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Ausgabe:

1912 Nr. 19

Spalte:

586-588

Autor/Hrsg.:

Elert, Werner

Titel/Untertitel:

Die Religiosität des Petrus 1912

Rezensent:

Fiebig, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 19.

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Kritik. Zur Annahme neuer und ungewöhnlicher Ergeb-
niffe wiffenfchaftlicher Bemühung läßt Verf. fich nicht
leicht verleiten. Die Harnackfche Chronologie des Lebens
Pauli lehnt er ausdrücklich ab, an den Arbeiten desfelben
Gelehrten zur Apoftelgefchichte geht er ftillfchweigend
vorüber. Die Frage nach der Echtheit der einzelnen
neuteftamentlichen Schriften, deren Unterfuchung einen
verhältnismäßig fehr erheblichen Raum beanfprucht, wird
in der Regel im bejahenden Sinn entfchieden, ohne daß
man zu dem Vonvurf berechtigt wäre, die Gegenargumente
kämen nicht ausreichend zu Wort. Sie Rheinen
A. nur vielfach nicht durchfchlagend zu fein, und in
dubio ift er pro reo. Zur Ablehnung der kirchlichen
Überlieferung bezüglich der Verfaffer neigt er, vorn
Hebräerbrief abgefehen, eigentlich nur beim 2. Petrusbrief
und der Apokalypfe, die vom Presbyter flammen mag.
Das Matthäusevangelium geht auf die hebräifche Logien-
fammlung des Apoftels M. zurück. Das 4. Evangelium
könnte der Apotlel Johannes durch einen feiner jünger
haben niederfchreiben laffen. Die Paftoralbriefe find echt
paulinifche Briefe an Timotheus und Titus, wenn auch
von fremder Hand überarbeitet. In diefem Stil werden
außerordentlich wohl temperierte Konzeffionen an die
Kritik gemacht. Neue Probleme tauchen fo wenig aut
wie überrafchende Löningen alter. Aber das wird von
einem folchen Buche auch niemand verlangen. Es hat
feine Pflicht erfüllt, wenn es überfichtlich, verftändlich
und mit Gefchmack gefchrieben ift und'die Gründe pro
und contra unparteiifch mitteilt. Dies Lob aber wird
man A.s Werk nicht vorenthalten wollen.

Zum Schluß einige Ausftellungen in Einzelheiten.
S. 28 if. fpricht fich Verf. in einer Weife über das Dia-
teffaron aus, daß, wenn er es felbft nicht fo meint, jedenfalls
der mit den Dingen unbekannte Lefer den Eindruck
gewinnen muß, als Helle der von Ciasca gedruckte ara-
bifche Text wirklich das alte Evangelium der Syrer dar.
Weshalb wird hier nicht die belle exiftierende englifche
Überfetzung des Arabers von H. W. Hogg (Ante-Nicene
Chriflian Library. Addit. vol. 1897) genannt? Und weshalb
erfährt man kein Wort darüber, daß es auch ein
lateinifches Diateffaron gibt? S. 330 wird das Zeugnis
des Theophilus von Antiochien für das Johannesevangelium
mit 170 zu früh angefetzt. S. 344 der Prokurator
hieß nicht Cuspus Fadus, fondern Cuspius F. Endlich
ift die Behauptung S. 363,1 der fog. 3. Korintherbrief werde
von der Kritik frühftens ins 11. Jahrhundert gefetzt, milde
gefagt, ftark veraltet.

Marburg (Helfen). Walter Bauer.

Swete, Prof. Henry Barclay, D. D.: The Holy Spirit in the
New Teftament. A study of primitive chriflian teaching.
London, Macmillan and Co. 1909. (X, 417 p.) gr. 8°. s. 8.6

Diefes Buch lieht vollltändig abfeits der neueren
kritifchen Forfchung und könnte wörtlich gleich vor 50
Jahren gefchrieben fein. Die Fragen der literarifchen
und hiftorifchen Kritik werden nirgends auch nur geltreift;
der Verfaffer °-eht vielmehr zuerft den Spuren des heiligen
Geiftes in der Gefchichte des Täufers, Jefu und der
Apoftel nach, befpricht dann die lehrhaften Ausfagen
Jefu und der Apoftel über den Geilt uud fchließt mit
einer fyltematifchen Darfhellung der Lehre vom Geill nach
den Rubriken: der Geill Gottes; der Geilt Jefu Chrifti;
der Geill in der Kirche; der Geill und das Amt; der
Geilt und das gefchriebene Wort; der Geill und das per-
fönliche Leben; der Geilt und das künftige Leben. In
diefem letzten Teil werden u. a. die volle Gottheit und
felbftändige Perfönlichkeit des Geiftes, das Problem des
Ausgangs des Geiftes vom Vater oder vom Vater und
Sohn, die durch Jefus felbft beitätigte Infpiration des
ATs, die Gebundenheit der Geillesgabe an die Taufe
befprochen, ich gebe zu, mit der durch die NTlichen
Stellen gebotenen Vorficht, aber letzlich doch immer

im Sinn der anglikanifchen Orthodoxie. Für den hiftorifchen
Teil aber ift charakteriftifch, daß 2 Kor. 3,17 nur
ganz flüchtig behandelt wird, daß der Autor bei der
Frage, wie fich das Herabkommen des Geiftes bei der
Taufe mit der Zeugung aus dem Geilt vertrage, gerade
die Pofition des Markus ignoriert, es dagegen für bedeut-
fam hält, daß Jefus ftatt Beelzebub den kanonifchen
Namen Satan braucht, und im trinitarifchen Taufbefehl
Jefus feine theologifche Lehre über Vater, Sohn und
Geilt abfchließen und krönen läßt. Im Gleichnis vom guten
Hirten ift der heilige Geilt vielleicht der Türhüter etc.
Wenn der Autor dann am Schluß hervorhebt, er habe
feinen Lefern nicht eine Lehre, fondern eine Erfahrung
vorgelegt, fo mutet uns das ganz merkwürdig an; eine
Studie zur religiöfen Pfychologie des NTlichen Zeitalters
müßte vollltändig anders ausfallen, und fie wäre freilich nur
möglich nach Erledigung der entfcheidenden literarifchen
Fragen und klarer Sonderung der einzelnen NTlichen
Quellen und ihrer verfchiedenen Zeit. Von wiffenfchaft-
lichem Wert find eigentlich nur die Paragraphen des Anhangs
, die einige Detailfragen zwar nicht erfchöpfen,
aber doch mit der dem Autor eigenen und von niemand
angezweifelten Gelehrfamkeit behandeln, leider mit Ablehnung
jeder außerifraelitifchen Parallelen. Im Übrigen
mutet unsDeutfche dies Buch faft eher wie ein Erbauungsbuch
an, welches den orthodoxen Pofitionen eine folide
biblifche Unterlage geben will, als eine die wiffenfchaft-
liche Erkentnis zu fördern beftimmte Arbeit.

Bafel. Paul Wer nie.

Eiert, Lic. Dr. Werner: Die Religiolität des Petrus. Ein

religionspfycholog. Verbuch. (82 S.) gr. 8°. Leipzig,
A. Deichert Nachf. 1911. M. 1.50

E. betont in der Einleitung diefer Schrift, es handle
fich in feiner Unterfuchung um ,eine rein empirifche Aufnahme
und Analyfe der den Apoftel Petrus betreffenden
pfychifchen Tatbeftände, die fich aus den neuteftamentlichen
Quellen mittelbar oder unmittelbar ergeben'. Sowohl
die Frage nach Wefen und Wahrheit diefer pfychifchen
Phänomene als überhaupt fyftematifche Intereffen,
ebenfo das Beftreben, Gefetze der religiöfen Pfychologie
zu formulieren, lehnt E. als nicht zu feiner Unterfuchung
gehörig ab. Den neuteftamentlichen Quellen fleht er fehr
konfervativ gegenüber. Wie E. felbft am Schluß* feiner
Arbeit fagt, bietet er lediglich eine Schilderung des religiöfen
Entwicklungsganges des Petrus. Petrus ift nach E.
zunächft gefetzesftrenger Jude gewefen, jedoch ohne theologifche
Bildung. Er hat fich dann, da er ein religiös
intereffierter Mann war, Johannes dem Täufer angefchloffen
und ift ,unter dem fuggeftiven Einfluß' des Täufers Jüno-er
Jefu geworden. Er fah in Jefus den Meffias, verband le-
doch mit diefem Begriff Vorftellungen, die Jefus berichtigen
mußte. Petrus war nach E. eine impulfive Natur,
ein Mann ,warmglänzender, heißer Gefühle', ein Mann
lebhafter Aktivität, bei dem die Klarheit und Schärfe
konfequenten Denkens hinter der Wucht feiner mehr
triebartigen Willensbetätigung zurückftand. An Jefus fef-
felte ihn nicht zunächft eine neue Lehre, fondern der
Eindruck der Perfönlichkeit Jefu. Die Verleugnung Jefu
durch Petrus zeigt, daß die mangelhafte Erkenntnis
des Petrus von Jefu Meffiastum mit feiner Liebe zu
Jefus in Widerfpruch treten konnte. Diefe Diskrepanz
zwifchen feinen Vorftellungen und feinem Fühlen
machte ihn damals derartig unficher, daß er fähig war,
Jefum zu verleugnen. Seit der Auferftehung Jefu war Petrus
ein anderer Menfch geworden. Seine Erkenntnis Jefu
und fein Wille, für ihn zu wirken, waren jetzt in voller
Harmonie. Bald aber ergab fich auch jetzt wiederum eine
Diskrepanz. Obwohl Petrus, wie E. vorwiegend nach der
Apoftelgefchichte behauptet, die Wirkfamkeit des Paulus
anerkannte und in der Theorie Univerfalift war, zeigt er
doch gelegentlich (vgl. Gal. 2) auch jetzt noch eine Dis-

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