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Ausgabe:

1912

Spalte:

828

Autor/Hrsg.:

Thieme, Karl

Titel/Untertitel:

Jesus und seine Predigt. Ein Volkshochschulkursus 1912

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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Seite 1

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828

lebendigften deutfchen Gemeindegedanken ift die Ex-
kluüvität. Nicht nur, daß die Kirchenzucht in den meiften
Gemeinden befteht, fondern auch die. Aufnahme ift an
genaue Bedingungen geknüpft und die Mitgliedfchaft
bei geheimen Gefellfchaften, .ungläubigen und zweideutigen
Verbindungen, die das beanfpruchen, was Gott feiner
Kirche allein gegeben hat' verboten; gemeint find die
Logen der Freimaurer ufw. Auch fehlt nicht das Verbot
, daß Gemeindeglieder fich untereinander vor dem
weltlichen Gericht ohne vorhergegangenen Vermittlungs-
verfuch innerhalb der Gemeinde verklagen. Daraus fleht
man, wieviel mehr Inhalt dort der Gemeindebegriff hat
als da, wo er nur den unterften Bezirk der Staatskirchen-
verwaltung bezeichnet. Freilich ift die Kehrfeite eine
empfindliche Befchränkung der individuellen Freiheit —
ob nicht vielleicht mehr auf dem Papier als in Wirklichkeit
?

Ich möchte gezeigt haben, daß man aus dem Buch
viel lernen kann und denke mir, daß es in Deutfchland
die Zuverficht ftärken wird, daß es auch ohne Staats-
gefetz möglich ift, Gemeindeordnungen und Kirchenver-
faffungen zu fchaffen und aufrecht zu erhalten.

Frankfurt a. M. E. F o e r ft e r.

Vedder, Prof. Henry C.: Socialism and the Ethics of Jesus.

(XV, 527 S.) 8°. New York, The Macmillan Company
i912- s. 6. 6

Der Verfaffer ift Profeffor der Kirchengefchichte
in Crozer Theological Seminary, einem rechtgläubigen
Seminar der Baptiften in der Nähe von Philadelphia.
Er hat bisher meilt über die Gefchichte der Täufer ge-
fchrieben, und der kühne Ausdruck feiner fozialen Überzeugungen
in dem vorliegenden Buche war auch feinen
Freunden ganz unerwartet. Er fängt an mit dem täufe-
rifchen Kommunismus in der Reformationszeit und
befchreibt dann in fechs Kapiteln die innere und äußere Entwicklung
des Sozialismus in Frankreich, Deutfchland, England
und Amerika, mit guter Sachkenntnis, mit unverho-
lenerSympathie, aber doch mit ftarkenkritifchen Abftrichen,
befonders in dem Abfchnitt über Marx, dem er nicht
ganz gerecht wird. Als Hiftoriker bekämpft er den
Dogmatismus; als Chrift betont er die fittlichen und fozialen
Werte des religiöfen Erlebniffes.

Es folgen dann zwei Kapitel über die Ethik Jefu-
Am reichften und freieften fließt ihm fein Stoff im elften
Kapitel über ,the Social Failure of the Church'. Hier
fpricht er als Kirchenhiftoriker und als Erbe der radikalen
täuferifchen Tradition. Das chrifüiche Kirchentum
hat ihm nur fraglichen Wert. Jefus hat keine Kirche
ftiften wollen. Chriftus war überhaupt kein Chrift im
' Sinne der Kirche, und wenn er in ihr lehrend aufgetreten
wäre, hätte fie ihn getötet. Das von Jefu gepredigte
Evangelium ift für immer; dagegen die Kirche hat keine
Garantie ewiger Dauer; fie muß ihr Exiftenzrecht der
Zukunft beweifen. Ähnlich radikal ift die Behandlung
des Paulus. In bezug auf das Werden der Kirche ift er
ganz religionsgefchichtlich orientiert.

Das Buch ift in vielen Hinfichten bedeutfam. Es
zeigt den rafchen Fortfehritt kritifcher und hiftorifcher
Ideen in den konfervativen Kirchen Amerikas. Es beweift
die innere Verwandtfchaft zwifchen den chriftlich-
demokratifchen und den fozialiftifchen Idealen. Seit fünf
Jahren flehen die chriftlichen KreifeAmerikas mittenin einer
großen fozialen Erweckung. Die foeben beendigte ,Men
and Religion Forward Movement' hat das foziale Chriften-
tum orthodox gemacht.

Rochefter, N. Y. Walther Raufchenbufch.

Referate.

1 Thieme, Prof. D. Karl: Jelus und leine Prediyt. Ein Volkshoch-
fchulkurfus. (128 S.) 8». Gießen, A. Töpelmann 1908. M. 1—

geb. M. 1.50

Durch ein ärgerliches Verfehen von meiner Seite ift es
gefchehen, daß das vorliegende Buch erft jetzt zur Anzeige
kommt. Sechs Volkshochfchulvorrräge, Ende 1907 in Leipzig
gehalten, hat Th. der Öffentlichkeit übergeben, offenbar ohne an
ihrer Form etwas zu ändern. Dies macht fich gelegentlich ftörend

[ geltend, infofern als hier und da Zufammengehörendes dadurch,
daß es einer neuen Vorlefung zufällt, auseinandergeriffen wird.

1 In der Darftellung tritt, wie fchon der Titel anzeigt, das Leben
Jefu hinter feiner Verkündigung zurück. Nur einen Teil der
erften Vorlefung bildet die Quellenfrage. Der Hergang des

j Lebens Jefu wird in der erften und zweiten Vorlefung behandelt,

! die außerdem noch über feine Krankenheilungen redet. Die
dritte Vorlefung fpricht über das Selbftbewußtfein, das Jefus von
feiner Gottesfohnl'chaft, feiner Sündlofigkeit, feiner Einheit mit
Gott hat. Sodann wird die Predigt Jefu vom Gottesreiche gezeichnet
(4. Vorlefung). Die beiden letzten Vorlefungen handeln
von der Sittenpredigt Jefu, einem Gebiete alfo, auf dem Th.
bereits mit beftem Erfolge in feiner Darfteilung der Demut bei
Jefus gearbeitet hat. Die Selbftverleugnung und Selbfternie-
drigung, die Gottes- und Menfchenliebe kommen hier zur Darftellung
, und mit der fehr brennenden und vielbehandelten Frage
nach der Stellung der Predigt Jefu zur Selbftbehauptung der
Einzelperfönlichkeit und zur Kultur wird abgefchloffen.

Das Buch behandelt die vorgetragenen Probleme in der für
den weiteren Kreis angemeffenen Form, einfach und ohne die
Ausführungen in vieldeutigen Worten zu verfchleiern. Klar
werden die Fragen dargelegt, und nirgends läßt der Verfaffer den
Lefer über feine eigene LöTung im Zweifel. Nur kann man
natürlich im Einzelnen die Grenzen zwifchen Glauben und Wif-
fen anders abdecken, als Th. es tut, fo z. B. in der Frage nach
den Wundern Jefu, feiner Sündlofigkeit, feiner Auferftehung u.
a. m. Aber ausdrücklich mahnt der Verfaffer felber den Lefer,
auch den von ihm vorgetragenen Aufftellungen gegenüber Vorficht
zu üben.

Wien. Rudolf Knopf.

| Börner, Wilhelm: Friedrich Jodl. Eine Studie. Mit e. Charak-
teriftik Fr. Jodl's als Anhang v. Dr. Hugo Spitzer. (V, 150S.)
gr. 8°. Stuttgart, J. G. Cotta'fche Buchh., Nachf. 1911. M. 3 -
Die vorliegende Arbeit will die phiiofophifchen Anfchau-
ungen Jodls zufammenhängend darftellen. Im Intereffe der Objektivität
ift jede referierende Ummodelung vermieden. Der
Verfaffer hat feine Darftellung tunlichft aus wörtlichen Zitaten
zufammengewoben. Als Hauptquelle für die grundlegenden
Philofopheme Jodls wird deffen ,Lehrbuch der allgemeinen Pfy-
chologie' benutzt. Reiche Ausbeute hat auch das andere monumentale
Hauptwerk Jodls gewährt: ,Gefchichte der Ethik als
philof. Wiffenfchaft'. Daneben ift die ganze Fülle der geiftvollen
Effays und Auffätze herangezogen worden, die uns der geniale
öfterreichifche Denker in faft vierzigjährigem raftlofem Schaffen
gefchenkt hat. So erhalten wir einen impofanten Gefamteindruck
von der Lebensarbeit Friedrich Jodls. Die Darftellung ift nach
den phiiofophifchen Hauptdisziplinen gegliedert. Daran fchließt
fich eine Schilderung von Jodls praktifcher Wirksamkeit in der
,GefeIlfchaft für ethifche Kultur', auf dem Felde des ,freien Volks-
bildungswefens' und im Kampfe ,gegen Klerikalismus und kirchliche
Intoleranz'. Der ,Anhang' enthält einen erweiterten Abdruck
des feinfinnigen Feftartikels, den Hugo Spitzer dem großen
Philofophen zum 60. Geburtstage in der ,Neuen freien PrefiY
am 21. Auguft 1909 gewidmet hat. Hiftorifche Vergleiche und
kritifche Auseinanderfetzungen unterläßt B. absichtlich.
Königsberg i. Pr. A- Kowalewfki.

Troeltlch, Prof. Dr. Ernft: Die Abfolutheit des Chriftentums u. die
Religionsgerchichte. Vortrag, geh. auf der Verfammlg. der
Freunde der Chriftlichen Welt zu Mühlacker am 3. Oktober
1901. Erweitert u. m. e. Vorwort verfehen. 2., durchgefeh.
Aufl. (XXVII, 150 S.) gr. 8 . Tübingen, J. C. B. Mohr 1912.

M. 3—; geb. M. 4.20
,Die wenigen Änderungen find lediglich ftiliftifch.' T. hat
,einige Satzungeheuer erfchlagen', ,den allzu knappen Text an
einigen Stellen verdeutlicht und erweitert' (daß das mit Erfolg
gefchah, zeigt mir gleich eine Randbemerkung in meinem Exemplar
der 1. A., verglichen mit dem Text der 2. A.) und die neuere
Literatur nachgetragen. Dadurch ift der Umfang freilich um