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Ausgabe:

1912 Nr. 2

Spalte:

50-52

Autor/Hrsg.:

Haering, Theodor

Titel/Untertitel:

Der Duisburg‘sche Nachlaß und Kant‘s Kritizismus um 1775 1912

Rezensent:

Wüst, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 2.



aus, namentlich ftellt er mit Luther und Zwingli häufige
Vergleiche an. Daß er dabei viel brauchbares und beachtenswertes
bringt, kann nicht geleugnet werden: fo
wäre er gewiß geneigt, die Formel, die Alfred Krauß

Die Frage, auf welche Weife der Normaljahrsparagraph
auf Aachen Anwendung finden follte, konnte aut
dem Kongreß nicht entfchieden werden und kam auf
dem Nürnberger Exekutionstag noch einmal zur Be-

einmal geprägt hat, ,der konfequent evangelifche Luther handlung. Im Artikel 5, § 31 des Osnabrücker Friedens-
heißt Calvin' zu unterfchreiben; allein über eine frag- ! inftruments hieß es: alle die 1624 ,sive publicum sive
mentarifche Behandlung der hier angeregten dogmen- : privatum Augustanae Confessionis exercitium . . . sive
hiftorifchen Probleme hat er es nicht gebracht. Bei der certo pacto aut privilegio, sive longo usu, sive sola

vielfeitigen Förderung, die Calvins Theologie dem Verf.
verdankt, bei den zahlreichen Berichtigungen, welche er
der hergebrachten Beurteilung des Reformators zu Teil
werden ließ, klingt die hier geftellte Forderung vielleicht
wie eine Unbefcheidenheit. Jedenfalls hat D. das zu er-
ftrebende Ziel gezeigt, und den Weg dazu gewiefen, auch
die Mittel zur Löfung der hohen Aufgabe in reichftem
Maße zur Verfügung geftellt. Ein folcher Dienft wird
ihm unvergeffen bleiben. Zum Dank, der ihm für feine
Arbeit darzubringen ift, tritt der Wunfeh, es möge ihm

denique observantia dicti anni habuerunt', follen
das auch künftig behalten. Haben alfo die Aachener
Proteftanten 1624 ihre Religion privat ausgeübt, fo find
fie demnach im Recht, auch fortan privaten Gottesdienft
zu halten. Verfaffer verfucht nun p. 67 ff. den Proteftanten
ein folches privatum exercitium für 1624 abzufprechen
und fo ihre Forderungen als unrechtmäßig hinzuftellen.
Er tut das, obwohl er felbft p. 4 Anm. 1, der Schrift
von W. Wolff folgend, das heimliche Beliehen mehrerer
Gemeinden, ,von denen jede ihren Diener (d. i. Prediger)

gegeben werden, den letzten Band feines monumentalen j befaß', für ,mehr als wahrfcheinlich' hält, obwohl er ferner

Werkes mit nicht geringerem Erfolge und mit der eines
großen Hiftorikers würdigen Objektivität, zu vollenden.

Straßbure i. E. P. Lobftein.

Finken, Dr. Jofeph: Die Reichstädt Aachen auf dem weft-
fälifchen Friedenskongreß. Ein Beitrag zur Aachener

Religionsgefchichte. (Aus: Zeitfchrift des Aachener j hätten die Schweden beftochen — wofür übrigens keinerlei

p. 60 die Tatfache anführt, daß Aachener Proteftanten-
während des Jahres 1624 vom Magiftrat dafür geftraft
worden feien, ,daß fie Prediger zu fich berufen und intra
privatos parietes durch fie kirchliche Handlungen hätten
vornehmen laffen'! Ganz unverftändlich ift mir endlich
p. 69 die Verdächtigung, die Aachener Proteftanten

Gefchichtsver. Bd. 32.) (XV, 77 S.) 8°. Aachen, Cremer
1910. M. 1.60

Als einen Beitrag zur Aachener Religionsgefchichte
will Verfaffer diefe als Bonner Differtation entftandene
Arbeit betrachtet wiffen. Er beginnt daher mit einem
Rückblick auf die Periode der Aachener Reügionskämpfe
in der zweiten Hälfte des XVI. und zu Anfang des

Beweis erbracht wird —, um ,durch filberne Argumente'
die Mängel ihrer Beweife zu erfetzen. Beftechungsver-
fuche wurden zu Münfter und Osnabrück faft täglich gemacht
, auch von folchen, die vom Recht ihrer Sache feft
überzeugt waren, und daraus ließe fich zu ungunften der
Evangelifchen nicht das Minderte erfchließen. Nein, daß
die Aachener Proteftanten dem Wortlaut des Friedens-
inftrumentes nach mit Recht Ausübung privaten Gottes-

XVII. Jahrhunderts, wendet fich dann in einem zweiten j dienftes fordern konnten, läßt fich fchlechterdings nicht
Kapitel feinem eigentlichen Thema zu, um endlich im | leugnen. Aber es war auch dies eine Frage, wo Macht
dritten Abfchnitt die Behandlung der Aachener Frage j vor Recht ging, und fo blieben auch die berechtigten

Forderungen der Evangelifchen unerfüllt.

Straßburg i. E. W. Katterfeld.

auf dem Nürnberger Exekutionstag zu fchildern. Die
Darfteilung fußt im wefentlichen auf dem bekannten
Quellenwerk des Gottfried v. Meiern (nicht Meieren!).

Archivalien von einigem Belang finden nur im dritten Haering, Dr.Theodor: DerOuisburg'fche Nachlaß und Kant's

Kapitel Verwendung Hinfichtlich der Schilderung der | Kritizismus um 1775. Mit 4 Facfimiletafeln. (III, 160 S.)
allgemeinen Lage gibt Verfaffer, wie er im Vorwort an- R0
führt, die von Moritz Ritter vertretene Auffaffung wieder.

Die weftfälifchen Friedensverhandlungen fchienen den
Aachener Proteftanten Gelegenheit zu bieten, mit diplo-
matifchen Mitteln zu erreichen, was auf gewaltlamem
Wege zweimal, 1589 und 1614, mißlungen: dem Pro-
teftantismus in der Stadt die Stellung zu gewinnen, die
ihm der Zahl und Bedeutung feiner Anhänger nach zukam
. Die einzelnen Phafen des Streites hat Verfaffer
in etwas fchwerfälliger Weife, aber doch recht dankenswert
zufammengeftellt, und uns fo den Einblick in diefes
Kapitel Aachener Gefchichte wefentlich erleichtert. Zu-
erft erftreben die Schweden und die proteftantifchen
Stände für ihre Aachener Glaubensbrüder völlige Gleichberechtigung
. Dann verfuchen fie ihnen wenigftens die
Erlaubnis zu erwirken, eine Kirche vor den Toren der
Stadt zu bauen, als aber 1624 zum Normaljahr beftimmt
wird, gelingt es nicht einmal für Aachen einen früheren,
Ffr ,^tanae des dortigen Proteftantismus günftigeren
f-ntlcheidunp-stermin Hnrrtmiferzen. Mit Recht weift

Tübingen, J. C. B. Mohr 1910. M. 5 —

Aus den von Reicke bereits herausgegebenen ,Lofen
Blättern aus Kants Nachlaß' greift der Herausgeber des
vorliegenden Buches den nach dem früheren Befitzer fo
genannten ,Duisburg'fchen Nachlaß' heraus, in dem wir
eine Reihe von aus äußeren Gründen ziemlich ficher auf
1775 datierbaren handfehriftlichen Aufzeichnungen Kants
befitzen, in denen Begriffe der fpäteren .Kritik der reinen
Vernunft' von 1781 fchon auftreten, immer wieder aufs
neue formuliert und unermüdlich fkizzenhaft gefaßt und
gewendet. H. betrachtet nun diejenigen Blätter (11), in
denen das Problemgebiet der .Analytik' der Kr. d. r.
Vernunft betreten wird, d. h. das der .Theorie der Erfahrung
', um mit Hermann Cohen zu reden; der Aus-
einanderfetzung über die Prinzipien der wiffenfehaftlichen
Erkenntnis.

Die genannten Blätter find für die Entwicklungs-
gefchichte des Kantifchen Denkens deshalb befonders

Y 'fcheidungstermin durchzufetzen. Mit Recht weift wertvoll, weil ohne fie aus dem entfeheidenden Jahrzehnt

7wT h au^ n'n. wie fehr den Katholiken der Gegenfatz zwifchen der fogenannten Differtation von Jahre 1770, in

wnenen Calviniften und Lutheranern zuftatten kam. der erft Anfätze zur kritifchen Frageftellung fich finden,

, ienn a)?er den Hauptgrund für das allmähliche Er- und dem Hauptwerk von 1781, wo die Klarheit diefer

laürnen des proteftantifchen Eifers zu erblicken, halte Problemftellung voll erreicht ift, faft nichts vorliegt, was
fl-T HHVerA lt: das war doch vielmenr der zähe Wider- j uns einigermaßen klaren Einblick in das Werden der

r f n- Altglaubigen, namentlich des Kaifers, der um wichtigften Kantifchen Grundbegriffe gewährte (vgl. Ein-

H Pan zwei Punkte fich klammerte, je mehr er in leitung S. 1—7).
^dern Prägen zum Nachgeben gezwungen wurde: die H. gibt nun eine neue Lefung des von Reicke bereits

Kekatholifierung feiner proteftantifchen Erbuntertanen, entzifferten Materials, wobei er das Glück hat, R. an

and duJ Erhaltung des katholifchen Glaubens in der alten manchen Stellen verbeffern zu können. Welches Verdienft

Kaiferftadt. in diefer neuen und fehr forgfältigen Vergleichung der