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Ausgabe:

1912 Nr. 17

Spalte:

525-526

Autor/Hrsg.:

Koch, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Abfassungszeit des lukanischen Geschichtswerks 1912

Rezensent:

Knopf, Rudolf

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 17.

526

Beziehung dies doch mehr mit dem Kultus zufammen-
hängende Gebetsverhältnis zu der das gefamte Leben
des Paulus durchziehenden Chriftus-Myftik ftehe. Diefe
Frage aber könnte wiederum nur durch eine genaue
Unterfuchung des Begriffes Kyrios, mit der alle Erfor-
fchung der paulinifche Chriftologie zu beginnen hätte,
zum Abfchluß gebracht werden. — Als die Form der
johanneifchen Frömmigkeit beftimmt W. den Glauben an
den gefchichtlichen Jefus als den Offenbarer Gottes. Jch
fürchte, daß die johanneifche Frömmigkeit ftark moderni-
fiert ift, fie wird fich nur verftehen laffen auf dem Untergrunde
myfteriöfer helleniftifcher Frömmigkeit. Daß Jefus
von Nazareth der auf Erden wandelnde Gott oder
der Logos Gottes fei und daß der Menfchheit aus der
myftifchen Schau des in Jefus greifbar gewordenen Gottes
(die fich übrigens in den Gnadengaben des Sakraments
fortfetzt) ewiges Leben und Unvergänglichkeit zufließt, —
das fcheint mir die Quinteffenz johanneifcher Frömmigkeit
zu fein. Wie fchon für Johannes diefes Gott-Schauen
mit dem In-Gott Verwandeltwerden tatfächlich zufammen-
hängt, zeigt uns deutlich das johanneifche Wort: wir werden
ihm gleich fein, denn wir werden ihn fchauen wie
er ift.

Göttingen. Bouffet.

Daniel geweisfagte Aufrichtung eines abgöttifchen Greuels
im Tempel, fondern handelt von einer bevorftehenden
Belagerung Jerufalems durch feindliche Heere. Die Weis-
fagung ift nicht ex eventu zu deuten, fondern Lukas folgt
einer Sonderüberlieferung, die in der bei ihm vorliegenden
Form wefentlich auf eine Weisfagung Jefu zurückgeht
. Lukas fchreibt für Heiden, und ihnen fagt er mit
der Sonderüberlieferung etwas Tröftliches: die xaiQol
kQvmv, die erft zur Erfüllung kommen follen, ehe das
Ende eintritt, find die Periode, in der Gott, nachdem fein
Volk die Gnade von fich gewiefen hat, diefe' den Heiden
anbietet. Der Paulusfchüler Lukas ift hier von feinem
Meifter (Rom. 11,25) abhängig. Mithin ergibt fich auch
für das Lukasevangelium ein Anfatz noch vor der Zer-
ftörung Jerufalems. Denn die Züge, die V. 20. 23 f. gebracht
werden, find fo allgemein, und gehen über den
Rahmen des Selbftverftändlichen fo wenig hinaus, daß
Jefus eine Prophezeiung diefer Art fehr wohl 40 Jahre vor
dem Falle der Stadt ausfprechen konnte. — Der innere
Grund, der Lukas bewog, der eschatologifchen Rede grade
diefe Faffung zu geben, liegt in dem Plane des Ev. Es
gibt, wie Act. die Gefchichte des evayyeXiCeoüai, und
bereits Luk. 21 wird der bedeutfame Übergang der chrift-
lichen Verkündigung von den Juden zu den Heiden angedeutet
Für die Weisfagung vom ßötXvyfia rT]g igrj-
(icäoeojg, die Mk.-Mt. haben, hatten die heidenchriftlichen

Koch, Domhilfsprediger Lic. Heinrich: Die Äbfaflungszeit Lefer von Luk. in Antiochien und Rom kein Intereffe

des lukanifchen Gefchichtswerks. Eine hiftorifch-krit
exeget. Unterfuchg. (VII, 102 S.) 8°. Leipzig, A. Dei-
chert Nachf. 1911. M. 1.80

Nach des Verf. Anfchauung ift die Apoftelgefchichte
von Lukas im Frühjahrsanfang 63 vollendet. Die beiden
erften §§ feiner Abhandlung (i; 1 Der Schluß der Apoftelgefchichte
; § 2 Die Apoftelgefchichte) find dem Nachweis
diefer Datierung gewidmet

Das Hauptargument für K. ift der Schluß des Buches.
Wenn die Apoftelgefchichte plötzlich mit der Erwähnung
einer zweijährigen Wirkfamkeit des Apoftels in Rom abbricht
, dann ift daraus zu folgern, daß fie am Ende diefes
zweijährigen Aufenthaltes gefchrieben ift.

Diefem Anfatze follen auch die übrigen Beobachtungen,
die man an dem Buche machen kann, günftig fein: die
Quellen find auch im erften Teile meiftens mündliche
Uberlieferungen zuverläffigfter Art (Philippus, die Markusmutter
Maria); von Bekanntfchaft des Lukas mit Jofephus
darf nicht geredet werden; die Art, wie fich die inneren

mehr. Der äußere Grund für die Aufnahme der Weisfagung
von der Zerftörung Jerufalems liegt in der ablehnenden
Haltung, die die Juden ftets und neuerdings
wieder, drei Tage nach der Ankunft des Paulus in Rom,
dem Evangelium gegenüber eingenommen hatten. Da
nahm der Paulusbegleiter aus der ihm zugänglichen Uberlieferung
die Weisfagungen Luk. (19,41—44 und) 21,20—24
in fein Werk auf.

Ich bin außerftande, den Ergebniffen von K. zuzu-
ftimmen. Seine Erklärung von Luk. 21,24 würde, felbft
wenn fie richtig wäre, noch gar nichts für die Abfaffung
vor 70 beweifen. Die Stärke der Beweisführung, die Luk.
nach dem Jahre 70 anfetzt, liegt gerade in der Beobachtung,
daß die farblofere Apokalyptik von Mk. 13 durch die
umftändlichere Schilderung von Luk. 21,20—24 erfetzt
ift, die doch nur verftändlich ift, wenn Jerufalem bereits
gefallen war. Selbft wenn man in Luk. 21,20—24 echte
Worte Jefu fieht, dann liegt es doch viel näher, anzunehmen
, Luk. gebe die Weisfagungen Jefu über das Ende
der Stadt umftändlicher und ausführlicher, weil Jerufalem

Verhältniffe des Urchriftentums in dem Buche wieder- bereits gefallen fei. — Und der ,Wall' von Luk. iq a%

fpiegeln (Judenchriftentum und Heidenchriftentum; die
Sitte, das Gemeindeleben, die Verfaffung, der Enthufias-
mus, die theologifche Terminologie), verrät nirgends den
Blick und die Erfahrung eines Mannes, der erft in der
nachapoftolifchen Zeit fchrieb. Und auch die äußere
Lage der Chriftenheit (feine Stellung zum Judentum, zu
Heidentum und Obrigkeit) weift darauf, daß die neronifche
Verfolsrune mit ihren Schrecken noch nicht über die
Gemeinden gegangen 11t.

Wenn aber die Apoftelgefchichte 63 bereits fertig
vorlag, dann fällt die Abfaffung des dritten Evangeliums
natürlich noch früher. K. möchte fie in das Jahr 61,
fpäteftens 62 fetzen. Lukas hatte in Cäfarea während der
zwei Jahre, die Paulus dort gefangen war, genug Zeit, fein
Material zum Evangelium zu fammeln, fo daß er es am
Anfang der Apgfch. 28,30 erwähnten öiezla herausgeben
konnte. Da Luk. aber das fpätefte der fyn. Evangelien
ift, fo war ein Menfchenalter nach dem Tode Jefu die
fyn. Evv.-literatur bereits zum Abfchluß gelangt.

Der üblichen Datierung von Luk., die auf 21,20—24
gegenüber Mk. 13,14—18 fteht und das 3. Ev. nach 70
anfetzt, tritt K. in folgender Weife entgegen: Mk. 13,14—18
ift nicht zeitgefchichtlich, fondern endgefchichtlich, vom
Antichriften handelnd, zu deuten. Die Sonderüberlieferung
des Luk., die fchon V. 12 beginnt, bringt nicht die von

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den die Römer doch wirklich zogen und den Jofephus
ausführlich befchreibtf Es ift fo außerordentlich fchwierig,
angefichts von Luk. 19,43h, 21,20—24 und 23,28—30 an
eine Abfaffung vor 70 zu glauben. Aber ich brauche
hier nicht über diefe und andere Beobachtungen zu fpre-
chen, die an beiden Lukasfchriften zu machen find und
ihre Entftehung hinter 70 anfetzen, denn fie find bekannt
genug.

Die einzige Erwägung unter allen von K. gebrachten
Argumenten, die wirklich eine große vorhandeneSchwierig-
keit löfen könnte, ift die Auffaffung des Schluffes von
Act.: .Lukas' erzählt nicht weiter, weil die Ereigniffe felber
noch nicht weiter gegangen find. Aber es ift doch ficher,
daß diefe Erklärung nicht der einzige Weg ift, auf dem
das Problem des Schluffes von Act. gelöft werden kann,
und es ift ganz unmöglich, alles das, was die Luk.-fchriften
an antijüdifchen und univerfaliftifchen, an apologetifchen
und katholifierenden Zügen, an Umbiegungen der älteren
Überlieferung, an vaticinia' ex eventu zeigen, um diefer
einen Beobachtung willen beileite zu fchieben.

Wien. Rudolf Knopf.