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Ausgabe:

1912 Nr. 18

Spalte:

566-567

Autor/Hrsg.:

Baltzer, Otto

Titel/Untertitel:

Im Kampfe um persönliche Religion. Weltanschauungsfragen und Glaubensfragen. Sechs Vorträge 1912

Rezensent:

Scheibe, Max

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 18.

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wurden. Seiner kräftigen und befonnenen Leitung verdankt
das nach dem deutfch-franzöfifchen Kriege fehr
reduzierte Häuflein lutherifcher Proteftanten in Paris und
Mömpelgard den inneren Zufammenfchluß und die zugleich
maßvolle und zielbewußte Haltung, die ihm die in
der reformierten Schwefterkirche ausgebrochenen Kämpfe
und Zerwürfniffe erfparten.

Die 109 Stücke, die Kuhns Freundezufammengetragen
haben, find nicht chronologifch, fondern nach fachlichen
Gefichtspunkten geordnet. Man kann diefe Gruppierung
nur billigen. Ift fich doch Kuhn in feinen religiöfen Überzeugungen
und feinen theologifchen Formulierungen gleich
geblieben, fo daß eine chronologifche Reihenfolge feiner
verfchiedenen Äußerungen kein wefentliches Intereffe
bieten würde. Dagegen ermöglichen die acht Kapitel,
welche die Herausgeber den reichen Stoff gegliedert

und nur das Notwendigfte (in fpärlichen Anmerkungen
und einem forgfältigen Regifter) erklärt, im Übrigen redet
der Heimgegangene felbft und ungeftört zu uns. Und da
er ein Menfch war, der mit gefammelter Seele in fchlichter
Wahrhaftigkeit und Kunft zu fchreiben wußte; fo erhalten
wir in der Tat ein ebenfo lebendiges wie anziehendes
Bild diefer feinen und freien, tieffrommen Perfönlichkeit.
Wir, die wir ihn gekannt, verehrt und geliebt haben, weil
ihm das Chriftentum edelfte Blüte des Menfchentums
war, weil in ihm wiffenfchaftliches Streben mit unermüdlicher
Treue in der Praxis fich verband (Peftalozzi-Verein,
Idfteiner Idiotenanftalt; vor allem aber: er war das Mufter
eines Seelforgers mit Wort und Schrift), wir laffen tiefbewegt
das Bild vor unfere Seele treten; und wir zweifeln
nicht, es muß mit feiner echten Güte auch folche ergreifen,
die ihn nicht perfönlich kannten.

haben eine richtige Kenntnis und eine wohl begründete Aber in diefem Charakterbilde erfchöpft fich der

Würdigung der Gedanken Kuhns: Das Evangelium und
das chriftliche Leben, Die Kirche, Wort Gottes und
Sakramente, Der Gottesdienft, Katholizismus und Prote-
ftantismus, Zeitfragen, Theologifche Probleme, Beiträge
zur fchönen Literatur.

In formeller Beziehung verdienen die Artikel K.'s das
Lob, das ihnen bei ihrem erften Erfcheinen gefpendet
wurde, durchaus. Die Sprache ift kräftig, klar, frei von
jeder rhetorifchen Phrafe; das Pathos, zu dem fie fich
zuweilen erhebt, ift durch den Inhalt bedingt und von
einer Überzeugung getragen, die auch dem Widerftreben-
den Achtung, oft Bewunderung abgewinnt. Diefe Überzeugung
hat fich an Luther gebildet, deffen reformatorifche
Grundgedanken Kuhn in ihrer unmittelbaren religiöfen
Geftalt zu vertreten weiß. Seine Theologie bewegt fich
um die beiden Pole, die Luthers Chriftentum beherrfchen:
das lebendige Gottes Wort, als Gnadenmittel der Kirche
zur Verkündigung und Verwaltung anvertraut, und der
Glaube, als perfönliche Gewißheit und Vertrauen zur
Gnade Gottes in Chrifto. In zahlreichen Variationen bringt
der Verf. diefe Gedanken zur Geltung, mit einer Frifche,
einer Tapferkeit und Freudigkeit, die überall verrät, daß
das Luthertum K.'s aus der urfprünglichen reinen Quelle
gefchöpft ift. Der entfchieden konfeffionelle Charakter
feines Zeugniffes fchließt die billige Würdigung und Anerkennung
der Gegner nicht aus, und auch wo er eine
fcharfe Klinge führt, ift Irenik, nicht Polemik fein letztes
Ziel. Möge das Buch zahlreiche Lefer finden: fie werden
fich an dem gefunden warmen Leben, das in diefen Seiten
pulfiert, erquicken, und die ihnen etwa nicht zufagende
dogmatifche Formulierung fallen laffen.

Straßburg i. E. P. Lobftein.

Rudolf Ehlers. Lebensbild e. evangel. Theologen aus feinen

Briefen. (IV, 189 S. m. 4 Bildern.) 8°. Frankfurt a. M,

M. Diefterweg 1912. M. 2—; geb. M. 3 —

Aus dem reichen Schatz der Briefe (an Eltern, Freunde,
Gemeindeglieder ufw.) haben die Tochter des Heimgegangen
und fein ihm freundfchaftlich ergebener Nachfolger
, Lic. W. Lueken, ein Lebensbild zufammengeftellt,
das mit dem Studium beginnt und mit dem Tode (7.Auguft
1908) endigt. Was fie uns bieten, ift nicht eine ,Biographie',
die auf wiffenfchaftliche Vollftändigkeit und Durchdringung

Anfpruch erhebt: dann hätte die Zufälligkeit und Lücken- j höchften WirkEehkpiüV««"« "TuTüV fj

hafügkeit des Briefmaterials durch andere Quellen ergänzt, der drückenden ' wahrhaf* befriedigende, auch

es hätte der Stoff durch reiche Anmerkungen kultur- und I nicht verfaß demf™ne; gegenüber

kirchengefchichtlicher Art erläutert werden müffen, es , folchem If*T? erfchheßt; denn in

hätte die Kritik nicht fehlen dürfen. Aber eine folche i gewiß werden T' Wu G°ttes

-11 ^j:„ tj„_ I l..o„„ ,,~n! «eilen Spuren wir dann aber auch in der

Wert des Buches nicht. In feinem Spiegel zieht ein gutes
Stück Frankfurter und deutfcher Kirchengefchichte an
uns vorüber. Wir erleben den tiefen Einfluß von Rothe
auf emptängliche, dem Parteitreiben überlegene Gemüter,
die Kämpfe um die Frankfurter Kirchenverfaffung, um den
theologifchen Liberalismus in der preußifchen Landeskirche
, die Entftehung des Proteftantifchen Miffions-
vereins (zu deffen Vätern E. gehörte), die Begründung
der Zeitfchrift für praktifche Theologie (mit Baffermann)
u. A. Kulturgefchichtlich intereffant find befonders die
Frankfurter Stimmungsbilder aus dem Jahre 66.

Ich breche ab, das Gefagte wird hoffentlich genügen,
dem fchönen fchlichten Buch auch außerhalb des Kreifes
der perfönlichen Bekannten dankbare Lefer zu gewinnen.

Hannover. Schuft er.

Baltzer, Pfr. Lic. Otto: Im Kampfe um perfönliche Religion.

Weltanfchauungsfragenund Glau bensfragen. Sechs Vorträge
. Tübingen, J. C. B. Mohr 1911. (III, III, 73 u.
IV, 68 S.) gr. 8". M. 3 - ; geb. M. 4 —

In Baltzers Schrift find zwei Reihen von je drei Vorträgen
vereinigt, die auch gefondert unter den Titeln
,Weltanfchauungsfragen' und ,Glaubensfragen' innerhalb
der .Sammlung gemeinverftändlicher Vorträge undSchriften
aus dem Gebiet der Theologie und Religionsgefchichte'
erfchienen find. Die erfte Gruppe wird eingeleitet von
dem ,Der Weg zur Weltanfchauung' überfchriebenen Vortrage
; hier wird gegenüber einem rein naturwiffenfchaft-
lich gearteten Verfahren die Notwendigkeit aufgezeigt,
bei der Bildung einer Weltanfchauung vom menfchlichen
Geiftesleben den Ausgangspunkt zu nehmen, und gegenüber
einer moniftifchen Verwifchung des Unterfchieds von
Materiellem und Seelifchem die Eigenart des letzteren
aus der Tatfache des Selbftbewußtfeins erwiefen; dabei
erfährt die wiffenfchaftliche und praktifche Bedeutung des
Gedankens der ftrengen Naturgefetzmäßigkeit volle Würdigung
. Die beiden folgenden Vorträge (,Der Sinn des
Lebens( und .Perfönlichkeit und Weltanfchauung'), in denen
feinfinnige Ausführungen über das Erwachen der Frage
nach dem Sinn des Lebens beim Einzelnen und in der
Gefchichte fowie über Perfönlichkeitsbildung geboten
werden, zeigen, wie fich mit der Anerkennung des perfönlichen
, idealen Werten zugewandten Lebens als der

wiffenfchaftliche Lebensbefchreibung wollten die Herausgeber
, die befcheiden hinter dem Werke ihrer Pietät
zurücktreten und nicht einmal ihre Namen nennen, gar
nicht liefern; nur das Bild feiner Perfon, wie es aus feinem
Leben uns entgegenleuchtet, wollten fie fefthalten. ^ So
haben fie nur eine ganz kurze Einführung vorangefchickt

äußeren Welt begegnen, wenn auch hier noch viele Rätfei
bleiben und eine Weltanfchauung immerdar nur durch
den kämpfenden Willen behauptet werden kann. Der
erfte Vortrag der zweiten Gruppe mit dem Thema ,Glauben
und Wiffen' fucht die Möglichkeit eines friedlichen Nebeneinanderhergehens
der wiffenfchaftlichen, genauer der