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Ausgabe:

1912 Nr. 3

Spalte:

82

Autor/Hrsg.:

Appel, Heinrich

Titel/Untertitel:

Kurzgefaßte Kirchengeschichte für Studierende. 3. Teil: Die neuere Kirchengeschichte. 1. Hälfte: Geschichte der Reformation und Gegenreformation 1912

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 3.

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diefer Hinficht durch Alexander III. (121 f.). Auf dem
Gebiete des Stolgebührenwefens, das hier zum erften
Mal in einem größeren Zufammenhange eine Erörterung
erfahren hat (149 f.), werden wir von dem Verf. erfreulicherweife
in abfehbarer Zeit mehr zu hören bekommen. Im
ganzen find die Beziehungen zwifchen Klofter, Kurie und
klöfterlicher Eigenkirche ziemlich einfache; im wefentlichen
fehen die Mönche mehr auf die Temporalien, auf fiska-
lifche Werte, während der Papft die Cura animarum in
erfter Linie im Auge hat. Verwickelter find die Beziehungen
zwifchen Klofter, klöfterlicher Eigenkirche und
Bifchof. Je fchwieriger fchon die Beziehungen zwifchen
Klofter und Bifchof find, um fo delikater wird das Verhältnis
zwifchen Bifchof und klöfterlicher Eigenkirche.
Vor allem fragt fich: wie weit geht die Exemtion? Die
exemtio plenaria eines Klofters ift feiten, und mit der
Exemtion eines Klofters ift nicht ohne weiteres die klö-
fterliche Eigenkirche exemt. Sehr privilegiert und ausgedehnt
ift der Eigenkirchenbefitz der Camaldulenfer
(cf. Martinsberg Korn. Raab: abbas nullius jurisdictione
quasi episcopali II. 193). Im allgemeinen geht die Tendenz
der Kurie dahin, die kirchenrechtliche Autorität ]
des Bifchofs zu ftärken und fomit den werdenden bifchöf-
lichen Territorialftaat mittelbar zu unterftützen (209).

Im fünften Abfchnitt werden die Beziehungen der
Kurie zum Klofter in deffen weltlichen Gebundenheiten
erörtert (II. 214—290}. Hier zeigt fich die Kurie von i
einer weniger machtvollen Seite. Es ift ihr nicht möglich
gewefen, den Verfall der alten Benediktinerkultur aufzuhalten
. Die wirtfchaftlichen und kapitaliftifchen Ten- j
denzen der neuen Orden, befonders der Cifterzienfer, hat
fie wohl mit Freuden begrüßt im Sinne einer finanziellen
Sanierung des Klofterlebens, eine intenfive Förderung
hat fie ihr nicht zukommen laffen können. Auch auf
ein andres wichtiges Inftitut klöfterlichen Wirtfchafts-
lebens hat die Kurie fo gut wie keinen Einfluß ausüben
können: nämlich auf die Vogtei. Und doch fehlen Bemerkungen
felbft über diefe Punkte in den Privilegien
nicht, die bei der Widerruflichkeit der Schenkungen nach
germanifchem Recht iminer wieder erneuert werden
müffen.

Der fechfte Abfchnitt befchäftigt fich mit der mona-
chalen Disziplin und Organifation (II. 291—366). Hier
zeigt der Verf., wie die einfeitigen Beziehungen zwifchen
Mutterklofter und Cella notwendigerweife einen Verfall
der Organifation herbeiführen. Die Rechte Clunys fchrump-
fen zu disziplinaren Vorichriften zufammen. Viele Abteien
werden zu Prioraten erniedrigt. Immer wiederholte
Beftimmungen über Disziplin, Regel, Wohlverhalten
und Ordnung können nicht verhindern, daß zumal in
Frauenklöftern bisweilen ein moralifcher Verfall eintritt
(p. 360), ein merkwürdiger Kontraft zu der aufkeimenden
Myftik des 12. Jahrh.

Der fiebente Abfchnitt, das äußere Wachstum des
Privilegs betitelt, hat befonders das Verdienft, eine Feft-
ftellung Blumenftoks, die fo unbegreiflich wie unrichtig
ift, zurückgewiefen zu haben. Im Gegenfatz zu Blumen-
ftok zeigt Schreiber, wie fehr das päpftliche Privilegium
feinem Inhalt entfprechend an äußerem Umfange zugenommen
hat, fo daß wir alfo im 12. Jahrh. überaus
weitläufige Papfturkunden vor uns haben. Es folgt ein
Verzeichnis der aus Tangls Kanzleiordnungen und dem
Corpus iuris canonici zitierten Stellen und ein 18 Seiten
ftarkes ausgezeichnetes Regifter. Wir haben hier ein
Buch von einer Vielfeitigkeit und Tiefe, wie fie das
Referat nicht annähernd hat wiedergeben können, in
allem höchft erfreulich für die gefamte kirchliche Ver-
faffungsgefchichte. Dazu verbürgt der Ort der Er-
fcheinung, feit den letzten Jahren der Sammelplatz der
erften Autoren auf diefem und verwandten Gebieten
(N. Hilling, A. Werminghoff, K. H. Schäfer, F. X. Künftle,
A. Schulte u. a. m.), eine Verbreitung und eine Stellung

in der Wiffenfchaft, die man dem Werk und feinem
Meifter nur herzlichft wünfchen kann.

Wolfenbüttel. Lerche.

Appel, Lic. H.: Kurzgefaßte Kirchengefchichte f. Studierende.

Befonders zum Gebrauch bei Repetitionen. III. Tl.:
Die neuere Kirchengefchichte. 1. Hälfte. Gefchichte der
Reformation u. Gegenreformation. Mit verfchiedenen
Tabellen u. (färb.) Karten. (VIII, 208 S.) gr.8°. Leipzig,
A. Deichert Nachf. 1911. M. 3—; geb. M. 3.60

Über Charakter und Eigenart diefes Studentenbuches
habe ich in Nr. 11 vergangenen Jahrgangs diefer Zeitung
berichtet; ich habe hier nur eine Ergänzung nachzutragen.
Von befreundeter Seite wurde in Privatzufchrift mein in
Sperrdruck gegebener Satz: ,Appel hat eine felbftändige
und auch anerkennenswerte Arbeit geleiftet', beanftandet
unter Hinweis auf fehr ftarke Ausbeutung des Heuffifchen
Kompendiums. Unabhängig davon gab mir Herr Lic.
Appel unaufgefordert Auskunft über die Entftehungs-
gefchichte feines Buches: er hat feit ca. 1899 eine große
Anzahl von Kandidaten für die verfchiedenen theologifchen
Examina vorbereitet; hier find die Grundzüge feiner K.-G.
entftanden, 1905 wurden die erften Verhandlungen mit
dem Deichertfchen Verlag eingeleitet, die fich aber zer-
fchlugen. Nun erfchien Heuffi, und A. dachte an Preisgabe
feines Planes, hat ihn dann aber doch aufgenommen.
.Aber die Vorausftellung der Zahlen, die Tabellen etc.,
alles das ift nicht erft durch Heuffi veranlaßt, fondern
war abgefehen von den Karten fchon längft fertig und
erprobt'. Offenbar aber hat A. feinen Grundriß vor der
Drucklegung mit Heuffi konfrontiert — das Vorwort der
vorliegenden Abteilung fagt das für diefe ausdrücklich —
und von diefer Revifion her werden fich die Berührungen
erklären. Ich kann nicht finden, tlaß fie über das erlaubte
I Maß hinausgehen, freue mich auch in meinem Urteil über
j den felbftändigen Wert des A.fchen Buches mit Jon.
Werner im Theol. Jahresbericht 1909 S. 1006 zufammen-
zutreffen. Die vorliegende Abteilung habe ich auf Grund
jener Beanftandung forgfam mit Heuffi verglichen, der
Berührungen find nicht wenige, aber auf der anderen Seite
merkt man doch immer wieder felbftändiges Studium
A.s, z. B. in feiner (Heuffi gegenüber richtigeren) Beurteilung
Melchior Hofmanns. Merkwürdig, daß an der
einzigen Stelle, wo Heuffi ausdrücklich genannt wird,
S. 56 Anm. 1, das Betreffende fich gar nicht bei Heulfi
findet! —

An Einzelheiten notiere ich Folgendes: Hinter den Satz S. 2, daß
,die neuefte K.-G. keine prinzipielle Änderung der kirchlichen Verhält-
niffe gegenüber dem Zeitalter der Reformation und Gegenreformation'
aufweift, fetze ich ein ftarkes Fragezeichen, ebenfo hinter A.s Polemik
gegen die proteftantifche Zwangskultur (ebda Anm. i), S. 5 ift über die
Erfurter Theologie zu wenig getagt, S. 8 im Anfchluß an Hunzinger viel
zu ftark Neuplatonismus und Myftik betont (vgl. darüber O. Scheel in
den Schriften des Vereins für Reformationsgefchichte 1910). Inwiefern
hat Luther ,üccams Anficht über das Verhältnis zwifchen Staat und Kirche
verwertet'? Daß felbft die attritio durch die indulgentia a poena et culpa
in Frage geftellt fei (S. Ii), geht zu weit; auch kann man nicht fagen,
daß die großen Bankhäufer den Ablaß beftimmten; bei dem Ablaßhandel
Albrechts von Mainz ift die Bedeutung der Fugger überfchätzt. S. 14 ff.
hätte ich gerne die Verflechtung der Lutherfache in den Gang der allgemeinen
Politik deutlicher betont gefehen. S. 30 Z. 19 v. o. ift Evan-
geliften wohl Schreibfehler für Evangelifchen. Den .eigentlichen Grund
der Entfremdung zwifchen Erasmus und Luther' aber in Konkurrenzneid
und Mißtrauen zu erblicken ftatt in verfchiedener Theologie (S. 35), ift
ficher falfch. Daß Zwingli fleh 1524 für Carlftadt erklärt habe (S. 37),
ift nicht richtig, Luther hat Zwingli zum Carlftadtianer geftempelt. Unzureichend
ift die Erklärung des Täufertums S. 38 Anm. 3, wieder einmal
lediglich vom mittelalterlichen Boden aus. S. 48 werden die Schwabacher
Artikel noch hinter die Marburger gefetzt. Gar zu knapp ift S. 77 die
Darfteilung der Bekehrung Calvins; Calvin hat auch nicht unmittelbar
Servet in Vienne denunziert (gegen S. 106). Von dem manchen Neuen,
das A. bietet, möchte ich als befonders glücklich nennen den Paflus Uber
die Gefchäftsordnung der Reichstage, über Verfaffung und Kultus des
Luthertums, die Entftehung des Konkordienbuches.

Zürich. Walther Köhler.