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Ausgabe:

1912 Nr. 18

Spalte:

557-560

Autor/Hrsg.:

Mausbach, Jos.

Titel/Untertitel:

Die Ethik des hl. Augustinus. 2 Bde 1912

Rezensent:

Scheel, Otto

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 18.

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aber den fogenannten liberalen' ,Leben Jefu'-Büchern mit
Recht zum Vorwurf gemacht worden ift. Nicht nur die
Berichte über Krankenheilungen, fondern auch die von
Totenerweckungen und Naturwundern werden als Uber-
treibungen gefchichtlicher Ereigniffe erkärt, die Taufe ift
ein innerer Vorgang, die Verfuchungsgefchichte ,muß'
Jefus felbft feinen Jüngern erzählt haben, die Verklärungs-
gefchichte berichtet von einem Geficht der Jünger ,in
einer ftiilen Stunde, auf einfamer Bergeshöhe'. Gegen
diefe Rekonftruktionen, die den häufigen Gebrauch von
,wird' und ,muß' in der Darftellung geradezu bedingen,
haben die Freunde der Chriftusmythe gerade zu allererft
ihre Polemik und ihren Spott gerichtet, und die Erkenntnis
der Dürftigkeit folcher Argumente kann gerade
als ein Ergebnis der Diskuffion angefehen werden, das
der Forfchung in Zukunft zugute kommen wird. Um fo
weniger erwartet man derartiges in einer Schrift zu finden,
die fich mit der ,mythogifchen Richtung' befchäftigt.

Freilich: gerade die Entftehung der fraglichen Erzählungen
in den Evangelien ift noch keineswegs geklärt.
Diefe unfere Unwiffenheit ift aber kein Beweis für das
Recht der Subtraktionsmethode (fo Clemen S. 67), follte
vielmehr eher ein Anfporn fein zu neuen Unterfuchungen
an möglichft umfangreichem Material — Fiebig hat eben
in dankenswerter Weife mit feiner Zufammenftellung
beo-onnen. Allerdings fieht fich der Autor, der populari-
fieren, der fertige Refultate vortragen will, in einer
fchwierio-en Lage. Und das ift charakteriftifch für die
Situation: ehe die Theologie imftande ift, auf alle Fragen,
die ihr jetzt von berufener und unberufener Seite ge-
ftellt werden, die Antwort zu geben, die der Sache
geziemt und den Fragern gebührt, muß fie felber fich
zu mancher Frage noch die Antwort fachen. Kein
Billigdenkender wird erwarten, daß fie heute oder geftern
geftellte Probleme morgen mit einer überzeugenden Löfung
erledigt; aber jeder darf erwarten, daß fie die Fragen
beachtet, auch wenn fie ihr aufgedrängt worden find.
Und je mehr fie daran arbeitet, defto williger wird man
auf fie hören.

Berlin. Martin Dibelius.

Mausbach, Prof. D. Jofi: Die Ethik des hl. Augultinus. 2 Bde.
(XI, 442 u. VII, 402 S.) gr. 8°. Freiburg i/B., Herder
1909. M. 15—; geb. M. 17.40

Aus der katholifchen Literatur über Auguftin hebt
fich Mausbachs Werk nicht bloß durch die Größe des
Ümfangs, fondern auch durch feinen inneren Wert heraus
. Damit Coli freilich nicht gefagt werden, daß die
Grundfätze, die Mausbachs Unterfuchung geleitet haben,
und die Ergebniffe, die er gewonnen hat, rückhaltlofe
Anerkennung fordern können. Aber es darf doch von
vornherein erklärt werden, daß ernfte Befchäftigung mit
dem Stoff und unverdroffene analytifche Kleinarbeit in
diefem Werk uns entgegentreten. Der Verfaffer verliert
fich jedoch nicht in der Analyfe des Einzelnen. Er vergißt
nie, den Blick auf größere Zufammenhänge zu richten
und mögliche Verbindungen ins Auge zu faffen.

Die Fülle des Stoffs, die vor uns ausgebreitet wird,
macht ein Referat hier unmöglich. Nur die Grundeinteilung
kann angegeben werden. Der erfte Band befpricht
,die fittliche Ordnung und ihre Grundlagen', der zweite
,die fittliche Befähigung des Menfchen und ihre Verwirklichung
'. Ein kurzer Abriß der Entwicklung Auguftins
und feiner gefchichtlichen Stellung wird vorangefchickt.
Während der zweite Band im wefentlichen die Frage beantwortet
, wie die fittliche Aufgabe verwirklicht wird und
darum vor allem die Probleme der Gnade, Erbfünde,
Rechtfertigung fowie der fittlichen Betätigung außerhalb
und innerhalb der Kirche behandelt, befaßt fich der erfte
Band im großen und ganzen mit einer Befchreibung des
fittlichen Ideals (,Glückfeligkeit als Ziel und Vollendung
des menfchlichen Lebens', ,die fittliche Ordnung als Hinordnung
zum abfoluten Gute und Ziele'), deffen Verankerung
im Gottesgedanken (,Gott und die Welt'), des
Wefens der fittlichen Betätigung (,Die Caritas als Mittelpunkt
der Sittlichkeit') und der Betätigungsgebiete des
fittlichen Handelns (,Die weltliche Arbeit und Kultur',
,religiöfe Weltflucht und Befchaulichkeit', ,der Zufammen-
hang und Ausgleich zwifchen Weltflucht und Weltarbeit').
Stoffliche Wiederholungen hat diefe Anlage nicht ganz
vermeiden können. Sie wären aber auch bei anderer
Dispofition fchwerlich vermieden worden. Und Mausbach
hat jedenfalls mit Erfolg fich bemüht, fich an die
jeweilig leitenden Gefichtspunkte zu halten, fo daß die
Wiederholungen nicht als ftörend empfunden werden.
Störender könnten vielleicht die ausführlichen Auszüge
aus den Schriften Auguftins empfunden werden. Hier
das rechte Maß zu treffen, ift aber keineswegs leicht.
Mausbach felbft weiß das fehr wohl. Er hat aber lieber
zu viel als zu wenig tun wollen, um den Lefer nicht
den feften Boden unter den Füßen verlieren zu laffen.
Dagegen ift grundfätzlich nichts einzuwenden. Die Frage
des Maßes bleibt dem Gefchmack des Einzelnen überladen
. Mich will bedünken, daß Mausbach fparfamer
hätte fein können. Andere mögen anders urteilen.

Da eine kritifche Stellungnahme zu den von Mausbach
behandelten Problemen hier ebenfowenig möglich
ift, wie ein Referat, fo muß eine Charakteriftik der Grundhaltung
Mausbachs genügen. Sein Werk reiht fich den
Unterfuchungen ein, die den Beweis zu liefern fich bemühen
, daß Auguftin in feinem ganzen Denken und Empfinden
dem unverfälfchten, korrekten Katholizismus deutlicher
Ausdruck gibt, als neuerdings nicht bloß auf
proteftantifcher, fondern auch auf katholifcher Seite angenommen
wird. ,Die Neigung moderner Schriftfteller,
bei jedem monographifch bearbeiteten Kirchenvater möglichft
viel Subjektives und Zeitgefchichtliches zu finden',
j hat wohl ,eine Menge intereffanter Beobachtungen und
Vermutungen veranlaßt'. ,Allein mehr und mehr tritt
auch das Willkürliche der meiften diefer Hypotliefen hervor
' (S. 35). ,Die ältere katholifche Art, vom ausgebildeten
Dogma rückwärtsgehend ins Verftändnis der pa-
triftifchen Lehren einzudringen, ftellt infofern — was die
richtige Erfaffung der Hauptfache und die Vermeidung
wefentlicher Fehler angeht — einen zuverläffigeren Weg
dar' (S. 36). Diefer hiftorifch fehr anfechtbare Grundfatz
beherrfcht die ganze Darfteilung Mausbachs. Schon in
der Erörterung der Gefchichte der Bekehrung Auguftins
macht er fich geltend. Da ich in der Theol. Rundfchau
1910 (,Zur Bekehrung Auguftins') über Mausbachs Skizze
der Entwicklung Auguftins mich geäußert habe, will ich
hier nicht darauf zurückkommen. Hier braucht nur gefagt
zu werden, daß fchon in diefer Skizze Mausbach fich
um den Nachweis bemüht, daß in der Bekehrung Auguftins
die bleibenden Grundgedanken des Katholizismus0 maßgebend
waren, denen dann Auguftin Zeit feines Lebens
treu blieb (Autorität, Gnade). In der eigentlichen Darfteilung
nimmt vollends diefer Gefichtspunkt die Führung.
Nicht als wollte Mausbach die Texte einer vorgefaßten
Meinung gewaltfam einfügen oder als wollte er ihnen
mehr autladen, als fie zu tragen vermöchten. Er ift der
feften Uberzeugung, daß fein methodifcher Grundfatz und
die Wirklichkeit miteinander zufammenfallen. Den Spuren
Portalies folgend, kann er fogar in der Gnadenlehre Auguftins
die gefunde katholifche Lehre wiederfinden. Wenn
katholifche Forfcher wie Rottmanner und Kolb (über
Kolb, vgl. ThLZ. 1911) eine gratia irresistibilis in den
fpäten Schriften Auguftins feftftellen, fo tun fie es im
Widerfpruch mit der Wirklichkeit. Denn Auguftin redet
nach Mausbach nirgends von einer gratia irresistibilis.
Er kennt nur wie jeder gläubige Katholik einen unwider-
ftehlichen göttlichen Willen, deffen unbedingtem Wollen
natürlich niemand fich widerfetzen könne. Die fog. gratia
irresistibilis — die Formulierung ift ja Auguftin unbekannt
— macht nur den Menfchen fähig, von den