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Ausgabe:

1912 Nr. 5

Spalte:

145-147

Autor/Hrsg.:

Paulus, Nikolaus

Titel/Untertitel:

Hexenwahn und Hexenprozeß vornehmlich im 16. Jahrhundert 1912

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 5.

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fprechende Dokumente, welche (ich auf die Ordnungen,
Liften der Kirchfpielorte, Verzeichniffe der Einkünfte, Statuten
des Ruralkapitels und die Lorcher Brüderfchaft
beziehen. Die Seiten 204—238 bringen ein fehr ausführliches
Orts- und Perfonenregifter. Den Schluß bildet
ein Gloffar und Sachregifter S. 239—243. Vorangeftellt
ift dem Ganzen eine Einleitung S. V—XXXIV, welche
die Grenzen des Lorcher Kirchengebietes unter Beifügung
einer Karte S. XVII beftimmt und über die dortige Pfarrkirche
, das dortige Stift u. ä. erläuternde Angaben macht.
— Es liegt in der Sache begründet, daß die vorliegende
Publikation zunächft von lokaler Bedeutung ift. Weitaus

man kann von einer aufklärenfchen Stellung des Prote-
ftantismus gegenüber dem Hexenglauben nicht fprechen,
im Gegenteil, gewinnt eher der Katholizismus in diefer
Frage. P. weiß fehr wohl (f. das Vorwort), daß mit feinen
Auffätzen das Problem ,Reformation und Hexenprozeß'
nicht erledigt ift, er will fte nur als .kleine Baufteine'
betrachtet wiffen; ein ganzes Gebäude erhalten wir erft,
wenn nun auch die Stellung des Katholizismus, foweit
er hexenverfolgend war, eingehend unterfucht wird.
Die Heraushebung jenes Mittelpunktes durch P. ift durchaus
berechtigt, folange noch folche Bücher gefchrieben
werden wie das von Ohle in Schieies religionsgefchicht-

die meiften Notizen, welche fte enthält, beziehen fich auf j liehen Volksbüchern. Die Grundthefe von P., mag man

den Lorcher Kirchenfprengel und können über diefen
hinaus nicht ein allgemeines Intereffe in Anfpruch nehmen.
Daneben enthält das Buch jedoch auch manche Einzelangaben
, welche zur Illuftration der kirchlichen Ordnungen
und des kirchlichen Lebens im MA. konkretes Beleg

auch über Details hie und da ftreiten, ift richtig: der
Proteftantismus bedeutet in puncto Hexenwahn keinen
Fortfehritt gegenüber dem Katholizismus; man kann auch
nicht fagen: er hat die Eierfchalen des Mittelalters hier
beibehalten, und damit diefes belaßten, denn P. betont

material darreichen. Man wird das erklärlich finden, wenn j (S. 45 h) mit Recht einmal, daß die Wurzel des Hexen-
man bedenkt, daß die Gründung der chriftlichen Gemeinde j glaubens nicht im Mittelalter, fondern bei der Antike
zu Lorch bis in die Zeit der Römerherrfchaft zurückzu- j liegt, fodann, daß die Reformation fo und fo viele andere

datieren fein dürfte (S. XVIII), daß die Lage diefes Stiftes
zwifchen den Bistümern Würzburg, Augsburg und Kon-
ftanz mannigfache Beziehungen zu denfelben verurfacht
hat, daß man aus dem mitgeteilten und vom Herausgeber
erläuterten Ouellenmaterial einen ziemlich genauen Einblick
darüber gewinnt, wie fich nach und nach felbftändige
Kirchfpiele auf dem Boden der urfprünglich einheitlichen
Pfarrgemeinde entwickelt haben und wie das Kollegial-
ftift in Lorch feine kirchenrechtliche Bedeutung allmählich
an das benachbarte Klofter Lorch verloren hat ufw. Aus
der überaus großen Menge von Einzelheiten hebe ich nur
zwei Punkte hervor, welche anderweitig beobachtete kirchliche
Vorkommniffe des MA. beftätigen: 1. die Zufammen-
fetzung des Lorcher Stiftskollegiums aus 13 Perfonen (unter
ihnen auch ein Scholafticus). Diefe Zahl entfpricht ab-
fichtlich derjenigen Zahl, welche Jefus mit feinen Jüngern
bildet (S. XXlII); 2. das Vorkommen der fogen. Johannes-
Minne in einer Urkunde vom Jahre 1508 (S. 146). Die
betreffende Notiz über die letztere, die am 27. Dezember,
dem Tage Johannis apostoli et evangeliftae zu erfolgen
hatte, erfcheint mir wichtig genug, um fie auch an diefer
Stelle mitzuteilen. Sie lautet: De mane (findet ftatt)
officium cum sermone. Et benedicitur vinum sicut
habetur in obsequiali sub sermone et potatur populus
post sumptionem sacramenti a plebanis. — Den
kirchenhiftorifchen Forfchern, insbefondere auch den For-
fchern auf dem Gebiete der Gefchichte der Prakt. Theol.
wird diefe Urkundenfammlung von Mehring höchft willkommen
fein.

Göttingen K. Knoke.

Paulus, Nikol.: Hexenwahn u. Hexenprozeß vornehmlich im
iö.Jahrh. (VII, 283 S.) 8°. Freiburg i/B., Herder 1910.

M. 3.40; geb. M. 4 —

Als Motto über diefe Schrift von Dr. Paulus könnte
man das Wort fetzen, das die proteftantifche Schriftftellerin
Louife v. Frangois an den Zürcher Dichter Conrad Ferdinand
Meyer 1882 fchrieb: .Übrigens haben wir Prote-
ftanten auch mit frommer Luft unfere Hexen verbrannt,
wenn auch juft nicht hinterrücks, fondern, was vielleicht
Ichhmmer, weil nicht durch momentanen Wahnfinn ent-
lchul°bar ift, offenen Vifirs nach Pflicht und Gewiffen,
und Ehren-Calvin hat es wahrlich auch nicht an heiligen
Blutgenchten fehlen laßen. Ich entflamme einer huge-
nottifchen Flüchtlingsfamilie jedennoch: ein jeder mag fich
an feiner eigenen Nafe zupfen'. (Briefwechfel zwifchen
Louife v. Frangois und Conrad Ferdinand Meyer, hg. v. A.
Bettelheim 1905, S. 57). Denn die in vorliegendem Buche
vereinigten, früher an verfchiedenen (warum von P. nicht
angegebenen?) Stellen niedergelegten, dabei z. T. neubearbeiteten
Auffätze drehen fich alle um den Mittelpunkt: j bei Bullinger, Jofias Simler, Vermigli, Joh. Wolf, Rud.

mittelalterliche Eierfchalen abftieß, alfo verantwortlich
gemacht werden muß, wenn fie fie hier beibehielt.

Der erfte Auffatz behandelt .Geiler und das Hexen-
wefen' und zeigt, daß er den Hexenhammer allem An-
fcheine nach nicht kannte, vielmehr namentlich Johann
Nider und den Tübinger Profeffor Martin Plantfch benutzte
, fo ftark, daß G. in feinen Straßburger Hexenpredigten
,kaum einen felbftändigen Gedanken ausfpricht'.
Aufklärerifches findet fich bei G. nicht, auch andere kennen
die Möglichkeit der Autofuggeftion. Mit Luther be-
fchäftigen fich zwei Auffätze, der eine zeigt allgemein
feine Stellung zur Hexenfrage — P. gibt eine fehr wertvolle
Zufammenftellung der betr. Lutherworte, die u. a.
auch gegen Waltz (ZKG II, 631) die Hiftorizität der Erzählung
von dem dem Teufel ins Butterfaß fch . . . . en
Bugenhagen nachweift — und die Wirkung derfelben
auf die Hexenprozeffe. In Predigten und fonftigen Schriften
haben fich die Hexenverfolger wiederholt auf Luther
berufen; eine Verfchärfung der gemeinrechtlichen Straf-
gefetze gegen Hexen und Zauberer tritt zuerft in Kur-
fachfen auf. P. weiß fehr wohl, daß fich der Einfluß
Luthers nicht immer genaueftens beweifen läßt, aber
vorhanden gewefen ift er. Hauptautorität der proteftan-
tifchen Hexenverfolger war die Bibel (Auffatz IV), fpeziell
Exod. 22,18 und Dt. 18. P. hätte herausheben follen,
daß man — vgl. S. 72, 84, 86 — die hier vorliegenden
mofaifchen Gebote gleichfetzte mit dem Naturrecht; das
ift für die Entwicklung nicht bedeutungslos geworden,
denn von da aus gewann man die Möglichkeit (vgl. S. 84),
die kaiferlichen Gefetze gegen Zauberer und Hexen als
gleichberechtigt neben die Bibel zu ftellen, fie galten
(S. 86) als ,eine Gabe Gottes'. Auffatz V handelt über
Württemberger Hexenpredigten aus dem 16. Jh., fpeziell
wird Brenz beleuchtet; er leugnet zwar, daß die Hexen
durch ihre Zaubermittel Unwetter anrichten können, will
fie aber wegen ihres Bundes mit dem Teufel mit Recht
zum Tode verurteilt wiffen, mahnt aber die Obrigkeit zu
großer Umficht. Die Anficht von Brenz, der Teufel
könne ohne Zulaffung Gottes den Menfchen keinen Schaden
zufügen, ift nicht über m. a. Niveau hinausgehend. Gegenüber
K. Beyer (Kulturgefchichtliche Bilder aus Mecklenburg
) zeigt Auffatz VI, daß Mecklenburg unter Führung
feiner Prediger lange den Hexenprozeß förderte. Die
Skizze VII knüpft an an die Mitteilung, der lutherifche
Rechtsgelehrte Carpzov habe 20000 Todesurteile gefällt;
fie kann natürlich in diefer Form nicht aufrecht erhalten
werden, doch zeigt P., daß Carpzov ganz die Anflehten
des Hexenhammers teilte. Auffatz VIII behandelt ,den
Hexenwahn bei den Zwinglianern des 16. Jhs.' P. wendet
fich hier fpeziell gegen eine Abhandlung von Paul Schweizer
(Zürcher Tafchenbuch 1902) und weift den Hexenwahn