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Ausgabe:

1912 Nr. 1

Spalte:

602

Autor/Hrsg.:

Reissinger, K. (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Monumenta Germaniae Paedagogica. Bd. XLIX: Dokumente zur Geschichte der humanistischen Schulen im Gebiet der Bayerischen Pfalz, 2. Bd 1912

Rezensent:

Knoke, Karl

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 19.

G02

rechtsrelevanten Erfolges; .fahrläffig' folle ausschließlich
die Herbeiführung eines rechtsrelevanten Erfolges bezeichnen
(S. 4). Wo indeffen die Ausdrücke .vorfätzlich'
oder .fahrläffig' als Prädikat einer beftimmten Handlung
auftreten, bedeuten fie beide nur, daß die Pfyche ein
vorwerfbares Verhalten eingefchlagen hatte, das für die
Handlung kaufal wurde. Im einen Fall liegt eine Einwilligung
in eine vorgeftellte Körperbewegung oder einen
vorgeftellten Erfolg vor. Im anderen Falle lehnte der
Täter es ab, eine ihm nahegelegte Erinnerung zu reproduzieren
, wodurch er zur Vorftellung gelangt wäre, daß
er jene Körperbewegung oder jenen Erfolg verurfachen
werde oder könne. Die Fahrläffigkeit fetzt alfo begrifflich
den Eintritt eines Erfolges nicht in weiterem Umfange
voraus als der Vorfatz. Fahrläffig kann z. B. übertreten
werden der Dienftbefehl: ftillgeftanden. Fahrläffig
kann eine Körperbewegung (z. B. Grenzüberfchreitung)
vorgenommen werden. Den Verfaffer dagegen führt fein
Irrtum zu der Annahme, Vorfatz und Fahrläfffgkeit feien
inkommenfurable Begriffe (S. 17). — Auf S. 23 nimmt der
Verf. ferner an, bei der unbewußten Fahrläffigkeit finde
der Antrieb zum Handeln keinerlei Hemmung. Auch
bei der fog. bewußten Fahrläffigkeit, die vorliegt, wenn
die vorübergehend aufgetauchte Erfolgsvorftellung vom
Täter vor der Handlung innerlich wieder verworfen worden
war, konftatiert der Verfaffer nur einen Irrtum, aber
kein vorwerf bares pfychifches Verhalten (S. 28/29). Gleichwohl
foll aber die Fahrläffigkeit vom reinen Zufall unter-
fcheidbar fein. Der Gefetzgeber drohe nämlich Strafe
für den Fall an, daß ein im allgemeinen (= generell) vor-
ausfehbarer Erfolg von einem Individuum ausnahmsweife
nicht vorausgefehen wurde (S. 53). Weshalb der Gefetzgeber
jemanden fchon deswegen geftraft wiffen wollte,
weil er das generelle Durchfchnittsmaß der geiftigen Fähigkeiten
anderer nicht erreicht, ift nicht einzufehen. Derartige
Beftrafungen würden in Kulturftaaten Mitleid und
Empörung, aber keine heilfame Wirkung für die Gefamt-
heit oder für den Täter bedeuten. Der Verfaffer erachtet
endlich drei einander koordinierte Schuldformen für gegeben
: Abficht, Willkür und I^ahrläffigkeit (S. 72 f.). Jedoch
betrifft fein Kriterium zwifchen Willkür und Abficht
(ob nämlich der Wille des Täters nur auf die Herstellung
eines beftimmten verpönten Tatbestandes oder zugleich
auf die Verletzung des dadurch zu fchützenden Gutes
gerichtet war) nur verfchiedenartige Vorfatzobjekte,
aber kein qualitativ verfchiedenartiges Zustandekommen
der vorfätzlichen Schuld. Die entschieden geistreichen
Ausführungen des Verfaffers erfcheinen daher ungeeignet,
die herrfchende Lehre (vgl. z. B. Binding, Normen 2, 121)
irgendwie zu erfchüttern, daß es zwei, aber auch nur zwei
koordinierte Schuldarten: dolus und culpa gibt.

München. Auguft Köhler.

Das Leben Jefu Chrilti in Predigten berühmter Prediger.
Hrsg. v. Pfr. O. Lebrecht. (VIII, 354 S.) 8°. Gütersloh
, C. Bertelsmann 1912. M. 4 — ; geb. M. 4.50
Der Gedanke, das Leben Jefu in einer ,Auswahl zusammenstimmender
Predigten berühmter Prediger' zu behandeln
, ift neu. Auf den erften Blick hat er auch gewiß
etwas Bestechendes. Nähere Betrachtung läßt doch Bedenken
aufkommen. Kommt wirklich ein einheitliches
Ganzes heraus, wenn Herder, Blumhardt, R. Rothe, Schleiermacher
, Schweizer, G. C. Rieger, K. H. Rieger, Tholuck,
Theremin, Lisko, Harleß, Kliefoth, Luther u. a. in buntem
Wechfel, jeder mit einer Predigt über ein Stück des Lebens
Jefu, zu Worte kommen? Etwas Einheitliches in der
näheren Auffaffung, in der Tonart, in der Rücksichtnahme
auf den Leferkreis? Sind gerade diefe Predigten für die
Gemeinde des 20. Jahrhunderts geeignet? Auf deren
befondere Fragen und Auffaffungen gehen Sie doch nicht
ein. Die Sammlung hat ihren Wert für Solche, die die
Mannigfaltigkeit der Zungen kennen lernen wollen, für

Gebildete, die Sich den einen oder den anderen großen
Prediger zu verdeutlichen wünfchen, für Theologen, denen
Sie eine kleine Blütenlefe zum Studium der Gefchichte der
Predigt bietet. Soviel 36 Predigten von 36 verschiedenen
Verfaffern in diefen Richtungen leiften können, leiftet diefe
Sammlung, da fie Einfeitigkeit vermeidet, und es ift nur
fchade, daß nicht neben den Jahreszahlen für Geburt
und Tod der Autoren auch noch ein paar Daten über
Lebensgang, Landfchaftzugehörigkeit ufw. gegeben find.
Aber für die Gemeinde Scheint mir gerade diefe Auswahl
nicht recht geeignet.

Gießen. M. Schi an.

Monumenta Germaniae Paedagogica. Begründet v. Karl
Kehrbach, hrsg. v. der Gefellfchaft f. deutfche Er-
ziehungs- u. Schulgefchichte. Bd. XLIX. Dokumente
zur Gefchichte der humanift. Schulen im Gebiet der
Bayer. Pfalz. Mit hiftor. Einleitg. hrsg. v. Gymn.-Prof.
Dr. K. Reiffinger. 2. Bd. Dokumente zur Gefchichte
der weltlichen Schulen in Zweibrücken, Speyer und
kleineren Orten. (X, 666 S.) gr. 8°. Berlin, Weidmann
1911. M. 17 —

Zu den 35 Dokumenten, welche Sich auf die Gefchichte
der humaniftifchen Schulen in der Bayerifchen
Pfalz beziehen, werden in diefem Bande der Monumenta
Germaniae Paedagogica 88 weitere veröffentlicht, welche
einen lebendigen Einblick in die Organisation und den
Betrieb der proteftantifchen höheren Schulen des Herzogtums
Zweibrücken und des Reichsftädtifchen Gymnafium.s
zu Speyer gewähren. Berücksichtigt find auch einige
kleinere Erziehungsanftalten. Ich habe in Bd. XXXVIII,
Sp. 601 f. diefer Zeitschrift über den erften Teil der
Reiffingerfchen Arbeit ausführlicher berichtet und beziehe
mich hier auf das dort Gefagte. Den Forfchern auf dem
Gebiete der Unterrichts- und Erziehungsgefchichte hat
der Verf. mit diefer neuen Publikation einen großen Dienft
erwiefen. Durch fie haben wir weiteres Illuftrationsmaterial
zur Veranfchaulichung der pädagogifchen Wirklichkeit in
den erften 3 Jahrhunderten nach der Reformation erhalten.
Dies Material kann bei der gefchichtlichen Darfteilung
jener Periode gute Dienfte leiften. Auf Einzelheiten genauer
einzugehen, verbietet die Aufgabe einer theologifchen
Zeitschrift; doch will ich nicht verfäumen, auf das S. 182 ff.
abgedruckte Gutachten von J. M. Gesner über die Organifation
des Zweibrücker Gymnafiums 1754 und die beiden
Dokumente von K. F. Bahrdt aufmerkfam zu machen,
welche deffen Plan zur Errichtung des Philanthropins zu
Heidesheim 1776 und die von ihm vefaßten Gefetze für
die Lehrer an diefem Philanthropin S. 346—367 enthalten.
Die .Gefetze' entftanden unter dem Eindruck, dem der
Verf. nach einjährigem Beftehen der Anftalt mit den
unmißverftändlichen Worten Ausdruck gab:,Noch einige
Wochen fo fortgelebt, und das Philanthropin ift zu Ende'.
Göttingen. K. Knoke.

Pfeifer, Schuldir. Herrn.: Ethik in der Volksfchule. Die Bergpredigt
nach Matthäus u. das 1. u. 3. Hauptftück. 2. Aufl.
(VI, 398 S.) gr. 8°. Leipzig, Dürr'fche Buchh. 1910.

M. 5.40; geb. M. 6.20

Auch auf dem Boden der religiöfen Erziehung macht
Sich die Hinwendung von der Vergangenheit zur Gegenwart
immer mehr geltend. Statt die Kinder vor allem
in den heiligen Hain der Heilsgefchichte zu führen, um
fie daraus mit einigen Wahrheiten und Mahnungen zurückkehren
zu laffen, geht man jetzt einen andern Weg. Diefer
befteht nun aber nicht in der einfeitigen Behandlung von
GegenwartsWahrheiten und -pflichten, fondern man wendet
die großen in unfrer klaffifchen Gefchichte gegebenen
Gefichtspunkte auf das Gegenwartsleben an, um es mit