen
Vergeltungsgedanken. Urfprünglich eine Befreiung
aus heidnifcher Willkür, mußte er im Judentum zum Tod
aller Religion führen, weil er oberftes Prinzip fein wollte;
als Hilfsmittel der erlöfenden Lebensmacht Gottes aber
behält er feine ewige Bedeutung. Alles Streben nach
einer Theodizee wird aber entwurzelt. Das Leben ift
prinzipiell unbegreiflich. Religiöfe Gewißheit gibt es nur
durch Handeln. Joh. 7,17 wird erft heute wahrhaft gewürdigt
. Nur wer wird wie Gott, begreift ihn. So macht
das moderne Denken dem religiöfen Erleben der Bibel
heute wieder Bahn.

Lauenburg (Elbe). Schmidt.

Dunkmann, Pred.-Sem.-Dir.Lic.K.: Das Sakramentsproblem
in der gegenwärtigen Dogmatik. (Beiträge z. Förderg.
chriftl. Theologie. XV. Jahrg. 1911. 2. Heft.) (156 S.)
8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1911. M. 2.80

,Die vorliegende Studie ift als Fortfetzung meiner
Unterfuchung über das religiöfe Apriori (Beiträge zur
Förderung chriftlicher Theologie 1909, Nr. 3) gedacht, und
zwar als eine Art Experimentalverfuch der Anwendung
der dort entwickelten Grundanfchauung auf eines der
verwickeltften dogmatifchen Probleme der Gegenwart'. Der
Verf. will ,die Überlegenheit einer das „Apriorifche", d. h.
alfo Wefenhafte oder Allgemeingültige der Religion unmittelbar
mit der Gefchichte verbindenden theologifchen
Pofition dartun. Neu ift alsdann nur die Umgeftaltung
der Frageform; der Inhalt dagegen, fowie er von jeher
einer pofitiven Theologie zugrunde lag, bleibt unverändert.
Non nova, noviterl'

Die Schrift D.s zerfällt in zwei Teile. Der erfte gibt
einen ,hiftorifch-kritifchen Überblick'(9—62). Die moderne
Erörterung des Sakramentsproblems ift durch das Dilemma
von Magie (römifche Lehre, zu welcher Luther im Wefent-
lich fich wieder zugewendet habe) und Symbolismus
(Zwingli), durch die Verhältnisbeftimmung des Magifchen
und Rationalen oder Spirituellen in größerem oder geringerem
Maße beftimmt. In der befonders durch Schleiermacher
vertretenen pfychologifchen Faffung kehrt jene
dualiftifche Grundauffaffung nur plump verhüllt wieder
(12 — 17. 41)- üie gefchichtliche Grundlegung der Theologie
durch O. Ritfehl (vgl. auch J. Kaftan, Häring) war
ebenfalls nur ein Deckmantel für fpiritualiftifche, refp.
rationaliftifche Modifizierung der Grundbegriffe (17—24.
41). In bewußten Gegenfatz zu diefer fpiritualiftifchen
Tendenz tritt eine mehr realiftifche Grundanfchauung, die
aber auch, wie die Ritfchlfche, als eine Ausprägung des
modern-gefchichtlichen Gefichtspunktes zu betrachten ift;
fie ift aus der Kreuzung altlutherifcher und pietiftifcher
Traditionen entftanden und findet ihre Hauptvertreter in
den fog. Neulutheranern (Höfling, Martenfen, Stahl, Tho-
mafius, Luthardt, Frank), befonders aber in M. Kähler,
deffen Grundgedanken D. einer eingehenden Kritik unterwirft
. Auch Kähler fei es nicht gelungen, den Bann der
modern-dualiftifchen Frageftellung zu befeitigen (24—41).
Die Prüfung neuer Verfuche (Scheel, R. Grützmacher,
R. Seeberg) gelangt zu dem Ergebnis, daß felbft der
von D. fehr gefchätzte Theologe, Grützmacher, die alte
dualiftifche Spannung noch nicht völlig überwunden hat
(41—62).

Der zweite Teil ,Pofitive Ausführungen' (53—155)
fchneidet Fragen an, ,zu deren Löfung ein neuer Apparat
dogmatifcher Prinzipienlehre erforderlich ift'. Es gilt vor
allem einen ausreichend begründeten Ausgangspunkt für
die weitere Unterfuchung zu gewinnen. Daran ließen es
die von D. in feinem hiftorifch-kritifchen Teil vorgeführten
Verfuche fehlen. Eine nochmalige kritifche Prüfung jener
Verfuche unter diefem neuen Gefichtspunkt foll diefe Aus-
fage beftätigen (63—72). Indem der Verf. jede ausfchließ-
liche einfeitige Heranziehung von Taufe und Abendmahl
abweift und daher lieber vom Begriff des Sakramentalen
als vom Sakramentsbegriff redet, bemüht er fich um
Ergänzung des bei feinen Vorgängern nachgewiefenen
Mangels. Da eine proteftantifche Dogmatik fich nach
der Wirklichkeit des realen Lebens felbft einzurichten
hat (72), fucht D. das Wirklichkeitsmoment, das heißt
eine wirkliche religiöfe Erfahrung, ein reales Erfahrungsmoment
im Sakramentalen nachzuweifen (73. 79. 94). Läßt
fich ein folches nicht finden, fo muß die Frage erhoben
werden, ob wir den Begriff des Sakramentalen in der
proteftantifchen Dogmatik noch mit Recht gebrauchen
können (95). Eine Analyfe der Begriffe der Gefchichte,
des Wortes Gottes und des Sakramentalen führt den Verf.
zu dem gefuchten Wirklichkeitsmoment des Sakramentalen
. ,Es bedeutet die Naturfeite am geiftigen Erlebnis
der gefchichtlichen Religion' (119). Es gereicht dem
Dogmatiker, der fich durch grundlegende Ausführungen
den Weg gebahnt hat, zu großer Genugtuung, die Unnahbarkeit
der anfangs angedeuteten Problemftellung
nachgewiefen zu haben. Den naiven abfoluten Gegenfatz
von Objekt und Subjekt, Natur und Geift ,hat er in die
gegebene relative Unterfcheidung von Natur und Gefchichte
umgewandelt' (130).

Wir gönnen gerne dem Verf. die Freude, die ihm
jene Löfung der Frage nach dem Verhältniffe zwifchen
dem gefchichtlichen und dem aprioriftifchen Charakter
des Chriftentums und die Anwendung diefer Löfung auf
den Sakramentsbegriff bereitet. Auch fonft empfindet er
das erhebende Gefühl, eine Reihe von bisher überfehenen
Beziehungen entdeckt zu haben (126. 96. u. fonft). Daß
indeffen diefer in Bewegung gefetzte gewaltige Begriffsapparat
für das Verftändnis des evangelifchen Sakramentsgedankens
etwas Wefentliches abwirft, vermag Ref. nicht
zu finden. Wie dürftig nimmt fich das gefuchte Wirklichkeitsmoment
im Begriff des Sakramentalen aus! Wie
disputabel ift der von D. gewählte Ausgangspunkt felbft!
Auch der unter fteter Ausfcheidung von Taufe und Abendmahl
feilgehaltene und durchgeführte Allgemeinbegriff des
Sakramentalen muß berechtigte Bedenken hervorrufen.
Die völlige Ausfchaltung der biblifch-theologifchen Betrachtung
trägt nicht zur Vertiefung des behandelten
Problems bei. Allerdings würde ein näheres Eingehen
auf die neuteftamentlichen Direktiven ein ganz anderes
methodologifches Verfahren bedingt haben. Allein gerade
diefe Umkehrung der Frageftellung dürfte ein Vorteil
gewefen fein, und ein frifcher Luftzug aus unferen bib-
lifchen Urkunden würde den fcholaftifchen Duft, der über
das Ganze ausgebreitet ift, gewiß zerftreut haben. Die
Schwierigkeit der Darftellung mag man mit der Bemerkung
rechtfertigen, daß fo gewichtige Gegenftände nicht
im Feuilletonftil behandelt werden können; damit ift aber
die häufige, z. T. gewiß unnötige Verwendung von Fremdwörtern
nicht hinreichend begründet (z. B. das immer
wiederkehrende Tpirituell' 17. 18. 23. 24. 37. 40. 81 und
öfter). Ob diefe Ünterfuchung als eine Bereicherung und
Förderung der modernen Theologie alten Glaubens zu