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Ausgabe:

1912 Nr. 5

Spalte:

147-149

Autor/Hrsg.:

Unger, Rudolf

Titel/Untertitel:

Hamann und die Aufklärung 1912

Rezensent:

Stephan, Horst

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 5.

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Gwalther, Ludwig Lavater nach, bei Zwingli wenigftens
einen kraffen Teufelsglauben. Auffatz IX analyfiert die
Hexenfchrift des Calvinilten Lambert Daneau 1574, Auffatz
X gilt ,einem Bekämpfer der Hexenverfolgung' Anton
Prätorius, deffen Identität mit Johann Scultetus erwiefen
wird; doch beurteilt P. m. E. ihn zu günftig, Prätorius
geht doch kaum über Brenz hinaus, über den P. (f. o.)
anders urteilt. Auffatz XI bemüht fich um den Nachweis,
daß die Zufpitzung des Hexenwahnes auf das weibliche
Gefchlecht nicht hauptfächlich die Schuld der weiberfeindlichen
m. a. Theologen und Mönche fei, vielmehr im

nicht zu fchaffen, er müßte denn ganze Jahrzehnte daran
wenden. Der Literarhiftoriker U. hat nun bereits früher
durch fein Buch über ,Hamanns Sprachtheorie im Zufam-
menhang feines Denkens' (1905) bewiefen, daß er den Mut
und die Kraft befitzt, die Hamannforfchung gerade in
den genannten Punkten auf eine neue Stufe zu heben. Sein
neues umfangreiches Werk erfüllt die Hoffhungen, die
man darnach auf ihn fetzen durfte. Es gibt noch mehr,
als der Titel verfpricht: nämlich eine tiefdringende Analyfe
und gelehrte Kommentierung der wichtigften Hamann-
fchen Schriften und ein Bild feines Helden auf dem gan-

heidnifchen Altertum wurzle. P. bringt zu dem Zwecke ; zen Hintergrunde der Zeit, mit genauer Herausarbeitung
wertvolle religionsgefchichtliche Parallelen bei; feine Thefe [ der pofitiven oder negativen Beziehungen zu ihren ver-

ift richtig, zumal er nicht leugnet, daß die Theologen die
Entwicklung gefördert' haben (S. 204fr.). Freilich in der
Einfehätzung des Hexenhammers vermag ich P. nicht
ganz zuzuftimmen, P. fucht die Quellen ab auf ihre Be-
kanntfehaft mit dem Hexenhammer; addiert man, fo ift
feine Bedeutung doch größer gewefen, als P. annimmt.
Angefichts der von P. felbft gebrachten Zeugniffe kann
man von einer .unbedeutenden Rolle' des weiberfeindlichen
Kapitels im Hexenhammer doch nicht reden. Er ift auf
katholifcher Seite doch bedeutfam gewefen, nicht zwar
auf proteftantifcher. Toll z. T. find übrigens die Urteile
über die Minderwertigkeit der Weiber, die u. a. daraus
erfchloffen wird, ,daß die innerlichen Glieder und Eingeweide
in den Weibern größer find denn bei den Männern,
welche deshalb fo heftige Begierden nicht haben. Hingegen
aber find der Mannsbilder Häupter viel größer, und
darum haben fie auch mehr Hirn, Verftand und Weisheit
denn die Weibsbilder'; felbft Luther kann nach einer
Tifchrede bei Cordatus ähnlich witzeln. Der XII. Auffatz
erläutert den Begriff immuratio, der nicht Einmauerung,
vielmehr die gewöhnliche Gefängnisftrafe bedeutet. Endlich
der Schlußauffatz erklärt die Tatfache, warum in
Rom im Gegenfatz zu Deutfchland nur wenige Hexen

fchiedenen Geiftesftrömungen und Führern. Es gibt alfo
etwa das wirklich wiffenfehaftlich, was Gildemeifter unzulänglich
angeftrebt hatte. Übrigens vermehrt der zweite
Band, der wefentlich aus den Anmerkungen zu dem
darftellenden erften befteht, auch das Material der
Hamannforfchung beträchtlich. Er druckt eine Anzahl
von Beiträgen aus der .Daphne' (1750) fowie den .Königsberger
Gelehrten und Politifchen Zeitungen' (1764fr.) ab
die er erftmals für feinen Helden beanfprucht. Auch
der Beitrag zur Hamannbibliographie und das Regifter
find dankbar zu begrüßen. So ift durch U. ein neuer
Grund gelegt. Man muß nur wünfehen, daß er bald
durch die von der Berliner Akademie geplante kritifche
Ausgabe von Hamanns Schriften nach anderen Richtungen
hin vervollftändigt wird. Erft wenn auch das gefchehen
ift, wird man mit voller Freude an den Hamann-Problemen
weiter arbeiten können.

U. dringt tief indiefruchtbare Verbindung ausgeprägter
Sinnlichkeit mit dem Leben im Überfinnlichen ein, die
Hamann eigentümlich ift. Er zeigt, wie im Zufammenhang
damit der religiöfe und der von England herüberkommende
fenfualiftifche Irrationalismus bei dem Magus verfchmelzen,
und wie er nun doppelt gerüftet feinen genialen Kampf

verbrannt wurden, aus der Praxis der Inquifition. Der wider den mächtigen intellektualiftifchen Zeitgeift führt.

Erlaß Gregors XV von 1623 bedeutet gegenüber der bisherigen
Praxis eine Verfchärfung, war aber noch immer
milder als die obrigkeitliche Beftrafung in Deutfchland. —
Ein Namen- und Sachregifter ift beigegeben. Es wäre
zu wünfehen, daß P. die .Baufteine' bald zu einem ganzen
Gebäude zufammenfügt.

Zürich. Walther Köhler.

Unger, Rudolf: Hamann und die Aufklärung. (Studien zur
Vorgefchichte des romant. Geiftes im 18. Jahrh.) 1. Bd.
Text. 2. Bd. Anmerkgn. u. Beilagen. (II, 979 S. m.
1 Bildnis.) gr. 8°. Jena, E. Diederichs 1911. M. 24—;

geb. M. 30 —

Daß Hamann überaus wichtig für die Neugeftaltung
des proteftantifchen Chriftentums ift, die feit der Mitte
des 18. Jahrhunderts allmählich unter gegenfeitiger
Durchdringung von Pietismus und Aufklärung erwuchs,
das ließ fich längft erkennen. Es war dazu nur nötig,
daß man fich über den öden Gegenfatz der liberalen und
der pietiftifch-orthodoxen Betrachtung erhob (vgl. meine
Studie in ZThK 1902, S. 345—427). Aber mehr als ein
vorläufiges, wenn auch noch fo intereffantes Bild feines
ChrifUntums war nicht zu gewinnen, fo lange zwei
Schwierigkeiten beftanden. Es mußten zunächft die Taufende
von literarifchen, gefchichtlichen und perfönlichen
Anfpielungen, die Hamann .fibyllinifch' in alle Urkunden
feines geiftigen Lebens verwebt, in ihrer Bedeutung aufgehellt
und fo für das Verftändnis fruchtbar gemacht
werden. Es mußten ferner durch außertheologifche, vor
allem literaturgefchichtliche Arbeit die Fäden enthüllt
werden, die von Hamanns Frömmigkeit in fein gefamtes ,

Schrifttum hinüberlaufen; denn erft fo wird fein Chriften- | meinfamen Stoffe leiften kann. Seine theologifch-einzel

Die Art, wie U. dabei Hamanns Frömmigkeit zu verftehen
fucht, ift vorbildlich. Es fehlt ihm völlig das .liberale'
Abfprechen über alles ausgeprägte Chriftentum, das lange
Zeit den Literarhiftoriker kennzeichnete, und das gegenüber
Hamann nicht einmal von fo bedeutenden Männern
wie Rudolf Haym gänzlich überwunden worden ift. Gerade
das Irrationale und Charakteriftifche an Hamanns Religion
ift es, was den modernen, von Eucken beeinflußten For-
fcher anzieht; er hat feine helle Freude daran, daß Hamann
nach einem Worte Hebbels nicht wie fo mancher
Aufklärer ,mit fechs gut abgerichteten Flöhen' dahin-
kutfehiert, fondern das .Gefpann des Ezechiel' regiert.
Solche kongeniale Sympathie erfchließt ihm das Verftändnis
des Vorgangs, wie in Hamann das religiöfe Leben
die Quelle für feine tiefen Erkenntniffe auf fo manchem
anderen, befonders dem äfthetifchen Gebiete wird. Und
da er Hamann ftets im Zufammenhang der ganzen modernen
Bildungsgefchichte fchaut, fo öffnet fich ihm an
diefem Punkte der Einblick in die bisher nur immer geahnte
und poftulierte Bedeutung, die das religiöfe Moment
, zumal Luther und der Pietismus, für das Werden
des deutfehen Idealismus überhaupt befitzt. Wir können
nur wünfehen, daß U.s Beifpiel viele zur Nachfolge
lockt, daß alfo Literaturgefchichte und Philofophie
befonders an den entfeheidenden Punkten der Geiftes-
gefchichte häufiger die Frage aufwerfen lernen, wie gerade
die lebendige, ausgeprägte Frömmigkeit das übrige Geiftes-
leben zu neuen Schöpfungen befruchtet und beflügelt.
Je beffer dann die außertheologifche Wiffenfchaft das
religiöfe Element würdigt, defto ftärker weiten und vertiefen
fich umgekehrt auch die Gefichtspunkte, unter denen
der Theologe feinen Beitrag zu der Behandlung der ge-

tum als das Herz all feines Fühlens und Denkens, wird die I wiffenfehaftliche Arbeit wird durch Werke wie die U.s
Gefamtftruktur feines Innenlebens einigermaßen verftänd- | keineswegs überflüffig, fondern eher noch notwendiger,
lieh. Der Theologe allein vermag diefe Vorausfetzungen Es bedarf z. B. einer Abgrenzung der fpez. pietiftifchen,