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Ausgabe:

1912 Nr. 21

Spalte:

645-646

Autor/Hrsg.:

Zapletal, Vincenz

Titel/Untertitel:

De poesi hebraeorum 1912

Rezensent:

König, Eduard

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 21.

646

Eindruck nicht zu verderben, den er durch die vorliegende
Arbeit gemacht hat; denn wozu will er Eulen nach Athen
tragen? Der angebliche Urmonotheismus ift längft tot,
und Niemand wird ihn auferwecken.

Berlin-Wertend. Hugo Greßmann.

Zapletal, Prof. V. O. P.: De poesi hebraeorum in Veteri
Testamento conservata. In usum scholarum. Ed.
altera, emendata. (47 S.) 8°. Freiburg (Schweiz),
Univerfitätsbuchhandlung 1911. M. 1.50

Der hauptfächlich durch fein tüchtiges Buch über
den Totemismus bekannt gewordene Prof. Zapletal beginnt
feine Darlegung über die hebräifche Poefie damit,
daß er (p. 5—26) von der Ausdehnung des Gebietes der
Poefie im A. T. redet. Er tut dies alfo, ehe er feftge-
ftellt hat, was bei den alten Hebräern Poefie war. Das
ift methodifch nicht richtig. In diefem Abfchnitt beantwortet
er ferner die große Frage, ob auch die prophe-
tifchen Bücher zum Bereiche der Poefie zu rechnen feien,
nur mit folgenden Worten: ,Weil die Poefie den Ifraeliten
fo vertraut war, bauten auch die Propheten ihre Reden
metrifch auf (p. 18). Sogar in den Gefchichtsbüchern
findet er Dichtungen da, wo direkte Rede eingeführt
wird, wie z. B. Ri. 1,1 in den Worten: ,Wer wird uns gegen
den Kanaaniter zuerft hinaufziehen, um gegen ihn Krieg
zu führen?' Aber konnte denn der auszufprechende Gedanke
natürlicherweife anders ausgedrückt werden? Wenn
diefe Worte zu Poefie geftempelt werden follen, dann
hätte doch der Hebräer nicht leicht einen Satz fprechen
können, ohne daß er metrifche Dichtung vorgetragen
hätte. Um feine Meinung, daß direkte Rede in den Ge-
fchichtserzählungen als ein poetifch geformtes Stück anzufeilen
fei, durchzuführen, nimmt der Verf. (p. 32) auch
an, daß in folchen Fällen auch ein einzelner Stichos
(nicht ein Paar von korrefpondierenden Zeilen) auftrete,
wie z. B. in der Frage ,Wer hat dies getan?' (Ri. 15,6).
Das find keine haltbaren Maßftäbe, um das Gebiet der
Poefie in der althebräifchen Literatur abzuftecken.

Welches nun aber ift nach dem Verf. der Charakter
der hebräifchenPoefie? Die ,metrifchen Gefetze der Hebräer'
liegen (p. 26—32) nicht fowohl im Parallelismus membro-
rum als vielmehr im ,metrum in naturali (grammatico)
vocum accentu fundatum' (p. 27). Alfo liegen ,akzen-
tuierende Verfe' vor. Die Zahl der in der Senkung
flehenden Silben fchwanke. Außer der Haupttonfilbe
könne in längeren Wörtern auch eine Nebentonfilbe die
Arfts bilden (p. 28). Ferner in Wortzufammenfetzungen
pflege das erfte Wort ohne Hauptton gefprochen zu
werden, wenn die Zahl der Silben nicht zu groß fei:
Nomina segolata feien manchmal auf ihrer Ultima betont
(p. 29), wie z. B. betäch .Vertrauen' Pv. 1,33, während
betach' bei Athnach überliefert ift, und eine lange Silbe
werde zuweilen in eine lange und eine kurze Silbe zerdehnt
, wie z. B. nb-F« Jef. 1,30 wie een Iah auszufprechen
fei. Indes für jene Verfetzung des Akzentes der im
Arabifchen noch einfilbigen Segolata gibt es gar kein
Recht und ebenfowenig Grund, wie für die erwähnte
Zerlegung einer langen Silbe in anderthalb Silben, wenn
man nicht von der unbewiefenen Vorausfetzung ausgeht,
daß nicht auch zwei hochbetonte Silben aufeinanderfolgen
könnten. Diefe Vorausfetzung, die z. B. auch von Niv.
Schlögl, Die echte biblifch-hebräifche Metrik (1912), S. 72
gemacht wird, beachtet nicht, daß in den Gedichten, die
jetzt in Paläftina gefungen werden, auch zwei hochbetonte
Silben direkt hintereinander begegnen (G. Dalman,
Paläftinifcher Diwan 1901, S. XXIII; Max Lohr, Der vulgär-
arabifche Dialekt ufw. 1905, § 216 ff.). Z. meint auch,
z. B. der Stichos -pytes rinswa >WP (R'- 5.4) würde
,fanfter dahinfchreiten', wenn gelefen werde }PX2a rfirP
"py'B52. Da fleht er mit manchem andern in Gefahr, die

zuerft im Prinzip erkannte neuere Erkenntnis, daß die
hebräifche Dichtung akzentuierenden Rhythmus habe,
hinterher wieder zu vergeffen. Die von der neueren
Forfchung gewonnene Erkenntnis wird überhaupt richtig
dadurch zum Ausdruck gebracht, daß man bei der he-
bräifchen Poefie nur von Rhythmus und nicht von Metrum
fpricht.

Übrigens wird nach dem Verf. in jedem Gedicht
eine und diefelbe Art der Zufammenfetzung von Stichoi
(2+2; 3+2; 3+3 etc.) beibehalten (p. 34). Aber fchon
Budde hat im Handkommentar zu Hiob, S. 5 ausgeführt,
daß ihm .abweichend gemeffene Verfe von dem Dichter
in großer Freiheit verwendet zu fein Rheinen, um der
wechfelnden Stimmung zum vollen Ausdruck zu verhelfen'.
Die Tatfächlichkeit diefer Freiheit ift dann von mir in
Stiliftik, Rhetorik, Poetik (1900), S. 334 nachgewiefen
worden, und Cornill, Die metrifchen Stücke des Buches
Jeremia (1901, S. VIII) hat es beftätigt. Auch muß ich
immer wieder an jenen Satz erinnern, den L. Schneller,
von den Liedern des heutigen Paläftina fchreibt in ,Kennft
du das Land?': .Herzensbewegung und Affekt beftimmen
Gleichmaß und Abwechslung'. Darnach kann die .Verletzung
des Schema' der Stichen eines Gedichtes auch fchwer-
lich zum Maßftab des Urteils über die Korrektheit des
überlieferten Textes gemacht werden (p. 34). Doch gibt
der Verf. in einem befonderen Abfchnitt (p. 40—44) recht
befonnene Ausführungen über die Verwendung der Metrik
als Norm der Textkritik.

Eine felbftändige Stellung nimmt der Verf. befonders
betreffs des Urteils über die fogenannte Refponfion ein,
nach der jede Zeile der einen Strophe mit der ent-
fprechenden Zeile der zweiten Strophe entweder wörtlich
genau oder gedanklich, parallel oder antithetifch
korrefpondiert', wie es bei D. H. Müller, Die Propheten
in ihrer Urgeftalt (1896) S. 191 hieß. In bezug darauf
wendet fleh Zapletal in energifcher Einzelbegründung
nicht bloß gegen Müller, fondern auch gegen Zenner,
Hontheim, Condamin, Lagrange, und zwar nach meiner
Anficht mit Recht, da ich, was Zapletal entgangen ift,
in meiner Stiliftik ufw. 347 f. wohl zuerft Einwände gegen
diefe Theorie vorgebracht habe. Gegen fie fpricht auch
Sievers, Metrifche Studien I (1901) § 103, und auch Paul
Lohmann, Die ftrophifche Gliederung von Jef. 21,ib—10
(in ZATW 1912, S. 55) bemerkt, daß die Refponfion in
ihrer Bedeutung für die Erkenntnis der hebräifchen Strophe
weit übefchätzt worden fei.

In einem letzten Abfchnitt (p. 44—46) befpricht der
Verf. unter dem Titel .reliqua artificia poefis Hebraeorum'
den Reim, das Akroftichon, den Refrain, die Alliteration,
Paronomafie und Onomatopöie. Den Reim hält er an
manchen Stellen, wie z. B. Gen. 49,11, für beabfichtigt.
Aber wir haben kein durchgereimtes Gedicht. Denn
auch Pf. 54 kann nicht mit Z. ein folches genannt werden,
da, wie der bei ihm nicht genannte Begründer diefer Behauptung
(Hub. Grimme, Durchgereimte Gedichte im A. T.
1901) felbft bemerkt, deffen Reime .durchweg nur Flexionsreime
find', und deren Zufammentreffen am Ende von
Silben kann im Hebräifchen nur mit Anftrengung vermieden
werden. Übrigens gehören Alliteration, Paronomafie
ufw. nicht zu den Hilfsmitteln der Poefie, fondern
überhaupt der höheren Ausdrucksweife, wenigftens auch
der Redekunft.

Als eine in den meiften Punkten richtige Zufammen-
faffung der neueren Erkenntniffe über die formale Seite
der altteftamentifchen Poefie kann das Büchlein gute
Dienfte leiften.

Bonn. Ed. König.