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Ausgabe:

1912 Nr. 20

Spalte:

614-616

Autor/Hrsg.:

Wünsch, Georg

Titel/Untertitel:

Der Leidener internationale Kongreß für Religionsgeschichte 1912

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 20.

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innerften Kerne eine große Harmonie, die, von den allge-
meinften Prinzipien ausgehend, analytifch-deduktiv bis in
die einzelnen Zweige der Geifteskultur hineinwirkt.
Bonn. Horten.

C. Bezold (Heidelberg), Aus dem Pantheon der
aftrologifchen Keilinfchriften: Zu den verfchiedenen
Methoden, das Alter der babylonifchen Aftronomie feftzu-
ftellen, mag als neue hinzugefügt werden die Unterfuchung
des Pantheons der bisher zugänglichen, bekanntlich aus
der Bibliothek Affurbanipals, also aus fehr fpäter Zeit flammenden
Texte. Es ergibt fich dabei folgendes: das
fumerifche Pantheon, mit Ausnahme einer Erwähnung
von Nifaba, und das Pantheon der Hammurabi-Zeit find
nicht zu finden, und auch von dem Pantheon der Sar-
goniden-Zeit fehlen fehr viele Namen. Es liegt daher der
Schluß nahe, daß die Texte nicht nur jünger als die
Gudeazeit, fondern auch jünger als die Hammurabi-Zeit
find. Sie fcheinen in einer Zeit gefchrieben zu fein, in
welcher Istar, die Stadtgöttin von Ninive, fich befonders
liebenswürdig benommen hat, das führt uns in die Zeit
Sanheribs. Diefe Schlüffe können noch nicht mit ab-
fchließender Sicherheit gezogen werden. Jedenfalls aber
haben wir mit dem Pantheon der aftrologifchen Texte
als einem wichtigen Faktor für ihre Altersbeftimmung zu
rechnen. — In der Debatte gibt Jaftrow der Überzeugung
Ausdruck, daß ein Teil der Texte in die Hammurabi-
Zeit gehört, wegen gewiffer ausführlicher Schreibungen,
die fich nur als Abschriften aus jener Zeit flammender
Texte erklären. Die aftrologifchen Texte der Bibliothek
Affurbanipals werden aus verfchiedenen Zeitaltern gemilcht
fein, ihre Zufammenftellung hat, nebft Anpaffungen
an diefe fpäte Zeit, in der affyrifchen Zeit ftattgefunden.
Bei der Zufälligkeit des veröffentlichten Materials ift die
Erwähnung von Nifaba und Ereskigallu nicht gering
einzufchätzen.

C.H.Becker (Hamburg), Zur Gefchichte deslslami-
fchen Kultus: Während die Praxis der Fefte primitiv ift,
zeigt der Freitagsgottesdienft eine fein ausgebildete Organi-
fation. Das Ritual ift im wefentlichen im Freitagsgottesdienft
ausgebildet worden. Hier und im ganzen islami-
fchen Kultus ift zwifchen zwei zufammenlaufenden Linien
zu unterfcheiden: es ift eine altarabifche Praxis vorhanden,
die weiter ausgebildet wird unter dem Einfluß einer
chriftlich-kultifchen Tendenz. Diefe Entwicklung ift in
4 Phafen verlaufen: I. In der primitiven Zeit, der Zeit
Muhammeds felbft, verfammelt fich die Gemeinde im
Gemeindehaus. Mit der Expanfion des Islam mußte
diefes auf die Provinzen übertragen werden, das führt
uns zur 2. Phafe. Die Omajjaden verfuchen immer ftärker
einerfeits das religiöfe Element des Gemeinfchaftshaufes
zu betonen, anderfeits fich felbft eine höhere Bedeutung
zu fichern. Die Gemeinfchaftsmofchee wird gegenüber
den kleinen Gebetshäufern möglichft herausgehoben. Die
chriftliche kultbildende Tendenz ergibt fich fowohl aus
den Zentralifationsabfichten der Herrfcher, wie auch aus
den kultifchen Gewohnheiten und Bedürfniffen der vom
Chriftentum her Übertretenden. 3. Die Mofchee als Ort
der Verhandlung zwifchen den Männern ift nicht mehr
nötig, anftelle der Ausfprache tritt die Bürokratie. Der
Gottesdienft wird immer weiter im chriftlichen Sinn umgebildet
, Mofchee, Minarat ufw. aus ihrer urfprünglich
weltlichen Bedeutung religiös umgedeutet. 4. Die poli-
tifche Idee der Mofchee ift fchließlich ganz ausgefchaltet,
fie ift nur noch Kultusftätte. Nun bekommen auch die
Provinzen ihre Kanzeln, die einfach kultifchen Sinn haben.
Anftelle des Staatsbeamten tritt der berufsmäßige Geift-
liche. Schon 856 n. Chr. hören wir zum letzten Male,
daß ein Statthalter von Ägypten als Imam auftritt.
Spuren des Urfprünglichen haben fich aber erhalten.
Der chriftlichen Entlehnung auf diefem Gebiete ent-
fprechen maffenhafte chriftliche, jüdifche, altfaffanidifche
Entlehnungen auf dem Gefamtgebiete der islamifchen

Kultur. Übrigens haben fich die dem Volksempfinden
entgegenkommenden chriftlichen Entlehnungen auf kul-
tifchem Gebiet auch weiterhin fortgefetzt. Die verfchiedenen
Muhammedfefte find Nachahmungen der chriftlichen
Fefte. In den Hauptpunkten des FYeitagsgottes-
dienftes laffen fich alle Hauptpunkte des voreuchariftifchen
Teils der chriftlichen Meffe nachweifen.

S.A.Fries (Stockholm),Jahwetempel außerhalb Paläfti-
nas: berichtet vor allem über die Tempel der heute noch in
Tunis und in Abeffynien lebenden Juden. Die eigentliche
Hauptbedingung für die Entftehung eines Jahwetempels
ift, daß (wirklich oder fingiert) eine legitime
Priefterfchaft exiftiert. In der Schwierigkeit, eine folche
zu finden, liegt ein Hauptgrund für die Urfache, daß es
neben den fo fehr zahlreichen Synagogen eine verhältnismäßig
geringe Anzahl von Tempeln gibt.

Breslau. J. Herrmann.

Mr. Stanley A. Cook of Cambridge read a paper on
the bearing of the historical study of ancient and modern
religions in Palestine and Syria upon Theories of the evo-
lution of religion. He urged that there were three lines
of evolution to be studied separately and in their relation
one to the other. The first was the biological-psy-
chological evolution of the consciousness of each and every
individual; the second was the historical development of
the environment which enabled the individual to express
his intuitions, convictions and experiences; and the third
was the evolution of thought in that larger area by which
the environment was or had been influenced.

Morris Jaftrow-Philadelphia handelte von babyloni-
fcher, etruskifcher und chinefifcher Wahrfagung. Charak-
teriftifch für die erfte ift 1) die Leberfchau (Leber Sitz
der Seele und daher ein Spiegel der äußern Vorgänge)

2) die Aftrologie, die auf dem Glauben an den Parallelismus
des himmlifchen und irdifchen Gefchehens beruht

3) die Wahrfagung auf Grund ahfonderlicher Geburten
(namentlich ,Monftren'). Die Leberfchau finden wir in
gleichen Formen bei Etruskern und Griechen geübt;
aftrologifche Texte hat Bezold im Gebrauch der Griechen
nachgewiefen, auch berichtet Berofus von einer aftrologifchen
Schule in Cos. Aber auch in Etrurien finden

j fich unabhängig vom Einfluß Griechenlands auf Rom
J aftrologifche Spuren. Auch die Geburtsweisfagung ift für
Etrurien (durch Cicero) in einer Form bezeugt, die direkt
der babylonifchen gleicht: die Geburt eines löwengeftaltigen
Kindes weift auf die Belagerung einer Stadt. Sehr viel
unficherer find die Spuren babylonifchen Einfluffes nach
dem Often hin. Doch darf wenigftens hinfichtlich der
Aftrologie ein Zufammenhang zwifchen Babylonien und
China mit Wahrfcheinlichkeit angenommen werden. T.

Die Vorträge der 7. Sektion waren der griechifchen
und römifchen Religion gewidmet. In die entfernteften
Zeiten antiken Götterkultes führte die Zuhörer J. Toutain,
Paris (Les cavernes sacrees dans l'antiquite grecque et ro-
maine. Observations generales et conclusions historiques),
der an der Hand des reichen Materials bewies, daß der Kult
der Gottheiten in Höhlen feinem Urfprunge nach uralt ift
und den yerfchiedenften Göttern gegolten hat. Auffällig
ift, daß viele diefer Götter fpäter nicht rein menfchenge-
ftaltig gedacht, fonden etwa mit Pferdekopf oder Schlangen-
I leib dargeftellt wurden, eine Erinnerung vielleicht daran,
daß der Kult an folche Grotten deshalb angeknüpft hatte,
weil fie als Schlupfwinkel wilder Tiere furchtbar waren.
Die meiften diefer Höhlenreligionen haben während des
ganzen Altertums beftanden, find von allen Schichten
der Bevölkerung gepflegt worden, und noch heute findet
man in Griechenland hier religiöfe Verehrung, etwa der
Panagia. — Von Einflüffen prähellenifcher Vorftellungen
auf die Religion der klaffifchen Zeit fprach W. N. Bates,
Philadelphia, (Some Aegean survivals in Greek religion
as seen in Vase Painting) unter Vorlegung griechifcher