Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1912 Nr. 19

Spalte:

597-599

Autor/Hrsg.:

Richter, Raoul

Titel/Untertitel:

Religionsphilosophie 1912

Rezensent:

Mayer, Emil Walter

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

597

Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 19.

598

jenen kein Mann da, der ihr die Spitze bieten konnte? , auch nicht identifch mit der Kunft, fie ift nicht ,künft-
— Eine Reihe von Heilungen der von Mrs. Eddy ge- I lerifche Geftaltung der Transcendenz'. Am meiften Ähnlehrten
Mind Cure erkennt Verf. als tatfächlich an, geht lichkeit hat He noch mit der Moral; fie unterfcheidet fich
aber leider auf die Art und Weife der geiftigen Behand- aber von diefer infofern, als in ihr das Handeln, Wollen
lung im einzelnen nicht recht ein. Im übrigen fieht er 1 und Fühlen ftets auf ,letzte Zufammenhänge', nicht bloß
die Stärke der ganzen Bewegung wohl mit Recht in ihrem, auf ,Teilgebiete der Wirklichkeit' bezogen wird, als das
Selbftvertrauen und Lebensfreude weckenden, religiöfen .Objekt' des religiöfen Fühlens und Wollens ,univerfeller
Optimismus. Gott ift Geift, Gott ift Güte, Gott ift alles Natur', ift. Sie gehört alfo dem wertenden Bewußtfein,
in allem! Die Sünde, der Schmerz, die Annahme einer ; dem emotionalen Bewußtfein an. Sie ift .willens- und
Sinnenwelt beruhen deshalb nur auf dem falfchen Glauben gefühlsmäßige Stellung zur Totalität alles Seienden', eine
an Realitäten, die keine find. Wahrhaft biblifch, wie j auf die letzten Zufammenhänge gerichtete .emotionale
Frau Eddy wollte, wird man diefe Anfchauungen zwar kaum | Funktion'.

nennen dürfen. Aber beruht nicht wenigstens die Recht- . Wenn indeffen gleich fo die Religion wefentlich
fertimangrslehre des Paulus auf dem Glauben des Sünders 1 Fühlen und Wollen ift, dies Fühlen und Wollen wird

an die Nichtexiftenz feiner eigenen Sünde, durch welchen
Glauben dann die Sünde tatfächlich überwunden wird?

Weshalb der Name des bekannten amerikanifchen
Philofophen James durchgängig Jämes gedruckt wird, ift

wie alles Fühlen und Wollen durch ein Objekt beftimmt.
Es fetzt alfo Erkenntnis feines Objekts, Erkenntnis der
letzten Zufammenhänge voraus. Erkenntnis letzter Zufammenhänge
ift aber Metaphyfik. Echte Erkenntnis

mir nicht ^anz klar geworden. derfelben ift ,reine Metaphyfik'. Daher ,kann reine Reli-

Königsberg i. Pr. R- A. Hoffmann.

gion nicht in Kraft treten' ohne reine Metaphyfik. .Wenn
ich mich zum Seinszufammenhang emotional ftellen will,
Richter Prof. Raoul: Religionsphilolophie. (VIII, 178 S.) j ™ß }<& wiff;?n. wie er vermutlich befchaffen ift'; denn
«0 t ■ V wJLmM ioT2 was lch an der -Wirklichkeit andern oder umgeftalten,

gr. 8°. Leipzig, E. Wiegandt 1912. erhalten oder fördern möchte, hängt von der tatfächlichen

M. 3—, geb. M. 4 —

Die Religionsphilofophie hat nach der Anficht des
Verfaffers drei Hauptaufgaben zu löfen. Sie hat einmal
das Gemeinfame der verfchiedenen empirifch gegebenen
Religionen herauszuarbeiten und fo den .Gattungsbegriff
der Religion feftzuftellen. Sie hat weiter diefen .Gattungsbegriff
, der den faktifchen Religionen entnommen ift,
zum Begriff der echten, reinen, abfoluten, normativen

Befchaffenheit der Wirklichkeit ab, ob ich sie billige oder
mißbillige'. So ift Metaphyfik, das heißt, theoretifche Erkenntnis
des Weltzufammenhanges, .Vorausfetzung des
religiöfen Bewußtfeins'. Die Metaphyfik will ,den Zu-
fammenhang alles Seins erkennen, auf Sinne, Verftand
und Vernunft, auf Denken und Erfahrung wirken laffen';
die Religion will ,ihn wollend bewerten, auf Wille und
Gefühl, Herz und Gemüt wirken laffen'.
Reiigion° zu klären und zu fteigern' und fo dem ,empi- | . Zweiter Hauptabfchnitt. Es handelt fich jetzt nicht

rifchen Gattungsbegriff den ,idealen Normbegriff der
Religion' gegenüberzuftellen. Sie hat endlich Auskunft
darüber zu erteilen, wie fich die verfchiedenen empirifchen
Religionen zur .reinen Religion', das heißt eben, zum
.idealen Normbegriff der Religion' verhalten und fo etwas
beizutragen zur Bewertung der empirifch gegebenen
Religionen.

Von den drei Aufgaben bevorzugt nun das vorliegende
Buch in auffallender Weife die an zweiter Stelle genannte,

mehr um die .formalen' fondern um die .inhaltlichen Be-
ftandteile' der reinen Religion. Hier entwickelt der Autor
zunächft, wie fich das nach dem Vorhergehenden von
felbft verlieht, eine Metaphyfik, und zwar unerachtet der
einigermaßen überrafchenden Bemerkung, daß ,reine Religion
' mit jeder Metaphyfik vereinbar fei, eine beftimmte
Metaphyfik, eine auf dem Grunde einer fpiritualiftifchen
und teleologifchen Deutung der Welt aufgebaute panthe-
iftifche Metaphyfik. Gott ift der .Allgeift'. Er ift .nicht

alfo diejenige, in bezug auf die fleh wohl fagen läßt, daß ! als fubftantielles Wefen, fondern als ein fich entwickeln
es von vorn herein nicht ganz leicht fein kann, ein Ein- der und werdender Organismus zu denken, als ein Or-
verftändnis darüber zu erzielen, mit Hilfe welcher Methode ganismus, der nicht fchlechthin unperfönlich, nicht fchlecht-
fie zu löfen fei. Von den gemeinfamen Merkmalen der hin perfönlich, fondern überperfönlich ift. Er wirkt fich

empirifchen Religionen, vom Gattungsbegriff der Religion
ift doch nur mehr gelegentlich die Rede; während das
.Verhältnis der pofitiven Religionen zur reinen Religion'
lediglich in ein paar kurzen Schlußbemerkungen erörtert
wird, auf die hier nicht befonders eingegangen werden
foll. Bei weitem den größten Raum im Buch, eigentlich
den ganzen Raum nimmt der Verfuch in Anfpruch, den
Normalbegriff der Religion feftzuftellen. Und zwar gliedern
fich die diesbezüglichen Ausführungen in zwei Haupt-

abfehnitte. Der erfte handelt von den .formalen Beftand- j und Willens eee-enüber Gott?' qL T-ÖTVV"^,-''^;"
teilen der Religion', will fagen, der .reinen Religion'. Der unter Preisgabe der TeSolori? und Ä^ T
zweite handelt von den .inhaltlichen Beftandteilen' der- | formen des Verfaffers, ÄSÄÄ^

aus im Vernünftigen und Übervernünftigen, im Guten
und Böfen, Schönen und Häßlichen, in der unendlichen
Fülle alles Seins und Werdens'.

Welches ift nun aber, ihrem Inhalt nach, die Religion,
die der Autor mit eben diefer Metaphyfik verknüpft, und
die nach ihm, weil dem .Idealbewußtfein' eines einzelnen
entnommen, reine Religion genannt werden kann? Mit
andern Worten, welches ift die durch das .Idealbewußt-
fein' des Autors befürwortete Stellungnahme des Gefühls

felben.

Erfter Hauptabfchnitt. Nachdem der Autor Auf-
fchluß gegeben hat über die Begriffe der .Wahrheit', der
.Gewißheit', der .Erkenntnis', ebenfo über das Wefen der

etwa dahin kennzeichnen: fie ift die mehr oder weniger
leite Zuverficht, daß durch Gott und unfere Mitarbeit die
.Ideale der umverteilen Güte, der univerfellen Schönheit,
der univerfellen Wahrheit, der univerfellen Perfönlichkeits-

.logifch-mathematifchen Erkenntnis', der ,objektiv-empi- j entfaltung' ihrer Verwirklichung immer näher gebracht

rifchen Erkenntnis' und der .objektiv-metempirifchen
Kenntnis, das heißt, der Metaphyfik, deren Möglichkeit er
behauptet legt er dar, daß die Religion nicht eine Erkenntnis
fem könne. Sie ift nicht .natürliche Erkenntnis
der letzten Zufammenhänge' wie die Philofophie oder
Metaphyfik. fie ,ft nicht .übernatürliche Erkenntnis', die
durch Offenbarung oder myftifche Erleuchtung vermittelt
wäre fie .ft nicht wofür fieKant ausgegeben hat, .Willens-

ESilSSFTS'?* PJ1** »"Symbole gekleidete
Erkenntnis, nicht .fymbolifche Phantafie'. Sie ift aber

werden können, und das damit Hand in Hand gehende
Streben nach der Verwirklichung diefer Ideale. Gott ift
zwar nicht .allmächtig', .allweife', .allgütig'; aber es befiehlt
eine ftarke Wahrfcheinlichkeit zu Gunften der Annahme
, daß der .Drang' nach Form, nach Einheit in der
Mannigfaltigkeit, nach Wahrheit, Güte, Schönheit fich als
das .leitende und führende Prinzip' in der Welt bewähren
wird.

Ich brauche nicht erft zu fagen, daß ich mit fehr
vielem in diefer Religionsphilofophie nicht einverftanden