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Ausgabe:

1912 Nr. 23

Spalte:

711-712

Autor/Hrsg.:

Rouffiac, Jean

Titel/Untertitel:

Recherches sur les Caractères du Grec dans le Nouveau Testament d’après les Inscriptions de Priène 1912

Rezensent:

Deissmann, Adolf

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7ii

Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 23.

712

fammen finden. Und volle Anerkennung verdient die
Gefinnung des Verfaffers.

Berlin-Lichterfelde W. Herrn. L. Strack.

Rouffiac, Jean: Recherches sur les Caracteres du Grec
dans le Nouveau Teftament d'apres les Inscriptions de
Priene. (IV, 106 S.) gr. 8°. Paris, E. Leroux 1911.

Seit vielen Jahren wird in Wien ein Monumental werk
vorbereitet, das für den Erforfcher des N. T. einen bedeutenden
direkten und indirekten Ertrag verfpricht: die
große Sammlung der Infchriften Kleinafiens, die Tituli
Asiae Minoris. Der verewigte Benndorf, dem Theologen
durch feine Ephefos-Forfchungen verehrungswürdig, zeigte
mir einmal die riefigen Materialien, die fchon an revidierten
altbekannten und neuentdeckten Texten vorhanden
find, und war mit mir der Überzeugung, daß auch die
Bibelforfcher und Kirchenhiftoriker dafür Intereffe haben
müßten. Bis zum Erfcheinen der griechifchen Bände der
Tituli find wir auf die modernen Spezialausgaben der Infchriften
einzelner Stadtgebiete angewiefen. Die ganz
alten Sammlungen zu durcharbeiten ift nicht befonders
empfehlenswert, weil fie insbefondere in den kleinen
Dingen, die aber für den Philologen groß fein können,
nicht abfolut zuverläffig find. So find denn 1897 die Infchriften
von Pergamon und Infchriften der Infein des
Ägäifchen Meeres für das N. T. durchgearbeitet worden,
1906 durch Gottfried Thieme die Infchriften von Magnefia
am Mäander (fiehe ThLZ 1906 Nr. 8), 1908 durch William
H. P. Hatch (Journal of Bibl. Literature Vol. 27, Part. 2
S. I34ff) Infchriften der Expedition des Amerikaners
Sterrett. Diefen Arbeiten fügt fich die Unterfuchung
hinzu, die der junge franzöfifche Theologe Rouffiac den
Infchriften von Priene gewidmet hat. Er war in der
glücklichen Lage, die ausgezeichnete Spezialausgabe j
diefer Texte durch F. Frhrn. Hiller von Gärtringen (In-
fchriften von Priene, Berlin 1906) zugrunde legen zu
können. In der Akribie der Druckkorrekturen hätte er
fich freilich den Berliner Epigraphiker mehr zum Mufter
nehmen follen: die Lifte der Druckfehler, die Rouffiac
felbft gibt, kann leider ftark ergänzt werden, und diefer
Schönheitsfehler hätte doch leicht vermieden werden
können. Inhaltlich aber ift diefe Erftlings-Arbeit ertragreich
und recht geeignet, in die Art der Vorarbeiten
zum Wörterbuch des N. T. einzuführen. Die Einleitung
faßt die wichtigften der weithin in der internationalen
Literatur verftreuten Arbeiten zur neueren neuteftament-
lichen Philologie zufammen, fkizziert den Stand der
Probleme und gibt einen Überblick über die Gefchichte
Prienes und feiner wiffenfchaftlichen Erforfchung. Der
erfte Teil behandelt Orthographifches und Grammatifches.
Im allgemeinen find ja die Infchriften auf diefem Gebiet
weniger ertragreich, als die Papyri und Oftraka, da fie
meift, forgfältiger ftilifiert, nicht fo ftark volksmäßig find
wie die neuen Texte. Immerhin ift es doch eine ganz
anfehnliche Reihe kleiner aber ficherer Beobachtungen,
die Priene für die entfprechenden Erfcheinungen des
N. T. bietet; ich verweife fpeziell auf den Präpofitionen-
gebrauch (S. 27—30) und möchte bei der Gelegenheit
den Wunfeh ausfprechen, daß die Präpofitionen des N. T.,
deren Faffung für die Exegefe der wichtigften Stellen
oft maßgebend ift, doch einmal im Zufammenhang behandelt
werden möchten; das fprachhiftorifche Material
aus der Umwelt ift ein fehr großes, und es fehlt nicht
an guten Vorarbeiten. Die meiften Beobachtungen gibt
Rouffiac zum Wortfehatz des N. T. Ich hebe hervor die
Prüfung angeblicher Hebraismen, die semafiologifchen Erörterungen
über neue Bedeutungen alter Wörter, technifche
Ausdrücke und formelhafte Wendungen. Im einzelnen
intereffiert fich Rouffiac für den Wortfchatz des Lukas
fowie die Nachwirkungen der Sprache des Kaiferkultes
(und überhaupt der religiöfen und ethifchen Terminologie
Kleinafiens) auf die Sakralfprache des Urchriftentums.

Vieles bereits feither Bekannte wird hier neu beftätigt
oder beffer eingeordnet, und manche hübfcheNeufeftftellung
fchließt fich an. Mit einer Prüfung der Perfonennamen
(fpez. des Kapitels Rom. 16) und einer Skizze der Uber-
bleibfel des altchriftlichen Priene fchließt die Arbeit, die
durch Indices leicht benutzbar ift.

Berlin-Wilmersdorf. Adolf Deißmann.

Schneider, Prof. Dr. Herrn.: Jelus als Philofoph. (48 S.)

8°. Leipzig, J. C. Hinrichs 1911. M. 1 —

Das Hauptverdienft der kleinen Schrift befteht wohl
darin, daß in ihr Jefus als einer der größten Denker gefeiert
wird. Es ift ganz nützlich, das folchen Anflehten
gegenüber zu betonen, nach welchen eine weitgehende
Verfchwommenheit der Anfchauungen für den religiöfen
Genius charakteriftifch erfcheint. Jefus wird hier S. 8 wohl
mit Recht gefchildert als ein ,warmherziger Menfch, dem
das logifche Denken nur die Mittel an die Hand gibt,
Probleme zu löfen, die ihm fein erregtes Gefühl nahgelegt,
ein Menfch, der ... aus dem Gefühl denkt, aber niemals auf
Koften des klaren Denkens fühlt'.

Verf. fucht eine Überficht über die Hauptpunkte der
Lehre Jefu zu geben, das Urfprüngliche von fpäteren
Zutaten abfondernd. Leider geht es dabei nun aber nicht
ohne große Willkürlichkeiten und Spiritualifierungen ab.
Im Gottesbegriff Jefu wird zwar S. 9ff. mit Recht die Allmacht
und die Liebe hervorgehoben, aber nicht Gott
als Richter, der beftraft und belohnt. Meffias foll Jefus
gewefen fein, weil er als erfter durch feine Erkenntnis
des Gottesreiches teilhaftig geworden, S. 17. Sein gran-
diofes Herrfcherbewußtfein ift hier ausgefchaltet.

Mit einer Totenauferftehung habe er (S. löf) nur als
Möglichkeit gerechnet, — als ob die Worte: wenn fie
von den Toten auferftehn (Marc. 12,25) m konditionalem
und nicht vielmehr in zeitlichem Sinne (orav) zu verliehen
wären. Alles Wunder- und Zeichenwefem foll Jefus
an der bekannten Stelle Marc. 8,12 abgelehnt haben (S. 28),
— als ob feine Worte dort etwas Anderes befugten, als
daß der Wunder und Zeichen für die, die fehen wollten,
fchon genug getan wären. ,Frevelhaft find in Jefu Sinn
auch die Formeln, die ihm die Legende bei feinen Heilungen
andichtet; Jefus kann nicht im babylonifchen Sinn
(?) Sünden vergeben und dadurch heilen, weil ihm Krankheit
nicht mehr Befleckung und Sünde bedeutet, fondern
eine Schickung Gottes .... Er kann nicht fagen: ,Dein
Glaube hat dir geholfen', denn der Glaube, der fich an
einen Wundermann heftet, ift . .. Aberglaube' (S. 29).

Hier dürfte der Einfchnitt des kritifchen Meffers doch
etwas zu tief geraten fein. Auch in der Vergleichung der
Lehre Jefu mit der des Paulus S. 34fr fehlt es nicht an
fchiefen Urteilen, wenn auch die große fyftematifche Denkarbeit
des Apoftels als folche hier beffer gewürdigt wird,
als z. B. in Deißmanns ,Paulus'. Ihn als Irrationalsten
zu bezeichnen (S. 39), ift einfeitig. In feiner Pneuma-Lehre
ift er über die Gegenfätze von Rationalismus und Supra-
naturalismus zu einer höheren Einheit gelangt. Und was
haben feine Anfchauungen mit Sozialismus und Kommunismus
(S. 42) zu tun?

Ein wefentliches Moment in der Herausbildung des Le-
gendarifchen der Leben-Jefu-Überlieferung fiehtS. in der
fpäteren maffiveren Faffung des Meffiasbegriffs und dem
Einfluß der Adonis- Ofiris- und vor allem der babylonifchen
Neujahrs- und Tammusmythen (S. 43—48). Was
er hier aber im einzelnen namentlich bezüglich der letzteren
anführt, ift wenig beweiskräftig. Sollte z. B. wirklich unter
dem Einfluß babylonifcher Neujahrsmythen die Leidenszeit
Jefu auf die Ofterzeit ,verlegt' worden fein?

Königsberg i. Pr. R. A. Hoffmann.