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Ausgabe:

1912

Spalte:

747-749

Autor/Hrsg.:

Schwartz, Eduard

Titel/Untertitel:

Bußstufen und Katechumenatsklassen 1912

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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Hellenentum. Überhaupt verdient diefer Autor eine
gründliche Behandlung, die auch das Rätfei feines Stils
löfen müßte. — Ausgezeichnet ift gleichfalls die Behandlung
des Athenagoras: ,c'est Justin emonde, disci-
pline, ordonne' (S. 178), der die Überlegenheit der
chriftlichen Lehre über die Philofophie viel deutlicher
als Juftin betont, fonft ,un auteur un peu gris' (204 A.)
Nur über den Piatonismus des Schriftftellers denke ich
wieder anders als P.; in der nicht feltenen Berufung
gerade auf den Timaios, aus dem auch andere Apolo-
logeten immer wieder gleiche Stellen zitieren, möchte ich
den nachwirkenden Einfluß des pofeidonifchen Timaios-
kommentars erkennen, nicht felbftändige Lektüre des
fchwierigen Dialogs. — Über Theophilos ftimmen P. und
ich nach der ausdrücklichen Bemerkung des Verfaffers
überein; diefer fchwache Polemiker, deffen Abneigung
gegen die Philofophie viel weniger tief als Tatians Haß
eindringt, ift nur als Entwicklungsftadium wichtig. —
Noch in das zweite Jahrhundert hat P. eine Anzahl
apokrypher oder anonymer Apologien, die wir oben
genannt haben, verlegen wollen; er erkennt z. B. in der
cohortatio die Epoche des beginnenden oder fleh ankündigenden
Neuplatonismus. Ich hege hier ftarke
Zweifel und fehe meine Anfetzung (2. Hälfte des 3. Jahrhunderts
) noch nicht für erledigt an, wie ich auch über
die Zeit des Briefes an Diognet, den P. übrigens wieder
vorzüglich charakterifiert, anders denke. Vollends unbeweisbar
fcheint mir die Fixierung der irrisio des Hermias
um die gleiche Epoche. Die Parallele, die man bei
Lukian gefunden hat, beweift nichts, da die Chriften noch
fpät ältere heidnifche Schriften benutzt haben. Überhaupt
dürfen wir, fo unverkennbare Fortfchritte die
chriftliche Apologetik zeigt, die Rückfchläge, die fie in
einzelnen Individuen erlebt, nicht ganz ausfchalten; auch
in weit fpäterer und größerer Zeit find noch fchwache
Apologien gefchrieben worden. — Vorzüglich ift P.s
Schlußkapitel: nirgends, wie bemerkt, ein rhetorifcher
Augenauffchlag oder ein Kanzelpathos: ,ces hommes
d'un efprit medioere, mais que guidait une vue juste, ont
travaille ä une grande oeuvre' — fo endigt die Betrachtung
der Apologetik des 2. Jahrhunderts. — Die fchon
zitierten appendices enthalten noch recht viel Brauchbares
. Durch den feinen Hinweis z. B. auf die typifche
Geftalt des Greifes in Juftins Dialog (= Lukian. Hermot. 24)
erfährt die Patriftik wie die von ihr untrennbare .klaffifche'
Philologie gleiche Bereicherung, und mit Recht betont
P. daher die Notwendigkeit der Lektüre Lukians und
Plutarchs für die apologetifchen Studien.

Ich habe das vortreffliche Buch in feiner Ganzheit
gelobt uud nur Einzelheiten auszufetzen gehabt. Wenn
ich zum Schluffe noch bemerke, daß für mein Gefühl
die Paraphrafe die Darftellung etwas zu fehr beherrfcht
und allzu lang ausreckt, fo mag diefer Eindruck fubjektiv
fein, und ich würde mich freuen, ihn in anderen Befprech-
ungen nicht wieder zu finden.

Roftock. J. Geffcken.

Schwartz, E.: Bußftufen u. Katechumenatsklaffen. (Schriften
der Wiffenfchaftlichen Gefellfchaft in Straßburg. 7. Heft.)
(61 S.) Lex. 8°. Straßburg, K.J. Trübner 1911. M. 3.50

Die vorliegende Studie läuft aus in eine Skizze der
Entwicklung des Bußinftituts in der alten, insbefondere
der morgenländifchen Kirche. Aber das Pundament foll
feft gelegt werden; fo wird zunächft unter gründlicher
Berückfichtigung von Hermas, Tertullian und den Alexandrinern
die öffentliche Buße der älteften Zeit nach Sinn
und Zweck befchrieben, ihre Umwandlung unter Kailift
fowie weiterhin infolge der deeifchen Verfolgung motiviert,
und dann an der Didaskalia nachgewiefen, wie die An-
fchauung der Kirche den veränderten Verhältniffen durch
Umbiegung der alten ftrengen Vorfchriften Rechnung trug.
Was wir über die 4 berühmten Bußftufen wiffen, wird

kurz vorgeführt, um fo gründlicher die Quellen diefes
Wiffens durchforfcht, namentlich die Rolle, die die kano-
nifchen Briefe des Bafilius unter diefen Quellen fpielen,
eingehend gewürdigt. Das Ergebnis ift, daß Bafilius
nicht etwa die Bußftufen gefchaffen hat, daß er fie vielmehr
nur vor dem drohenden Abfterben noch auf eine
Weile fchützt; ihren Urfprung aber hat die ganze Einrichtung
in der Zeit zwifchen Decius und Diocletian.
Die Bedeutung der einzelnen Stufen wird durch Heran-
ziehungderparallelenKatechumenatsftufen veranfehauliehl,
der Verfall der öffentlichen Buße beleuchtet und das
Fortleben der Bußkanones im Offen und Werten aufgezeigt
.

Wie immer bei Schwartz empfangen wir eine reiche
| Fülle von Richtigftellungen verkehrter Theorien, Mitteilungen
neuen Materials und fcharffinnig verftändnisvolle
Kombination von einzelnen Tatfachen unter höheren
Gefichtspunkten zu dem Ganzen eines gefetzmäßig ver-
j laufenden Prozeffes. Die Gediegenheit feiner Quellen-
j erforfchung bedarf keines Lobes; feiner Auslegung wie
! feinem Urteil über das Ausgelegte wird man in der Regel
beipflichten. Selbft befcheidene Druckfehler find feiten,
die Darfteilung lebendig, allerdings von einer gewiffen
! Nachläffigkeit, entfetzlich wenig Interpunktion. Da nirgend
I von S. 1 bis 61 ein Einfchnitt gemacht wird, bedarf es
1 einiger Anffrengung, um dem Gedankengang des Verf.
zu folgen; wenn er z. B. Asterius oder Pacian nach Migne
zitiert, hätte er wohl auch die Nummer des Bandes von
PI oder Pgr hinzufügen können.

Über den gegenwärtigen Stand der Forfchung erhält
man bei Schw. kein fo genaues Bild als über den
Quellenbefund; niemand wird ihm verübeln, wenn er nicht
alles lieft, was jüngft zu feinem Thema veröffentlicht worden
ift. Aber es kann ein falfcher, von ihm am wenigften
gewollter Schein entftehen, als ob alles, was er befonders
in der Auseinanderfetzung mit Anderen vorträgt, von
ihm allein fo verftanden würde, zumal wenn Äußerungen
hinzukommen, wie auf S. 44, daß man die Anfchauung
der jüngeren Stücke der Didaskalie ,nur konfequent durchzuführen
brauche, um in der Inftitution der Bußftufen,
die bis jetzt nicht verftanden ift, einen Erziehungsgedanken
zu finden'. Hat man diefen Erziehungsgedanken wirklich
allgemein verkannt? Und find Quellenftücke wie Orig.
c. Cels. 3, 51 oder can. Neocaes. 4 wirklich bis zu Schw.
nicht richtig gedeutet werden? Ich verweife z. B. auf
meine Befprechung von Funk in GGA. 1898, ioff, weiß
i aber wohl, daß ich das Richtige nicht allein und nicht
! zuerft erkannt habe.

Kleine Unvorfichtigkeiten, wie S. 44 u. 47, ,nur die
Vorlefung des Evangeliums' ftatt: Schriftvorlefung und
Predigt (f. Schwartz felber S. 49) werden den verftändigen
Lefer nicht beirren. Entfchiedenen Widerfpruch würde
ich, um von einigen fchwer zu erledigenden exegetifchen
Problemen zu fchweigen, nur erheben gegen die Deutung,
die die zu Sokrates h.e. V 19, Sozom. VII 16 erzählte Ge-
fchichte von dem Bußpriefter in Konftantinopel bei Schw,
erfährt. Das Strafgericht, das über Sozom. ergeht (S. 56)
bekenne ich nicht einmal zu verftehen. Doch hat
Schw. fo weit natürlich Recht: Sozom. ift lediglich von
Sokr. abhängig. Was fpricht bei diefem denn nun aber
für ein Stück öffentlicher Buße? Eine vornehme Frau hat
dem Bußpriefter nach einigem Leichteren zuletzt auch
bekannt, daß fie fich mit einem Diakonen der dortigen
Kirche vergangen habe; die Folge davon ift die Äb-
fetzung des fchuldigen Diakonen, bitterer Hohn der Böswilligen
über den chriftlichen Klerus und Wut der chriftlichen
Marten über diefe Bloßftellung ihrer Geiftlichkeit
durch deren eigne Schuld: zuletzt hebt Bifchof Nectarius
den Porten des Bußpriefters auf, damit fich derartiges
nicht wiederhole, und überläßt es dem Gewiffen eines
Jeden feftzuftellen, ob er für den Abendmahlsgenuß würdig
fei. Was nötigt in diefem Verlauf, die Beichte der Frau
als öffentliche Exhomologefe zu nehmen? Gewiß war das