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Ausgabe:

1912 Nr. 4

Spalte:

101-103

Autor/Hrsg.:

Greßmann u. a., Hugo

Titel/Untertitel:

Die Schriften des Alten Testaments, in Auswahl neu übers. u. für d. Gegenwart erklärt. 4. - 14. Lfg 1912

Rezensent:

Frankenberg, Wilhelm

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IOI

Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 4.

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aus diefer Lage denkt. Die Philofophie des Chriftentums,
der Religion und der Religionen, meint er, wird (ich künftig
nicht mehr erbauen können auf der Analyfe des chrift-
lichen Glaubens allein. ,Das Chriftentum ift kein Be-
obachtungsgegenftand der vollftändig genug wäre, um
eine allgemeine wohl definierte Idee abzugeben von dem,
was die Religion für die Menfchheit gewefen ift, noch ift,
und was fie fcheint fein zu müffen.' Alfo da hätten wir
den Schrei nach Religions-Philofophie, gern hörten wir
mehr von dem Verf., doch müffen wir fchon zufrieden
fein, wenn er uns die Probleme fo fcharf, wenn auch nicht
immer in ganz gerechter Schärfe, ftellt.

In der letzten Abhandlung: Der Mythus vom Chriftus,
fetzt L. fich mit Drews auseinander. Die Wiederlegung
D.s ift vortrefflich, anmerken will ich nur noch, daß L. fich I
auch hier nicht verfagen kann, gegen das liberal-prote-
ftantifche Jefus-Bild zu polemifieren. Mit feinem Inhalt
Gott-Vater, Sünde und Gnade ift er nicht zufrieden; ,das
Evangelium war die Verkündigung der großen Ankunft,
und das ift die Ankunft: das Reich Chrifti, das für
Jefus war, das felbft für Paulus geblieben ift, das im
Lauf der Jahrhunderte fich behauptet hat als der zentrale
Gegenftand der chriftlichen Religion'. Ich kann nicht
finden, daß diefe Definition mit ihrem fchillernden Schweben
zwifchen den Worten Chriftus und Jefus uns wirklich
weiter hilft. Aber das ift allerdings ficher, daß ein Mann
wie L. uns fehr viel zu fagen hat.

Göttingen. Bouffet.

Schriften des Alten Teftaments, in Auswahl neu überf. u.
f. die Gegenwart erklärt v. Lic. Dr. Hugo Greßmann,
D. Hermann Gunkel, Proff., Priv.-Doz. Pfr. Lic. M.
Haller, Priv.-Doz. Paft. Lic. Hans Schmidt, Proff. D.
W. Stärk u. Lic. P. Volz. 4.—14. Lfg. Göttingen,
Vandenhoeck & Ruprecht 1910. Subfkr.-Pr. je —80

Gunkel behandelt in Heft 5, 8, 11 und 12 die Ur-
gefchichte und die Patriarchenerzählungen der Genefis.
In der Einleitung wird zunächft ein Überblick über die
Entftehung des Pentateuches gegeben, S. 1—14, und
fodann die Sagen der Genefis literarifch betrachtet,
S. 14—51: Arten der Sagen, Kunftform derfelben, Ge-
fchichte der Überlieferung, die älteren Sagenfammlungen,
Priefterkodex und Endredaktionen. Die Ausführung ift,
dem Publikum entfprechend, weit ausholend, ftellenweife
für mein Empfinden etwas zu breit z. B. S. 28 f. Die
Kritik des Kommentares felbft könnte ich mir eigentlich
fchenken; denn ich habe G.s Kommentar zur Genefis
erfte Ausgabe in G.G.A. 1901 Nr. 9 S. 677—706 ausführlich
befprochen und .der Verf. hat weder feine An-
fchauungen noch feine Uberfetzung nennenswert geändert
. Lobenswert ift die Auswahl und die Zufammen-
ftellung des Stoffes, der uns in feinem urfprünglichen
literarifchen Zufammenhang vorgeführt wird. Der mit
Recht gegen einfeitige Literaturkritik kämpfende Verf.
hätte fich m. E. den Scharffinn, einzelne Gefchichten aus
JE, die als einheitlich gelten, wieder zu zerlegen, zum
minderten in einem für Laien berechneten Buche fparen
können, befonders wenn feine Ergebniffe fo fragwürdig
find wie zu Gen. 32, 23 ff. oder gar Gen. 24 (Ja und Jbl).
Für verkehrt halte ich die mythologifche Spekulation
G.s über die Urzeit und die Endzeit, foweit er fie aus
dem A. T. begründet. Die Stellen wenigftens, die er
S. 67 h S. 109 ff. als Stützen feiner Anficht anführt, find
zumeift mißverftanden oder befagen nicht das, was G.
in ihnen findet.

So ift insbefondere Jef. II, 6—8 von dem Frieden der .Endzeit' —
die kennt Jef. gar nicht im Sinne G.s — nicht die Rede. Ebenfowenig
geht Jef. 51, 9 f. (S. 112) auf die Schöpfung der Welt durch Gott
im Kampf mit mythologifchen Größen; für jeden, der dort etwas weiter
(v. 10b und v. Ii) lieft, ift es felbftverftäudlich, daß der Prophet von
der großen Zeit des Anfanges der Gefchichte Israels redet. Man ver-
fchoue uns mit der Auslegung mp""1Tj>' = Urzeit im kosmifchen Sinne,

es füllte doch allgemein bekannt feiu, daß damit ftets eine hiftorifche
Größe gemeint ift. Hätte der Verf. Jef, 51, 9—II auf S. 112 wiedergegeben
, ftatt nur v. 9 und 10a, fo wäre für jeden Lefer die Unmöglichkeit
feiner Auffaffung deutlich geworden. Ebenfo fteht es mit tu 74, 12 f.
Wenn Israel bekennt: J. ift mein König ,D*lpQ, der niSW (!!) vor aller
Welt (y-lXir mp2) vollbrachte — fo ift es wirklich fchwer, diefe Worte
mißzuverftehen; die heilige Gefchichte ift es, von der der Pfalmift im
Folgenden in bekannten Bildern redet. Ebenfo grundlos ift die Behauptung
auf S. 67, in Hiob 15, 7 f. und Ez. 28 läge eine ältere mythologifche
Form der Paradiesgefchichte vor. Auf Hiob 15, 7 erübrigt es
lieh einzugchen. Nach Ez. 28 fei der Urmenfch eine Art Halbgott gewefen
, der einft mit auf Gottes hlg. Berge gewohnt habe, aber wegen
feiner Hoffart von Gott auf die Erde verftoßen fei. Das ift ein groteskes
Mißverftändnis des Textes, in dem zwar einiges verfchrieben ift,
deffen Hauptgedanke aber völlig klar ift. Zu meiner G.G.A. 1901
S. 682 f. gegebenen Erklärung der Stelle bemerke ich hier noch, daß
Ez. 28, 13 das von niemandem verftandene "ItV3ÖB des T. einfach
"■jnsDO = 'FV'SvCB zu lefen ift; vgl. Lev. 21, 6 und m. Kommentar zu
Prov. 25, II.

In der Erklärung der Väterfagen bemüht fich der
Verf., eine frifche und lebendige Anfchauung von Dingen
und Perfonen zu vermitteln. Diefe lobenswerte Abficht
verführt ihn oft dazu, die Farben zu grell aufzutragen.
In dem Streben nach einer .lebendigen' Exegefe ftreifen
Auffaffung und Ton bisweilen an das Burleske, ohne daß
der Kenner der Verhältniffe von dem Humor der Sache
überzeugt würde. Es ift überhaupt mit dem Humor in
diefen alten Gefchichten eine eigene Sache; das individuelle
Befinden führt hier oft irre, nur eine genaue
Kenntnis der Gemütsart der alten Hebräer (und Araber)
kann einigermaßen das Richtige treffen. In den Jakob-
Efau-Labangefchichten trägt der Verf. viel zu dick auf.

Was foll man z. B. über die Bemerkungen S. 197 fagen f ,Man
amüfiert fich über die rotbraune Hautfarbe der Leute vonEdom; die
Menfchen, die fich diefe Sagen erzählen, werden felber gelblich ausge-
fehen haben. (!) Und noch fchalkhafter findet man, daß ein richtiger
Seirit fich wie ein Pelzmantel anfühlt. Und aus diefen körperlichen Vorzügen
des geliebten Bruders erklärt man voller Behagen feinen Namen —'.
In Wirklichkeit ift es gerade umgekehrt, daß man ihm aus dem Namen
jene körperlichen Vorzüge andichtet! Solche kühnen Vermutungen finden
lieh häufig, z. B. 204 ,urfprünglich fcheint der Gedanke zu Grunde zu
liegen, daß fich Ifaak zu der Zauberhandlung (f) durch ein kräftiges Mahl
ftärken muß'! S. 213 meint der Verf., daß in 29, I —14 die unedleren
Eigenfchaften Jakobs und Labans zurücktreten und fährt fort: ,man wird
daraus fchließen, daß diefe kleine Gefchichte fich urfprünglich nicht auf
Laban und Jakob bezieht'! Mit folchen, zum minderten fehr individuellen
Schlüfien füllte man doch gerade in einem folchen Buche, das für ein
weiteres Publikum beftimmt ift, recht vorfichtig fein. Ebenfo grundlos
find S. 224 f. die Bemerkungen über die Stellung der altteftamentlichen
Erzähler zu den Theraphim und S. 284 die Gedanken über die Audienz
der Brüder Jofephs bei Pharao. —

Die Überfetzung gibt den Text in gutem Deutfch
zumeift richtig wieder. Von Fehlern find mir aufgefallen
;

13, 14 Jahve hatte zu Abr. gefprochen. 7, 11 Fenfter des Himmels
. 15, 6 er glaubte J. auch dies Mal; S. 143 werden wir belehrt,
diefer Gedanke liege im hebr. Ausdruck, erfahren aber nicht warum —
in dem perfect liegt er jedenfalls nicht. 18, 16a. 17; 21, 25 f. ift die
Überfetzung: ,fo oft A. den Abim. der Brunnen wegen zur Rede (teilte,
erwiderte Abim.: weder halt du mir bisher davon gefprochen, noch habe
ich bis heute davon gehört' — unmöglich, weil finnlos fich felbft widersprechend
. Es ift ein Aberglaube, daß diefe temporale Anknüpfung ftets
die Wiederholung bezeichne vgl. z. B. Gen. 34, 5 und oft; auf die Bedeutung
der verbundenen perf. und imperf. im Hebr. werde ich nächftens
bei Gelegenheit zu fprecheu kommen. Unbegründet ift die Einfetzung
von 25, 5 hinter 24, I. 24, 31 ,ich habe fchon das Plaus aufgeräumt und
einen Raum für die Kamele', ift nicht nur fteif, fondern direkt falfch,
denn die beiden letzten Worte find ein Satz, nicht ein Satzteil! 26, 29
du bift ja nun einmal der Gefegnete J.s. 30,8 Gotteskämpfe; nafta-
lim find Schliche, Anfchläge des niftal. 31, 10. 12. 31, 19b ift kein Zu-
fatz eines Späteren, denn 19a erklärt, wiefo Rahel den Hausgott ftehlen
konnte. 41, 151 du brauchen: einen Traum nur zu hören, fo könnten; du
ihn deuten' — ftatt du verftündeft (= SBVfln) einen Traum. ■ 41, 16
,Gott ift es, der wird Pharao eine gute Antwort (!) geben' — ftatt Gott
wird (möge) geben oder beftimmen, was für Ph. heilfam ift vgl. zu
diefem hJS Hofea 3, 24.

Sehr zu beklagen ift, daß der Verf. das Werk von
Ehrlich, auf das ich fchon in meiner Befprechung feines
Kommentares in den G.G.A. hingewiefen habe, nicht beachtet
hat. Er hätte an manchen Stellen fehr viel daraus
lernen können. Ich muß mich hier, um nicht zu fehr ins
Einzelne zu gehen, damit begnügen, auf die vorzüglichen
Bemerkungen des Verf. von lüTOBD Xnpti zu 2, 19. 9, 26.

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