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Ausgabe:

1912 Nr. 26

Spalte:

809-810

Autor/Hrsg.:

Uckeley, Alfred

Titel/Untertitel:

Worte Jesu, die nicht in der Bibel stehen 1912

Rezensent:

Ropes, James Hardy

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 26.

810

grollenden Ton des Donners zu denken ... es dürfte
vielmehr beim Hören des Donners an die freudige Erwartung
eines erfrifchenden Regens gedacht fein' (S. 17 f.).

Bei der Ineinanderfchiebung der Berichte des dritten
und des vierten Evangeliums kommt nun z. B. heraus,
daß Jefus nach beftandener Verfuchung zum Täufer zurückkehrt
und, ohne lehrend aufzutreten, feine erften fünf
oder fechs Jünger gewinnt (Joh. 1, 35 — 51). Sie begleiten
ihn nach Samarien (Joh. 4, 1—42) und Galiläa (4, 43—45),
fpeziell nach Nazareth (Luk. 4, 16—30), nach Kana, wo
er ,als liebevoller Bruder feine verheiratete Schwerter be-
fucht' (Joh. 4, 46), deren Hochzeit er dort fchon mitgemacht
und durch fein erftes Wunder verherrlicht hatte,
und nach Kapernaum (Luk. 4, 31—44). Sie erkennen
aber den vollen Wert feiner Perfönlichkeit noch nicht;
fonft müßten fie mehr Reden und Taten von ihm zu
berichten wiffen. Jefus läßt fie deshalb für Wochen oder
Monate allein und geht ohne fie nach Jerufalem, wo er
den Kranken am Teiche Bethesda heilt (Joh. 5). Nach
Galiläa zurückgekehrt, beruft er feine Jünger (darunter
Johannes), die .offenbar fehnfüchtig auf eine Einladung
des Herrn gewartet' haben, zum zweiten Male (Luk. 5,
1—11, 27—29). Wenn nach Joh. 6, 1 Jefus plötzlich wieder
am galiläifchen See ift, fo liegt das einfach daran, daß
erft wieder zu Luk. 6 etwas zu berichtigen ift, nämlich,
daß während der Bergpredigt, die nur den auserwählten
Jüngern gehalten wird (Luk. 6, 20= Joh. 6, 3), die Volksmenge
den See umwandert und Jefum gefunden hat und
dann fofort wunderbar gefpeift wird (Joh. 6, 5—13). Die
Feier des Abendmahls, um dies noch zu erwähnen, fand
aller Wahrfcheinlichkeit nach unmittelbar nachjefu Worten
Joh. 14, 31 ftatt: ,auf, laßt uns von hier fortgehen'. Re-
fultat: ,wir haben ... in den beiden Evangelien ein Ge-
famtbild des Lebens des Herrn Jefus, das nach den
ftrensftenRegeln der wiffenfchaftlichenGefchichtsforfchung
gezeichnet ift' (S. 13). Auf exegetifchem Gebiet zeigt fich
die Übereinftimmung beider z. B.^ darin, daß Luk. 2, 14
bedeutet: .geiftige Vollendung (ddga) befitzt Gott in der
Höhe und Frieden auf Erden und an den Menfchen ein
Wohlgefallen', und Joh. 1, 14: ,wir fahen feine (Jefu)
geiftige Vollendung (ddg«), eine geiftige Vollendung wie
die des Eingebornen vom Vater, voll Anmut (%aQic) und
Wahrheit'. Luk. 2, 40 heißt: ,Das Kind wuchs und ward
ftark . . . und eine göttliche Anmut (x«prc d-sov) lag über
ihm', und Joh. 1. 16: ,aus feiner Fülle (nämlich: aus feinem
Bilde) haben wir alle genommen, und zwar Anmut um
Anmut'(S. 27—30). Von Bereicherungen der evangelifchen j
Gefchichte erwähnen wir nur noch: bei der von Johannes j
erzählten erften Tempelreinigung .fährt Jefus mit der Geißel
über die Tifche, und da dadurch das Geld vielfach auf
den Tifchen zerftreut wird, fo hebt der Herr auch den
rechten Fuß, um die Tifche umzuftoßen' (S. 36).

Es bedarf wohl keiner weitern Ausführungen, um zu
fagen, daß der Verf. von den Schwierigkeiten feiner Aufgabe
keine Ahnung hat, und daß fein Buch keinerlei
wiffenfchaftlichen Wert befitzt. Wenn man aber im Eingang
lieft, daß das Chriftentum in geiftiger Gemeinfchaft
mit "jefus' befteht und daß dazu ein unbedingt ficherer
Nachweis über die Gedanken, Gefühle, Grundfätze Jefu
unerläßlich ift, fo begreift man, daß er das Bedürfnis
empfunden hat, fich auf feine Weife einen folchen Nachweis
zu fchaffen; und nach diefer Richtung ift es ein
fympathifches Gefühl, mit dem man die Arbeit des in-
zwifchen verftorbenen Mannes aus der Hand legt.
Zürich. Paul W. Schmiedel.

Uckeley, Prof D. Alfred: Worte Jefu, die nicht in der Bibel
ftehen. 2. Tauf. (Bibl. Zeit- und Streitfragen, VII, 3.)
Berlin-Lichterfelde, E. Runge 1912. M. — 50

Dies ift eine gute populäre Zufammenftellung der
Agrapha, mit einer deutfchen Überfetzung einiger der
wichtigeren von ihnen und mit kurzer Würdigung ihrer

hiftorifchen Glaubwürdigkeit. Bei jeder derartigen Unter -
fuchung wird es klar, daß vereinzelte Ausfprüche, deren
Bezeugung weniger gut als die durch die kanonifchen
Evangelien ift, der Natur der Sache nach unferer Kenntnis
des Denkens Jefu nichts Wefentliches hinzufügen
können. Wenn fie nicht völlig durch Parallelen aus den
Evangelien gedeckt find, find fie unglaubwürdig oder
wenigftens zu zweifelhaft, um davon Gebrauch zu machen.
In den meiften Fällen ift das Berte, was gefagt werden
kann, daß es nicht unmöglich ift, daß wir einen Aus-
fpruch Jefu vor uns haben. Die Bedeutung des Materials
liegt nach anderer Richtung. Unfer Vertrauen zu den
kanonifchen Evangelien beruht zum großen Teil auf der
Einheitlichkeit und der Konfiftenz des ganzen uns dort gegebenen
Bildes.

Uckeley gibt zum Schluß einige nützliche Hinweife
auf kürzlich erfchienene Literatur, von der einiges leicht
der Beachtung der Forfcher entgehen könnte. Aber viele
der von ihm erwogenen Fragen haben kürzlich eine neue
Beleuchtung durch Schmidtkes fundamentale Unterfuchung
in feinen: Neue Fragmente und Unterfuchungen zu
den juden-chriftlichen Evangelien, 1911 erfahren.

Harvard Univerfity J. H. Ropes.

Goblet d'Alviella, Felix: ('Evolution du dogme Catholique.

I. Les Origines (Ie partie). Preface par Salomon
Reinach. (Bibliotheque de critique religieuse.) (VIII,
346 S.) gr. 8°. Paris, E. Nourry 1912. fr. 6 —

Jesus et la redaction des quatre Evangiles, c'est ä
dire, approximativement, la periode d'un siecle comprise
entre l'an 25 et l'an 125', fo charakterifiert Salomon
Reinach in feiner Vorrede (p. IX) im Einverftändnis mit
dem Verfaffer (S. 7) den Inhalt diefes Buches. Die .origines
du dogme catholique' ftellen eine breitere Balis dar. Will
der Verfaffer, ein jüngerer belgifcher Gelehrter, das, was
von dem Gegenftande der bekannten Bücher von Bouffet
(Die Religion des Judentums im neuteftamentlichen Zeitalter
, Berlin 1903, 2. Aufl. 1906) und Wendland (Di-
helleniftifch-römifche Kultur in ihren Beziehungen zu Judene
tum und Chriftentum, Tübingen 1907, 2. Aufl. 1912)
zweifellos mit zu feinem Stoff gehört, in der deuxieme
partie behandeln? Man könnte das denken, fo eigenartig
diefe Anordnung wäre. Denn die wenigen gelegentlichen
Ausführungen, die Verfaffer den jüdifcnen und
helleniftifchen Voraussetzungen des Dogmas widmet, reichen
fchlechterdings nicht aus. Doch, wie dem auch fein mag,
jedenfalls bleibt diefe premiere partie ganz im Bereiche
des neuteftamentlichen Schrifttums. Schon die Kapitel-
Titel zeigen das: I. La morale religieuse de Jesus (S. 13
—111), II. La tradition et l'activite apostoliques (S. 113— 156),
III. L'apotre Paul et la penetration du christianisme en
terre pai'enne (157—204), IV. La lutte entre l'universalisme
et le particularisme (205—221), V. Litterature chretienne
dependant de Paul (223—232: Hebr., 1 Petr., Apok.), VI.
La tradition synoptique (233—256), VII. Le quatrieme evan-
gile et ses origines (257—284), VIII. La theologie du quatrieme
evangile (283—318), (IX) Conclusion (319—337).
Und die Ausführungen felbft bleiben noch mehr, als fchon
die Kapitel-Titel es verraten, im Rahmen einer wefentlich
mit Literarkritik und rationalen Argumenten operierenden
Behandlung des Lebens und der Lehre Jefu und der
neuteftamentlichen Theologie. Einflüffe der religions-
gefchichtlichen Strömung der neueren Zeit bemerkt man
kaum; ebenfo feiten Bemühungen, nicht nur die Gedanken
der befprochenen Schriften geltend zu machen, fondern
über das Denken der breiteren Schichten der Chriften
irgend etwas feftzuftellen. Und innerhalb diefes recht
engen Rahmens gehen die Ausführungen des Verfaffers
mehr in die Breite als in die Tiefe: die Darlegungen über
die Entftehung der fynoptifchen Evangelien bleiben im
Allgemeinften ftecken; die Rede-Quelle des 1. und 3.
Evangeliften kommt gar nicht zu ihrem Rechte; die Be-

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