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Ausgabe:

1912 Nr. 5

Spalte:

142

Autor/Hrsg.:

Robinson, J. A.

Titel/Untertitel:

Gilbert Crispin, Abbot of Westminster 1912

Rezensent:

Macewen, A. R.

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 5.

142

zufammenhangs der gemeinfamen Ausführungen bei den
Konkurrenten. H. zeigt — m. E. unwiderleglich —, daß
der urfprüngliche, als frei konzipiert verftändliche Zu-
fammenhang bei Tertullian zu erkennen ift. Diefer Nachweis
verftärkt die von Harnack, Chronologie II 324 fr.,
unter abfichtlicher Zurückftellung der Detailvergleichung
referierten oder neu entwickelten Gründe. Möchte doch
dies ,bis zum Überdruß verhandelte', in der Tat .läftig'
gewordene Problem damit wirklich .endgültig befeitigt'
fein (S. 298 C)l Aber ich wage es nicht ernftlich zu hoffen;
es hat neben feinen läftigen auch dankbare Seiten, die
es am Leben erhalten werden.

Am meiften Beachtung werden — hoffentlich! —
diejenigen Ausführungen H.s finden, in denen er darzutun
verfucht, daß die unter den Kirchenhiftorikern m. W.
faft allgemein vertretene Auffaffung von der politifchen
Behandlung der Chriften und der rechtlichen Natur des
gegen fie geführten Prozeffes irrig ift. Das wefentliche
Moment diefer von K. Neumann begründeten, von
Mommfen ausgebildeten Auffaffung ift die Anfchauung,
daß die — im ganzen ja nicht zahlreichen — Chriften-
prozeffe der älteren (vordezianifchen) Zeit nicht auf
gegen das Chriftentum erlaffenen Gefetzen und

Robin Ion, J. Armitage, D.D.: Gilbert Crispin, Abbot of
Westminster. A study of the Abbey under Norman
rule. (XI, 180 S.) Lex. 8°. Cambridge, University Press
1911. s. 5 —

Armitage Robinfon widmet diefes .opusculum
curiosius exaratum' feinen bisherigen Kollegen in Weft-
minfter im Augenblick feines Scheidens von der berühmten
Abtei, in der er der Sache der chriftlichen Gelehr-
famkeit würdig gedient hat. Es ift die dritte von einer
Serie von Weftminfter .Notes and Documents' und wenn
auch kein bedeutendes Werk, fo hat es doch für gewöhnliche
Lefer größeres Intereffe als die früheren Teile der
Serie, weil es uns mit einer anziehenden Perfönlichkeit
bekannt macht. Gilbert Crispin, von 1085—1117 Abt von
Weftminfter, war einer von jenen Geiftlichen, die der
Kirche von England nach der Eroberung durch die Normannen
Bedeutung verliehen. Selbft ein Normanne von
hoher Abkunft wurde er in Bec unter dem Einfluß von
Harduin, Lanfranc und Anfelm erzogen und zeigte trotz
der unruhigen Zeiten, unter denen feine Amtsführung
verlief, jene ruhige, ernfthafte, und nachdenkliche Sinnesart
, die die klöfterliche Gelehrfamkeit auszeichnete. Mit

Verordnungen beruhten, fondern auf in der Regel polizei- Rückficht auf die Verwaltung und die Eigentümlichkeiten
richterlicher Anwendung allgemeiner Rechtsbeftimmungen. Weftminfters gibt Dean Robinfon zahlreiche Details die
Diefer Auffaffung ftellt H. den runden Satz gegenüber: die Art und Weife beleuchten, auf welche die englifchen
,Das Chriftentum ift durch leges verboten, d. h. wahr- ! Abteien Reichtum erwarben und ihren Einfluß ausdehnten,
fcheinlich ein Senatskonfult aus älterer Zeit, zu dem I Aber für die meiften Lefer liegt der Wert der Monogra-
kaiferliche Refkripte Ausführungsbeftimmungen gegeben I phie in dem Bericht, der von den Schriften Crispins
haben. Diefe leges verbieten das Chriftentum als fol- ! gegeben wird und von dem vernünftigen und umfaffenden
ches ufw.' (S. 292). Die Beweife für diefe der herrfchend j Sinn, mit dem er große religiöfe Fragen behandelte. Seine
gewordenen fundamental widerfprechenden Anficht muß Disputatio Iudai cum Christiano, von der zu unferm Behl
, .vorläufig fchuldig bleiben'. Einftweilen kommen Aus- | dauern in diefem Bande nur ein Auszug gegeben wird,
führungen befonders S. 291 ff., 300, 302, 312, 332 ff, 433 ff, 1 ift eine bemerkenswerte und charakteriftifche Apologie.
447 f. in Betracht, fowie der Verweis auf einen m. W. ! Diefelbe Eigenfchaft zeigt durchweg die Abhandlung De
wenig bekannten Auffatz von L. Guerin, Etüde sur le j Simoniacis, die eine brennende Frage des fpäteren Mittel-

fondement juridique des persecutions dirigees contre
les chretiens (Nouvelle Revue historique de droit francais
et etranger XIX), den ich bei diefer Gelegenheit gern

alters behandelte, nämlich inwieweit die intentio eines
Priefters feine amtlichen und fakramentalen Handlungen
unwirkfam macht. Crispin prüfte diefe Frage mit Sym-

weitergebe. In einer fo wichtigen, fchlechthin grund- ; pathie aber fcharffinnig, frei von Parteilichkeit und Konlegenden
Frage der Kirchengefchichte gegen eine un- j fequenzmacherei, wie man fie beim Beginn des 12. Jahrh.
vollftändig begründete Meinung zu polemifieren, wäre ! nicht, wenigftens nicht bei einem Geifte zweiten Ranges, ermißlich
. Ich verfage es mir deshalb, darauf einzugehen, [ wartet. Als er die Disputatio Anfelm zur Kritik überkann
aber nicht unausgefprochen laffen, daß mich er- fendet, bittet Crispin den berühmten Theologen demütig,
neute Durchficht der Quellen und Unterfuchungen zu- I die Abhandlung zu korrigieren oder, wenn er's für recht

hält, zu unterdrücken, und fchreibt im Ton eines vertrauenden
Schülers. In der Tat würde der Briefwechfel
zwifchen Gilbert und Anfelm an fleh fchon Dean Robin-
fons .Opusculum' wertvoll gemacht haben. Es ift etwas
Bedeutendes, den Charakter eines Mannes der Verborgenheit
entriffen zu haben, an den der Verfaffer von ,Cur
Deus homo' fchreiben konnte: .Nesciebam enim, non
expertus absentiam tuam, quam dulce mihi erat esse

tecum, quam amarum sine te esse..... Multo melius

de te sperandum est et de similibus tuis, quorum vita
est in saneta conversatione nutrita, quam de me et de
similibus meis, quorum vita olim est saeculari conversatione
detrita'.

Im Anhang bringt Robinfon einige Urkunden aus
den Jahren 1076—1127 mit einer unnötigen Entfchuldigung
wegen feiner Unerfahrenheit in der Klaffifizierung von
Urkunden. Der Anhang ift wie das ganze Werk feines
Autors würdig. Nur dürfen wir lächeln, wenn wir lefen,
daß er einer Tradition nicht .völlig mißtraut', die berichtet
, daß ein heiliger und gerechter Bifchof bei dem
Vernich, ein Haar aus dem Bart des Leichnams Eduard
des Bekenners zu ziehen, auf übernatürliche Weife daran
gehindert wurde. Das Zeugnis für diefe Tradition, wie fie
R. andeutet, ift eine .blühende großartige* Verfion einer
Gefchichte, die Ailred von Rievaux, der forglofefte Legendendichter
, erzählt.

Edinburgh. A. R. MacEwen.

nächft unerfchüttert durch die von H. und Guerin
dagegen vorgetragenen Bedenken bei der Neumann-
Mommfenfchen Pofition beharren läßt. Einzelheiten der
Quellenkritik und Interpretation, fpeziell auch gerade in
Tertullians Apologeticum, wird man preisgeben, andere
wenigftens in Frage ftellen; die Hauptthefe, daß es in
älterer Zeit eigene Gefetze und Verordnungen, die das
Chriftentum generell und als folches verboten, nicht gegeben
hat, ift m. E. noch immer die Bedingung für das
Verftändnis der Urkunden und der apologetifchen Literatur
. Schwierigkeiten werden ftets beliehen bleiben,
weil wir nicht wiffen, was die Quellen deshalb verfchweigen,
weil es zu ihrer Zeit jedermann wußte. Die Zuhilfenahme
analoger Vorgänge in der Gefchichte — von der viel-
befprochenen Unterdrückung der Bacchanalien (Livius
XXXIX) an, über die Behandlung der Juden im Alter-
tu.1? "nd «m katholifchen Mittelalter hin, bis zur fran-
zolilchen Trennungsgefetzgebung von 1905 und zum

1 • un ^eiCnsveremsgefetz von 1907 — kann manches
erleichtern^ Damit foll eine erneute Durcharbeitung des
in Rede flehenden Problems nicht fowohl als ausfichts-
los als vielmehr als erwünfeht hingeftellt werden. Es
würde zu den erfreulichften Erfolgen von H.s förderlicher
Arbeit gehören, wenn fie eine folche anregte; denn daß
man fich vielleicht zu fehr bei den Mommfenfchen Auf-
ftellungen beruhigt und mehrfach zu Unrecht die Sache
damit für erledigt gehalten hat, wird zuzugeben fein.

Berlin-Steglitz. Hans von Soden.