Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1912

Spalte:

611-613

Autor/Hrsg.:

Horten, Max

Titel/Untertitel:

Der Leidener internationale Kongreß für Religionsgeschichte 1912

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

6n

Theologilche Literaturzeitung 1912 Nr. 20.

612

Gottesglaubens fchon im Anfang zu finden, weift aber
den High Gods Auftraliens ein hohes Alter an. Er läßt
u. a. die Naturmythen gelten, aber auch den ägyptifchen
Gedanken eines bloßen Stammesherrn und bloße Numina
(Sondergötter) als Vorfteher von Tätigkeiten. Große Ver-
fchiedenheiten werden bei den einzelnen Völkern vorausgefetzt
und fowohl der hiftorifchen Verbindung wie der
pfychologifchen Vertiefung in der Forfchung das Wort
geredet. Religion wird begrifflich von der früheren Stufe
abgegrenzt, indem z. B. die Anwendung magilcher Zeremonien
von dem Dienft des Gottes prinzipiell unterfchieden
wird. Eine lebhafte Diskuffion fchloß fich daran. — A. Berthol
e t, Bafel, mit feinem Vortrag: der Verföhnungsgedanke
in der Religion, erweckte gleichfalls lebhaftes Intereffe. Er
beginnt mit der Scheidung in eine dynamifche und
animiftifch-dämonifche Grundlage des religiöfen Lebens.
Der perfönliche Verkehr mit der Gottheit als das engere
Gebiet des Verföhnungsgedankens wird dann in feiner
Entwickelung von der Ausgleichung perfönlicher Kränkung
der Gottheit über die allmähliche Ausbildung der ethifchen
Seite der Verhöhnung und das Bedürfnis des Gefamt-
habitus des Menfchen danach, wo die Verhöhnung fchon
eine von der Gottheit gegebene Verordnung ift, bis zu
der höchften Stufe durchgeführt, wo der Menfch das
Objekt der Verhöhnung ift und das Bibelwort Geltung
gewinnt: Laffet euch verföhnen mit Gott. — Schließlich
fei der Vortrag von Vilh. Grönb eck, Kopenhagen: Soul or
Mana erwähnt, eine Anwendung der Unterfcheidung
zwifchen der magifchen, die einzelnen Teile durchdringenden
, aber eine Gefamtheit darftellenden Kraft und der
teilbaren Seele auf Völker indogermanifcher Abftammung.
Die Grundlage feiner Ausführungen bildete fein Werk,
das er vorlegte: Lykemand ok Niding.

Berlin. K. Th. Preuß.

Aus Sektion 2 und 6, die zufammen tagten, feien erwähnt
1) der Vortrag von M. W. de Viffer-Leiden über
den Bodhisatva Ti-tsang (Jizö) in China und Japan. Diefe
Heiligen-Geftalt, eine der meift verehrten in genannten
Ländern, gibt ein typifches Bild des herrfchenden religiöfen
Synkretismus. In einer derSutras des chinefifchen Kanons
ift Ti-tsang die fromme Tochter, die die Seele ihrer Mutter
aus der Hölle gerettet hat, in einem Gemifch von altem
Taoismus mit Buddhismus Gebieter der Hölle; in Japan
gilt er (als Shogun Jizo) als Überwinder der Heerfcharen,
als Linderer der Geburtswehen ufw. Seine Figur ift mit einem
Kleid von Legenden umwoben, fein Kultus (in China im 5.,
in Japan im 12. Jahrhundert nachweisbar) blüht auch im
modernen Japan fort. — 2) J. S. Speyer berichtete über
Handfchriften, die 1894 aus der Bibliothek des Radja von
Lombok in die Hände der Holländer kamen und 1910 von
J. Kats herausgegeben wurden. Es handelt fich a) um 42
Sanskrit-Strophen mitalt-javanifchemKommentar, namentlich
aber b) um eine Art von Katechismus des Mahayana
in altjavanifcher Sprache (Sanghyang Kamahäyänikan).
S. wies auf die Übereinftimmung mit tibetanifchen Quellen,
auf die befchleunigte Methode zur Erreichung der Buddha-
fchaft fowie auf den bewußten Synkretismus hin, der dem
intereffanten Denkmal eignet. 3) Maffon-Ourfel-Paris
handelte über les trois corps (,kayal) du Bouddha, nämlich
Dharmakaya, Sambhogakaya, Nirmanakaya. Dharma
ift für Buddha nicht nur moralifche, fondern auch kos-
mifche Ordnung, Dharmakaya die Gefamtheit der Gefetze,
etwa wie Plotins All-Eines oder Laotfes Tao zu denken,
mit Bezug auf einen Buddha gebraucht, die ihn felbft
überlebende Kraft und zugleich Urfprung und Wefen der
übrigen Glückfeligen, auch die Quelle der beiden andern
kaya; Sambhogakaya, die Gefamtheit von Seligkeit und
Freude, ift als ein Mittleres zwifchen Geift und Stoff gedacht
, eine Offenbarung des Dharmakaya an die Bod-
hisatwas in der Ekftafe (etwa zu vergleichen Spinozas
amor Dei intellectualis). Nirmanakaya endlich bezeichnet
die Vielheit, Geteiltheit der irdifchen Erfcheinungen der

Buddhas. Die ganze Lehre kam etwa um den Beginn
unferer Zeitrechnung in Nordweft-Indien auf und neu-
platonifche, perfifche, brahmaniftifche Einflüffe mögen mit
im Spiel gewefen fein. 4) Nur nennen kann ich fchließ-
lich Referate von Oltramare-Genf über das Verhältnis von
Moral und Dogma im Buddhismus, Jahn-Bremen über die
Puranas als Quellen der religiöfen Kenntnis, Pertold-Prag
über ,Gara and Giri, the obsolete gods of the Sinhalese,
being an attempt to trace the primitive Ceylonese religion
in the present folk-religion of the Sinhalese and in the
religion of the Veddas', W. Loftus Hare-Derby, A. Com-
parison of Brahman and Buddhist System of meditation.
Auf U. Pestalozza-Mailand, Une probable source irani-
enne du texte ethiopien du livre d'Enoch kommen wir
noch zurück.

Mr. E. Guimet-Paris, der verdienftvolle Begründer
des gleichnamigen Mufeums, fprach unter Vorführung von
Lichtbildern in einer allgemeinen, im Theater abgehaltenen
Sitzung über Symboles Egyptoromaines und beleuchtete
die eigenartige Erfcheinung, daß wir die gleichen Symbole
, die gleichen magifchen Zeichen zu verfchiedenen
Zeiten und bei verfchiedenen Völkern antreffen. U. a.
führte er die in fich zurückgehende, verfchlungene Linie
als Bild der Ewigkeit vor, die fich im Buddhismus fo gut
wie in Ägypten und in Rom findet. Dann zeigte er den
Übergang eines Symbols in das andere an dem Zufammen-
wachfen und dem Bedeutungswechfel von Chonzu und
Horus. Als 3. Reihe zeigte er Abbildungen des ägyp-
1 tifchen Knopfes als Zeichen von Ewigkeit und Unfterblich-
| keit, oft auch als Kreuz mit einem Blütenkranz darüber
bei Heiden wie bei Chriften. — Ägyptifches behandelte
auch Moret-Paris, der die Frage unterfuchte, ob der
Ka als Totem aufzuraffen fei, und Turajef-St. Petersburg
, der Mitteilungen über das neue ägyptifche Mufeum
zu Moskau machte (eröffnet am 31. Mai d. J.); es umfaßt
jetzt ca. 6000 Gegenftände von ägyptifchem, koptifchem,
arabifchem Urfprung, fowie eine ftattliche Zahl von Manu-
fkripten, Altären und Sarkophagen. Auf E. Mahler's,
Budapeft, Vortrag über ,das Fifchfymbol auf ägyptifchen
Denkmälern' kommen wir noch zurück. T.

Auch Sektion 4 und 5 tagten zufammen:
Nicholfon (Cambridge) entwickelte den Begriff des
myftifchen Nirwanas, das im Gebiet der muhamedanifchen
Myftik kein völliges Nichtfein bedeute, fondern ein teil-
weifes Aufhören des nach Gott ftrebenden Menfchen, der
alles Irdifche abftreifen muß, feine Leidenfchaften und
feinen eigenen Willen, um in Gott zu verfinken. Die extremen
Myftiker reden von einer Auflöfung der Individualität
des Menfchen im Wefen Gottes. — Hart mann (Berlin
) berichtet über den Islam in China, der dort ein inniges
Bündnis mit der Lehre des Confucius eingegangen ift.
Die Bücher diefer beiden Weltreligionen gelten als gleich
heilig. Ein fpezieller Einfluß der Schiiten ift nicht nachweisbar
. — Littmann (Straßburg) fprach über den Heiligenkultus
im Islam in Ägypten und zeigte an dem Heiligen
Ahmed al Bedawi, wie die älteften Erzählungsmotive,
vorchriftliche, chriftliche und jüdifche, in modernen is-
lamifchen Heiligenerzählungen weiterleben. — Horten
(Bonn) behandelte das Thema: Philofophie und Religion im
Islam. Diefe beiden Gebiete, follte man denken, müßten die
größten Gegenfätze darftellen. Ift doch die Philofophie
das Beftreben, ohne Offenbarung, mit den Mitteln der reinen
Natur fich in diefer Welt zurecht zu finden, und der
Islam die göttliche Erleuchtung, die der Natur fagt, fie
fei unfähig, aus eigenen Kräften das Rätfei der Welt und
des Menfchenlebens zu löfen. In der Tat haben diefe
beiden Gegner im Islam jedoch einen engen Freund-
fchaftsbund gefchloffen. Die Philofophen verteidigen den
Islam und die Theologen nehmen philofophifche Lehren
in Menge in ihre Spekulation auf. Alle Teile der isla-
mifchen Geifteskultur ftehen in engfter Fühlung. Trotz der
äußerften Buntheit in der äußeren Erfcheinung herrfcht im