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Ausgabe:

1912 Nr. 22

Spalte:

686-687

Autor/Hrsg.:

Oehl, Wilhelm (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Deutsche Mystiker. Bd. II: Mechtild von Magdeburg: ‚Das fließende Licht der Gottheit‘ 1912

Rezensent:

Clemen, Otto

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 22.

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daß der Verfaffer feine Phantafie wirklich gezügelt hat —, I
fo möchte ich zum Schluß noch einmal wiederholen, daß I
der Elchafaismus, den der Verfaffer am Schluß als End-
Produkt der Entwicklung gewinnt, wirklich der echte ift. I
Diefen hat er vortrefflich charakterifiert und feinen Spiel- I
räum — groß auf dem judenchriftlichen Gebiet, verfchwin-
dend gering auf dem heidenchriftlichen — zutreffend abge-
fteckt. Auch fein Verhältnis zuverwandtenErfcheinungenift
lehrreich unterfucht. Nur die Embryologie diefer kirchen-
gefchichtlichen Erfcheinung ift alfo verfehlt, weil mindeftens
nicht beweisbar; fie nimmt freilich den größten Raum in
dem Werke ein.

Berlin. A- Harnack.

Aufhaufer, D. Dr. Joh. B.: Das Drachenwunder des hl. Georg

in dergriechifchenu.lateinifchenÜberlieferung. (Byzan-
tinifches Archiv. Hrsg. v. Aug. Heifenberg. 5. Heft.)
(XII, 255 S. m. 7 Taf.) Leipzig, B. G. Teubner 1911.

M. 10—

Der Herr Verfaffer bietet in diefer Schrift eine wiffen-
fchaftliche Bearbeitung eines hagiographifchen Stoffes,
wie fie wohl noch nicht dagewefen ift. Er verfolgt die
Geftaltung des Textes vom berühmten Drachenwunder
des Heil. Georg durch die gefamte griechifche und la-
teinifche Überlieferung und bringt die einzelnen Hauptformen
des Textes kritifch gearbeitet zur Darftellung.
Wir erhalten fo nicht etwa einen griechifchen Text und
einen lateinifchen Text, fondern 6 griechifche und drei
lateinifche. Der Vulgatatext im Griechifchen, die Hauptform
des Textes, wie ihn der Verfaffer bietet, ruht auf
4 Gruppen von zufammen 26 Handfchriften. Cod Angel,
saec. XII hat die Führung, die übrigen find im Apparat
verwandt. Emendationen find faft vermieden. So wird
Karl Krumbachers Ideal einer Ausgabe: ,eine vollftändige
Verwertung aller bekannter Handfchriften' erftrebt (S. 50).
Dem Text fchließen fich Bemerkungen und eine höchft
forgfältige Analyfe an. Jetzt folgt der Vulgatatext
in feinen veränderten Formen, gekürzt und erweitert,
in einzigartiger Weife mit den Martyrium verbunden,
in der Vulgärfprache und in rhetorifch erweiterter Geftalt.
Diefe Texte ruhen auf wenigen Handfchriften, teilweife
nur auf einer. Aber immer ift die Sorgfalt der Behandlung
die gleiche.

Den älteften lateinifchen Text bringt der Cod. Monac
14 473 saec. XII. Ihre verbreitete Form verdankt die
lateinifche Legende erft der Legenda aurea des Jac. de vora-
gine aus dem 13. Jahrhundert. Eine fpätere, mehr gekün-
ftelte Form (lammt von Jacobus de Stephaniscis, saec. 14.
Auch die lateinifchen Texte werden wie die griechifchen
behandelt. Übrigens ift hier die Verfchiedenheit der Überlieferung
geringer, wie denn die lateinifchen Texte erft
fpät fich aus der griechifchen früheften Form ableiten.

Das Drachenwunder ift nur eines der vielen Wunder
des Heil. Geor° Verfaffer zählt deren 13. Wenn man
das Martyrion benutzt, kann man ihrer noch einige hinzufügen
. Das Drachenwunder ift auch nicht das ältefte.
In"der Literatur läßt es fich nicht vor dem ^.Jahrhundert
nachweifen. Die Religionsgefchichtler leiten es von
Perfeus ab, der das Ungeheuer tötete, von Horus, der
den Typhon bezwang, u. a. Verfaffer will lieber die Idee
des Siegs, des Glaubens über den Unglauben, des Lichts
über die Finfternis darin ausgedrückt fehen und fieht
Konftantin den Großen, die beiden Theodore der Legende
als die Geftalten an, von denen die jugendliche Heldengeftalt
St. Georgs den ritterlichen Kampf übernommen.
Seltfam ift es, daß fowohl die alte lateinifche Kirche, als
die orthodoxe, letztere fogar noch im 9. Jahrhundert, allerdings
in einem nicht unangefochtenen Kanon des Patriarchen
Nikephoros (Il/jöäkiov des Nikodemos Hagiorites
Ausgabe von 1886 S. 589) zwei Martyrien des h. Georg
verboten hat. Sollte in diefen alten Martyrien der vom

Heidentum entnommene Drachenkampf enthalten ge-
wefen fein? Im 12. Jahrhundert, als man das vergeffen,
tauchte die Legende wieder auf. Es ift doch auch zu
bemerken, daß die gedruckten griechifchen Texte der St.
Georgslegende das Drachenwunder nicht erzählen. Die
offizielle neuere orthodoxe Kirche kennt in ihrer Literatur
diefes Wunder nicht.

Über die gedruckten griechifchen Texte möchte ich zum Schluß
noch etwas hinzufügen. Sie find m. E. vom Verfaffer etwas ftief-
mütterlich behandelt und hätten wohl fyftematifch mit herangezogen
werden können. Die Drucke aus dem 16. Jahrhundert find ja älter
als viele Handfchriften des Verfaffers. Das Meinion des April von
1614 und 1638, die mir allein zur Hand find, enthält von den 13 Wundern
des Hl. Georg drei, das von der Säule der Witwe, vom gefangenen
Jüngling in Mytilene und das volkstümliche vom Eierkuchen. Die beiden
eilten reproduziert wieder Delehaye in dem Synaxarium Conftant. (Propyl.
ad. A. SS. November 1902, S. 623—626), das wird vom Verfaffer bemerkt
. Ich hätte gewünfcht, auch das ältefte Menäon um fpäteftens 1558
wäre benutzt. Der Text der Legende vom Eierkuchen in den genannten
Menäen ftimmt überein mit dem des Cod. 1190 saec. 1542 (S. 37. 23).
Man kann an eine direkte Abhängigkeit des Menäon von diefer Handfchrift
denken, da auch die andern beiden Legenden und alle drei in der-
felben lofen Reihenfolge in der Handfchrift fich finden. Wichtig für
die Verbreitung der St.- Georgs-Legende in der orthodoxen Kirche ift vom
16. Jahrhundert an der Thesaurus des Studiten Damaskinos (Hauck, R.
E3 4, S. 408), der jedenfalls fchon in der Ausg. von 1589 das Martyrium
des Hl. Georg im Vulgärgriechifch bringt. Von den Wundern fügt er
deu eben genannten noch die Legende vom gefangenen Sohn des Heerführers
hinzu. Seine Textgeftalt ift übergegangen in den Cod. Athous
Joas saec. 19, (S. 23) vielleicht auch in die übrigen vulgärgriechifchen
Handfchriften, denn der Thefaurus war ein fehr einflußreiches Buch.
Endlich tritt die Gefchichte von der Vifion des Sarazenen während der
Liturgie und feine Bekehrung im Niov {xXöywv, Ven. 1803, S. 399 ff. auf.
Das Niov txkoytov wird dem Nikodemos Hagiorites zugefchrieben (R. E3
14. S. 62). Das Drachenwunder hat, wie gefagt, kein Hagiograph der
orthodoxen Kirche drucken laden.

Hannover. Ph. Meyer.

Mechtild v. Magdeburg: ,Das fließende Licht der Gottheit'.

In Auswahl überfetzt von Dr. Wilhelm Oehl. (Deutfche
Myftiker. Bd. IL) (VIII, 222 S.) kl. 8°. Kempten,
J. Köfel 1911. Geb. M. 1 —

Während Oehls Seufeausgabe (== Deutfche Myftiker,
Bd. I, vgl. Theolog. Literatlirzeitung 35 [1910], Sp. 490L)
der kritifchen Textausgabe Bihlmeyers folgte, geht die
vorliegende Ausgabe des fließenden Lichts' der kritifchen
Textausgabe, die Hubert Stierling und Romuald
Banz vorbereiten, voraus. Die Ausgabe hat erftens den
Vorzug der Billigkeit, fie ift zweitens fehr handlich, fie
genügt aber auch drittens in hohem Grade wiffenfchaft-
lichen Anfprüchen.

Mechtild fchrieb ihre Offenbarungen zwifchen 1250
und 1265 auf einzelne Blätter. Einer ihrer Geistesfreunde,
der Dominikaner Frater Pleinrich von Halle, Lektor zu
Rupin, ein Schüler des Albertus Magnus, der vor Mechtild
geftorben ift, fammelte fie zu einem Buche, wobei er
leider die chronologifche Reihenfolge der Stücke nicht
einhielt, fondern fie nach gewiffen inhaltlichen Gefichts-
punkten umordnete. Eine zweite noch viel felbftändiger
in den Originaltext eingreifende Redaktion diefes Heinrich
von Halle hat als Vorlage zu einer lateinifchen Über-
fetzung gedient, die ein anderer Dominikaner, ebenfalls
Heinrich genannt, bald nach Mechtilds Tode anfertigte.
Diefe lateinifche Überfetzung (,Lux Divinitatis') ift in
zwei Bafeler Handfchriften erhalten, die Preger entdeckt
hat und auf die fich die Ausgabe des Solesmer (1877)
gründet. Die beiden Redaktionen Heinrichs von Halle
waren, wie Mechtilds Aufzeichnungen felbft, in nieder-
deutfchem Dialekte verfaßt. Die erfte Redaktion wurde
nach Heinrichs Tode noch um ein fiebentes Buch vermehrt
, das größtenteils Offenbarungen Mechtilds aus ihrer
Helftaer Zeit enthält. Diefe vermehrte Kompilation wurde
um 1344 in Bafel von Heinrich von Nördlingen ins Ale-
mannifche übertragen. Diefe alemannifche Übertragung
liegt in einer Einfiedler Handfchrift vor, aus der zuerft
Carl Greith gefchöpft (1861) und die dann (1869) Gall
Morel veröffentlicht hat. Oehl hat fich nun nicht etwa