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Ausgabe:

1912

Spalte:

616-617

Autor/Hrsg.:

Meulen, R.

Titel/Untertitel:

Der Leidener internationale Kongreß für Religionsgeschichte 1912

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 20.

616

Vafenbilder: auf einer rotfigurigen Kylix fieht man einen j
Knaben, der ein Gerät trägt, das mit den bekannten
kretifchen hornförmigen Unterfätzen identifch fcheint.
Ferner wurden fphinxartige Dämonen und geflügelte Göttinnen
der griechifchen Vafen zu ähnlichen Darftellungen
aus der ägäifchen Kulturepoche in Beziehung gefetzt. —
Über die Entftehung des griechifchen Heroenkultes trug
L. Farn eil-Oxford vor (Certain questions concerning
hero-cult in Greece), der unter genauer Erwägung der
verfchiedenen Möglichkeiten namentlich darauf hinwies,
daß der Kult eines Heros durch den Einfluß des Epos
enftanden fein kann: diefe Vermutung ift wahrfcheinlich
z. B. für den noch in fpäteren Jahrhunderten geübten
Ritus griechifcher Frauen Unteritaliens, die dem Achilleus
Trauerfefte begingen. — Aus der Epoche des Hellenismus
hatte J. To utain fein zweites Thema gewählt
(Le culte des Ptolemees dans l'ile de Chypre et son Organisation
), der nach den Infchriften ein klares Bild von
einem Provinzialkult der ägyptifchen Herrfcher zeichnete,
ein Bild, das deshalb fo bedeutungsvoll ift, weil es bereits
diefelben Hauptlinien bietet wie der fpätere Kult
der römifchen Kaifer. — Mit dem Griechentum Ägyptens
befchäftigte fleh auch W. Web er-Groningen (Zur
Volksreligion im griechifch-römifchen Ägypten), der eine
merkwürdige Gruppe kleiner Kunftdenkmäler vorführte;
aus diefen ergab fleh, daß der griechifche Volksglaube
an kleine, Fruchtbarkeit verleihende Kobolde in Ägypten
auf verwandte, bereits zu beftimmten Götterkulten in
Beziehung gefetzte Vorftellungen geftoßen ift. Beide
Gedankenkreife haben fleh dann gekreuzt und neue Gebilde
erzeugt, alle beftimmt, den Wünfchen des kleinen Mannes
nach Fruchtbarkeit, namentlich der Saat, Erfüllung zu ver-
fchaffen. — Aus Ägypten flammen ferner die griechifchen
Zauberpapyri, über die R. Wünfch vortrug. Er machte
auf die große Bedeutung diefer religionsgefchichtlichen
Quelle aufmerkfam, die nebeneinander Gedanken primi-
tivfter Art, Anrufungen der großen Götter aller Religionen,
Chriftliches und Gnoftifches enthält. Das wurde an ein
paar Beifpielen gezeigt und dann der Plan des im Werden
begriffenen Korpus der griechifchen Zauberpapyri vorgelegt
. — Mit griechifchen Anfchauungen der fpäteren
Zeit machte K. H. E. d e J o n g-Haag die Zuhörer vertraut (Die
Lehre vom Aftralkörper bei den Neuplatonikern), indem
er zeigte, wie aus ftoifchen Anfängen heraus fleh bei
den Nachfolgern des Ammonios die Anfchauung von
einer Befchaffenheit der Seele entwickelt, die feurig
und darum den Sternen verwandt ift, eine Meinung, aus
der offenbar der auch modernen Menfchen geläufige
Glaube an den Aftralkörper der Seele entftanden ift. —
M. A. Kugener-Brüffel (Constantin et les haruspices) gab
die Interpretation eines Ediktes vom Jahre 320, in dem Kon-
ftantin die Befragung der Haruspices in beftimmten Fällen
anordnet: ein intereffanter Beitrag zu der Gefchichte des
letzten Kampfes der Antike mit dem Chriftentum. —
Für das Fortleben heidnifcher Anfchauungen bis zur Gegenwart
führte G. Calderon-London flawonifche Beifpiele an
(Parallels between the Thracian elements of Greek reli-
gion and modern slavonic folklore), indem er die Hypo-
thefe aufftellte, daß da, wo fich Übereinftimmungen finden
zwifchen heutigem flawonifchen Volksbrauch und antiken
Riten folcher Kulte, die fonft thrakifche Elemente aufweifen
(z. B. in Eleufis und Delphi), diefe Ähnlichkeiten
zu erklären find aus dem gemeinfamen Urfprung, aus
der Religion der alten Thraker. — Ein Problem ur-ita-
lifcher Kulte wurde erörtert durch R. Pettazoni-Rom
(Primordi della religione in Sardegna): die Urbevölkerung
Sardiniens hat einen ausgedehnten Totenkult und die
Verehrung des Pater Sardus befeffen, und zwar erlauben
neuere Funde die Vermutung, daß der Glaube an diefen
Gott fich entwickelt hat aus der Verehrung eines der
heroifierten Ahnen: fo groß find die Ähnlichkeiten feines
Tempels mit beftimmten Ahnengräbern. — Speziell auf
Römifches gingB. Carter-Rom ein (Theproblem ofthe rex

sacrorum), der auf die Ähnlichkeit des Paares Rex-Regina
und Pontifex Maximus-Virgo Veftalis Maxima hinwies,
und vermutete, daß der Rex hauptfächlich zum Kulte
des Janus beibehalten fei, der in alter Zeit neben Juno
geftanden habe. — Über die Luftration der Römer fprach
L. Deubner-Königsberg: er ftellte das Wort .lustrum' zu
,luo', wafchen, es bedeutete alfo urfprünglich ganz konkret
das Mittel der Reinigung, die zur Entfernung vorhandenen
Unfegens der Bauer an feiner Familie und feinem Befitz,
der Priefter am Volke vornahm. Später ift diefe kathar-
tifche Bedeutung vergehen und es find mit dem Wort
auch Riten bezeichnet worden, die einen apotropäifchen
Charakter tragen, alfo nicht vorhandenen Unfegen entfernen
, fondern drohenden Unfegen abwehren follten. —
Zur Förderung der Arbeiten auf dem Gebiete der antiken
Religionen wird ein .Lexikon der griechifchen und römifchen
Religion mit Ausfchluß der Mythologie' geplant,
das als Supplement zu Rofchers mythologifchem Lexikon
in größeren Artikeln namentlich die Gefchichte der einzelnen
Religionen, die Kultftätten und ihre Verwaltung,
das Kultperfonal, Kultvereine, Opfer, Ritus, Gebet, Kultobjekte
, Fefte, Volksglauben und Zauber behandeln foll.
Der Plan wurde von dem künftigen Herausgeber, M. P.
Nilffon-Lund, erläutert, und von der Sektion mit lebhaftem
Beifall aufgenommen. — Die Vorträge — nur die wich-
tigften find kurz fkizziert — zeigten, daß auf allen Gebieten
der griechifchen und römifchen Religion energifche
und zielbewußte Arbeit geleiftet wird; die Diskuffionen
waren meift angeregt und der Sache förderlich, fo daß
auch durch den Leidener Kongreß die gefchichtliche
Erkenntnis der griechifchen und römifchen Religionen
wieder ein Stück vorwärts gekommen ift.

Königsberg. Wünfch.

B. Sy mons-Groningen eröffnete mit einer kurzen Rede
die 8. Sektion über Germanen, Balto-Slaven, Kelten und
wies dabei hin auf die beiden unentbehrlichen Forderungen
der Religionswiffenfchaft: Weite des Ausblicks und zugleich
Strenge der Methode. Der Entwicklungsgedanke hat
auch die Religionsgefchichte ergriffen, und mit Hilfe anderer
Disziplinen, der Volkskunde, der vergleichenden
Ethnologie, der Pfychologie, fucht fie mit wachfendem
Erfolge in das Werden der religiöfen Vorftellungen einzudringen
und die Schichten zu fondern, die in der Überlieferung
über und nebeneinander gebreitet liegen. Er
bedauerte aber, daß dabei der philologifchen Quellenkritik
nicht mehr die grundlegende Bedeutung zuerkannt
wird, die ihr gebührt und die die Arbeiten der Meifter
der alten Schule bei allen Fehlern und Sünden, die man
ihnen vorwerfen kann, gewiß nicht zu ihrem Nachteil von
vielen jüngeren unterfcheidet. Prof. S. eröffnete die Arbeiten
diefer Sektion unter dem Schutz von Jakob Grimm,
der vor nunmehr gerade hundert Jahren feine elfte
religionsgefchichtliche Abhandlung .Irmenftraße und
Irmenfäule' veröffentlichte.

R. M. Meyer — Berlin — behandelte: Theophore
und Theriophore Namen bei den Germanen: Bedeutung
der Namengebung für die Mythologie. — Nicht bloß die
Gottes-, auch die Perfonennamen Zeugniffe des Kultus. —
Weshalb im Norden fo wenige mit Odin gebildete Namen?
Sie werden erfetzt durch Namen mit den heiligen Tieren
Rabe und Wolf, gerade wegen der Heiligkeit des Gottesnamens
. Das etwa waren die Stichworte.

R. van der Meulen-Leiden fprach über die litauifchen
Veles. Veles find bei den Litauern die geifterhaften
Geftalten der Verftorbenen. Sie werden oft in den
Raudes (Totenklagen) erwähnt. Obwohl das Wort fchon
feit dem fechzehnten Jahrhundert bekannt ift, wußte man
bis vor ungefähr zehn Jahren dennoch nicht, was das
litauifche Volk eigentlich unter diefem Namen verftehe.
1903 erfchien das intereffante Buch von J. Bafanavic-
zius: Isz gyvenimo Veliu bei Velniu, eine Sammlung
kurzer Erzählungen aus dem Volk gefämmelt über diefen