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Ausgabe:

1912 Nr. 26

Spalte:

826-827

Autor/Hrsg.:

Kraushaar, Otto

Titel/Untertitel:

Verfassungsformen der Lutherischen Kirche Amerikas 1912

Rezensent:

Foerster, Erich

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 26.

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Theologie zufammen in gemeinfamer Feindfchaft gegen I
Weltanfchauungen, die durch den Mechanismus beherrfcht
werden, zu Felde ziehn und daß der moderne Proteftan-
tismus mit einer neuen fynthetifchen Methode ausgeftattet
werden müfle. Diefe Methode befchreibt er verfchiedent-
lich als pragmatifch (jedoch nicht mit dem fog. epiftemo-
logifchen Pragmatismus identifch), induktiv, experimentell
und aktuell. Der Begriff der Evolution, welche, wie er
fie auffaßt, unfer eigentlicher Führer, unfere Karte, unfer
Prüfftein ift, berichtigt nicht nur den Glauben, fondern
belebt ihn auch und zwingt zu einer energifchen Tele-
ologie. Wenn wir nur unfern Verftand von den alten
ontologifchen Rätfein abrufen, um ihn auf begrenzte
und meßbare Probleme zu konzentrieren, wird es uns gut
gelingen zu beweifen, daß die Welt fich in der Richtung
zu höherer Ordnung vorwärts bewegt. Die Evolution,
welche Unfterblichkeit wenigftens für einige Glieder der
menfchlichen Raffe beansprucht, fordert von uns, daß wir
uns das Weltall dynamifch und nicht ftatifch denken,
denn fie folgert, mit Kingsleys Worten, daß Gott ,is
making things make themselves'. Letzten Endes ift die
kleine Welt des Ich unfer wahrer Schlüffel für das Weltall
. Ein Refultat der neuen Methode wird eine veränderte
Auffaffung der göttlichen Allmacht fein, da
(wieder nach Analogie der perfönlichen Erfahrung) es
richtig ift, anthropomorph, wie es die Religion muß, von
einem Gott zu fprechen, der in allen feinen Eigenfchaften
unendlich ift. Gott hat wirklich fich mit dem Weltall
abzumühen, weil in der Natur der Dinge irgend ein innewohnender
Widerftand liegt, der beilegt werden muß j
und zu deffen Befiegung unfere Mitwirkung notwendig ift. 1
.Evolution verlangt einen Gott, der auch gegenwärtig
noch fchafft, der augenblicklich an einem höchft bedeut-
famen Teil des Fortfehritts beteiligt ift und auch einen
Gott, der den Menfchen zu feinem Mithelfer angenommen 1
hat' (137). Der Menfch war das letzte große neue Werk j
Gottes; der nächft höhere Typus wird in der Linie j
menfchlicher Entwicklung liegen. Die Früchte feiner i
langen Erziehung der Menfchheit werden in dem fozialen 1
Organismus geerntet oder als Kapital angelegt. Zwei j
Beweggründe, beim erften Blick anfeheinend diametral !
entgegengefetzt, find für alles Leben grundlegend: Eigen- I
liebe und Altruismus; aber fie finden ihre Einheit und I
Verföhnung in der Liebe zu Gott. Die Liebe ift daher
der Grundfaktor der Evolution wie auch ihr Höhepunkt.

Johnson's Abhandlung kann gut als eine (bewußte
oder unbewußte) Erneuerung der Thefe angefehn werden,
die von Henry Drummond in feinem .Ascent of Man'
(1894) aufgeftellt wurde, aber als eine Erneuerung durch j
einen Mann, der viel von James und Bergson gelernt j
hat. Ift nicht dies Bemühen, Liebe als die große Weltkraft
zu fehen, eine Deutung des apoftolifchen Grundfatzes, j
daß in Chrifto alle Dinge in den Himmeln und auf Erden I
gefchaffen find (Col. 1, 16)? Aber bei einem Werk diefer
Art find die Gefahren der Methode der Analogie groß.
Was tut es für das Verftändnis der menfchlichen Er-
löfung, zu fragen — wie es Johnson 146 tut — was Er-
löfuno-'bedeutet, wenn es fich um ein Ei handelt? Noch
mehrf in feiner Erörterung einer Schwierigkeit, die fo alt
ift, wie das Chriftentum felbft, unterläßt er es, zu erwägen, |
ob der Begriff der göttlichen Allmacht nicht verfittlicht
werden muß, d. h., ob er nicht ausgelegt werden muß als
ein Attribut, das nur in fittlichen Beziehungen exiftiert
und nur darin geübt wird, auch ob die ruhige Aner-
erkennung unlösbarer Widerfprüche durch uns nicht ein |
wefentlicher Beltandteil des chriftlichen Glaubens ift (cf.
Herrmann ZTK., 1911; iff.j.

Eine intereffante Bemerkung über Bergson befchließt
das Buch. Indem er darauf hinweift, daß B. l'elan vital j
übereinftimmend in Ausdrücken geiftiger Art fchildert, |
glaubt Johnson, daß das folgerichtige Ergebnis der Be- I
wosführung des franzöfifchen Denkers ein entfehiedener
Theismus iei. Alle, die fich über Bergson's kürzliche Ernennung
zum demnächftigen Gifford Lecturer an der
Edinburger Univerfität freuten, werden es kaum erwarten
können zu erfahren, ob auch er fo denkt.

Edinburgh. H. R. Mackintosh.

Kraushaar, Dir. Prof. Chr. Otto: Verfafrungsformen der
Lutherifehen Kirche Amerikas. (XII, 496 S.) gr. 8°.

Gütersloh, C.Bertelsmann 1911. M. 10 —; geb. 12 —

Das Buch bietet eine Materialfammlung. In der Zu-
gänglichmachung diefes Materials liegt fein großer Wert.
Der Verf. hat dies Material gefchickt geordnet, obgleich
unvermeidlich ift, daß das Spätere oft das Frühere erklärt
und der Sinn einer Beftimmung nur durch vielfache
Vergleichungen ermittelt werden kann. Die zwifchen-
ein gegebenen eigenen Ausführungen des Verf. find teils
dankenswerte gefchichtliche Erklärungen, teils Verfuche
rechtsdogmatifcher Syftematifierung der gegebenen
Formen, — diefe find oberflächlicher und verraten, daß
dem Verf. die Schulung deutfeher kirchenrechtlicher
Frageftellungen fehlt. Dem Wert des Buches, das zur
rechten Zeit erfchienen ift, tut dies keinen Abbruch. Dagegen
habe ich fchmerzlich einige Zahlenangaben über
die Bedeutung der einzelnen Synoden und der ihnen zugehörigten
Gemeinden, Pfarrer und Glieder vermißt. Für
uns deutfehe Lefer wäre dies eine fehr willkommene
Unterftützung zur Urteilsbildung gewefen.

In gewiffer Weife ift das Buch eine Ergänzung zu
Rothenbüchers, trotz der Kritik Friedrichs in der Zeit-
fchrift für Politik, ausgezeichnetem Werke über die
Trennung von Staat und Kirche. Wenn man hieraus die
Rechtsftellung der religiöfen Bürger im Staat der .Vereinigten
Staaten' kennen gelernt hat, fo zeigt nun dies
Buch — ohne jenes überhaupt zu nennen und wohl auch
zu kennen, — wie fich die .Kirchen' auf diefer Grundlage
ihre Verfaffung aufgebaut haben. Freilich nur an einem
Beifpiel, dem der ev. lutherifehen Gemeinden. Wir
würden dankbar fein, wenn uns auch die Verfaffungen
der übrigen amerikanifchen Kirchen in fo bequemer
Form zugänglich gemacht würden.

Die Lutheraner, die nach Amerika kamen, flammten
aus ftaatskirchlichen Verhältniffen, waren gewöhnt, daß
die politifche Obrigkeit die Ordnungen des Gemeinfchafts-
lebens fchaffe und fichere, die die religiöfe Gemeinde als
folche nicht zu erzeugen und mit zwingender Kraft aus-
zuftatten vermag. Die Verfaffungsentwicklung auf ameri-
kanifchem Boden verläuft unter der Nötigung, fich ohne
diefen Halt und Schutz zu behelfen. Zunächft werden
wohl Verfuche gemacht, anftelle des landesherrlichen
Kirchenregimentes etwas ähnliches zu fetzen, ein Kirchenregiment
mit epifkopaler Autorität. Diefe Verfuche
fcheitern an dem erwachenden Selbftgefühl der Einzelgemeinden
. Stark wirkt das reformierte Vorbild und
noch ftärker das praktifche Bedürfnis. Diefes erlangt die
Führung in der Verfaffungsbildung — alle Bezugnahmen
auf das apoftolifche Vorbild oder Tradition und Bekenntnis
treten zurück hinter den drängenden Lebensnotwendigkeiten
. Das .Lutherifche' diefer Kirchenver-
faffung fchrumpft zufammen auf die — ftrenge, z. T. fehr
ftrenge — Lehrverpflichtung. Die Einzelgemeinde wird die
Trägerin der Kirchengewalt im vollen Umfange. Nun
follte man meinen, daß daraus eine unüberfehbare Buntheit
der Verfaffungen, Ordnungen, Einrichtungen hervorgehen
müßte. Dies ift nicht der Fall. Das Überrafchende
ift gerade, wie einheitlich im wefentlichen trotz des
Selbftbeftimmungsrechtes der Gemeinde die Gemeinde-
verfaffung ift, und wie die Selbftändigkeit der Gemeinde
die Bildung großer fynodaler Körper, .Kirchen', und
die Ausbreitung von einerlei Ordnung nicht gehindert
hat. Die Tendenz, der Synode mehr als beratende
Stimme zu geben, ift vorhanden, begegnet aber offenbar
unüberwindlichem Mißtrauen. Der freiwillige Gehorfam
dagegen fcheint fehr weit zu gehen. Viel ftärker als im