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Ausgabe:

1912

Spalte:

515-516

Autor/Hrsg.:

Göttsberger, Joh.

Titel/Untertitel:

Biblische Zeitschrift. 9. Jg., 1. - 4. H 1912

Rezensent:

Windisch, Hans

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 17.

516

juriftifche Ideen und Weltanfchauungslehren einen geradezu
beftimmenden und führenden Einfluß auf gefchichtliche
Ereigniffe haben können. Diefe beeinfiuffen auch wiederum
vice versa die Rechtsvorftellungen im einzelnen (Kap. 4).
Es ift ein eigenartiges Gewebe von Fäden, die zwifchen
Theorie und Praxis hin und her laufen. Die eigentliche
Bafis der Imamwürde fcheint mir nicht fo fehr der consen-
sus der Gläubigen (S. 5) als vielmehr die Idee der Stellvertretung
Gottes zu fein: Wie am Himmel der einzige
Gott die Vorgänge im Weltall beftimmt, fo muß auch
auf Erden ein einziger Stellvertreter diefer Gottheit alle
Handlungen der Menfchen, die religiöfen wie die weltlichen,
(auch das weltliche Schwert wurde vomPapfte verliehen), ordnen
und leiten. Aus diefem Prinzipe fallen auch die Gebiete
des Geiftlichen und Weltlichen im Islam zufammen. Ferner
gibt es (S. 5 A. 1) religiös-foziale Pflichten und Aufgaben
(des öffentlichen Rechtes), die ein Oberhaupt der Sozietät
erfordern, da fie nicht von den einzelnen Individuen als
folchen, fondern nur von der Gefellfchaft als Kollektivität
und fozialem Individuum ausführbar find. Der Imäm
macht nun aber die Gemeinde zu einem rechtsfähigen
Individuum, einem Rechtsfubjekt. Folglich kann Gott
feine Gemeinde nicht ohne Imäm (Papft) laffen.

In fehr lebendiger und klarer Weife fchildert Str.
die Frage der Staatsform, der Dynaftie (die Ahden), die
Perfonenfrage (den Rechtstitel im einzelnen Falle) ufw.
Die wirren Kämpfe der imamitifchen Sekten gegen die
Kalifen empfangen neues Licht. Überall fühlt man das
reale Leben pulfieren — von theologifchen Ideen beeinflußt
und auch wiederum diefe umbiegend. Reiche
Belege aus der umfangreichen zaiditifchen Literatur begleiten
den Text. Jeden, der einen Einblick in die
treibenden Kräfte im Islam zu haben wünfcht, fei diefe
Arbeit Str.'s aufs wärmfte empfohlen.

Bonn. M. Horten.

Biblifche Zeitfchrift, in Verbindung m. der Redaktion der
,Biblifchen Studien' hrsg. v. Prof.Dr.Joh.Göttsberger
u. Prof. Dr. Jof.Sickenberger, 9.Jahrg. 1911. 4Hefte.
(VII, 448 S.) gr. 80. Freiburg, Herder. M. 12 —

Das Schwergewicht diefes Jahrganges, der Otto
Bardenhewer zu feinem 60. Geburtstag (16. März 1911)
gewidmet ift, beruht auf hebräifchen und alttefta-
mentlichen Studien. Ich nenne einen dreiteiligen Auf-
fatz von Zenner-Wiesmann über das Buch der Sprüche,
Kap. 4, 7, 9, einen Rekonftruktionsverfuch des Liedes
der Lieder von Sigwalt, eine exegetifche Arbeit zu
Micha 2,6—9 von Donat und, wohl der wertvollfte Beitrag
, einen Auffatz von Euringer über die ägyptifchen Analogien
zum Funde des Codex Helciae (4 Kg 22 u. 2 Chr 34).
Der fpätjüdifchen Literatur ift ein Auffatz von Heinifen
über Sapientia 8, 19 f. gewidmet. Der Vf. lehnt hier den
Einfluß platonifcher Präexiftenzlehre ab. Sodann fucht
Sigwalt auf verblüffend einfache Weife die Entftehungs-
zeit der Apokalypfen Efra und Baruch zu beftimmen:
IV Efra ift nach 1, v. 1 genau 30 Jahre nach dem Untergang
Jerufalems, alfo 100 n. Chr. gefchrieben; ,Baruch'
ichreibt im 25. Jahr Jechonjas, 574 oder 572 d. i. 12
oder 14 Jahre nach der Kataftrophe, alfo 82 oder 84.
Die neuteftamentlichenArtikelftellen zum Teil Auseinander-
fetzungen mit katholifchen Gelehrten dar. Bromboszcz
erörtert und widerlegt die Vermutung Belfer's, daßjefus
feinen Einzug in Jerufalem am Sabbat-Abend bei Mond-
fchein gehalten habe, Klug will gegen Pfättifch die Heilung
des Beamtenfohnes Joh. 4,46 fr nicht als zweites Wunder
in Galiläa faffen, wodurch Wunder in Kapernaum aus-
gefchloffen würden, fondern als zweites Wunder in Kana.
Meinertz lehnt gegen Bernhard die Anwefenheit des
Judas bei Einfetzung der Euchariftie ab, weil Mt und Mk
die vorherige Entfernung des Verräters zum minderten
fehr nahe legen, weil Lc nicht notwendig dagegen fpricht

und weil bei Johannes, der den Ausfchlag gibt, die
Euchariftie nicht zwifchen 13,19 und 21, fondern hinter
13,26 zu fetzen ift. Mir fcheint richtiger, daß mit Joh hier
überhaupt nichts anzufangen ift, daß nach Lc 22,21—23
der Verräter ficher anwefend zu denken ift, und das Mc
Mt fich um die Frage überhaupt nicht gekümmert haben.
Weiter ift noch ein Auffatz von Tillmann zum Gleichnis
vom ungerechten Verwalter Lc 16,1—9 zu nennen. Das
intereffantefte Dokument ift vielleicht das neue Dekret der
Bibelkommiffion über das Mt-Evangelium und die fog.
Zweiquellentheorie. Darnach ift der aramäifche Mt das
ältefte Evangelium, vom Apoftel verfaßt und mit unferem
griechifchen Mt quoad substantiam identifch. Die Exiftenz
einer matthäifchen Sammlung von Reden, die der anonyme
Redaktor für fein Evangelium mitverwendet haben foll,
wird geleugnet. Sickenberger, der mit andren Katholiken
die Zweiquellentheorie für richtig hält, klammert fich an
die Worte quoad substantiam und meint, wer nur glaube,
daß die aramäifche Vorlage unferes Mt ein richtiges Evangelium
gewefen fei, fitehe auf dem Boden der Verfügung,
da diefe die Annahme einer freien Redaktion durchaus
zulaffe. Übrigens betont er, daß die Erlaffe der Bibelkommiffion
weder unfehlbar noch irreformabel feien. Ich
glaube nicht, daß die eigentliche Zweiquellentheorie, die
auf der Gleichung Mt==Q-(-Mc aufgebaut ift, fich mit
der Entfcheidung verträgt, und bedauere, daß die wiffen-
fchaftlich arbeitende katholifche Theologie wieder einmal
durch die Kurialtheologen in Verlegenheit gebracht worden
ift. — Noch feien die äußerft genauen bibliographifchen
Notizen genannt, die wegen ihrer Vollftändigkeit für
jeden Bibelforfcher von größtem Nutzen find.

Leipzig. Hans Windifch.

Schlögl, Prof. Dr. Nivard, O. Cift.: Die Plalmen hebräilch

u. deutlch m. e. kurzen wiffenfehaftlichen Kommentar.
(XXVII, 235 S.) Lex. 8°. Graz, ,Styria' 1911. M. 10 —

Der Wert diefes Pfalmenkommentars ift ein fehr
ungleicher: da, wo es fich um hiftorifche Fragen handelt,
verfagt der Verf. fo gut wie ganz. Das gilt einmal in
Bezug auf die Frage der Davidpfalmen und der Über-
fchriften: nach Sch. flammen von David ficher Pf. 1—41.
51—65. 68—70. 86. 101. 103. 109. 110. 138—145, fehr
wahrfcheinlich find davidifch 42. 43. 71. 91 — 107, möglichen
Weife auch 111—118 und 136. Als Sch. den
Kommentar fchrieb, hatte er unter dem unmittelbaren
Eindruck des Textes noch etwas freiere Anflehten: fo
fchreibt er zu Pf. 1, daß die Verwandtfchaft mit Jeremias
für Barthons Anficht fpricht, daß der Pfalm in die Zeit
des Königs Jofias gehöre, und zu Pf. 9. 10, den Bar. ebendahin
verlegt, fchreibt er: ,doch find Stil und Inhalt ganz
jefajahnifch. Wahrfcheinlich ift auch Jefaja der Verf. und
hat er das Lied gegen die ftolze, heidnifch gefinnte Hofpartei
gefchrieben'. Als er die Einleitung fchrieb, erfaßte
ihn die Reue ob diefer Behauptungen und er nahm fie
zurück, ohne daß freilich irgendwelche Gründe angegeben
werden, denn die Berufung auf E. Meiers Äußerung kann
doch nicht ernftlich in Betracht kommen. Letzterer hatte
darauf hingewiefen, daß wir aus dem Inhalt der Lieder
Luthers, P. Gerhards u. a. nur in höchft feltenen Fällen
auf die Veranlaffung des Liedes hätten fchließen können,
die uns durch andere überkommene Nachrichten bekannt
geworden ift. Folglich, fo fchließt Sch., werden wir uns
hüten müffen, die in unfern Pfalmüberfchriften enthaltenen
Angaben ohne zwingende Gründe anzuzweifeln. Was
die letztere Einfchränkung wert ift, zeigt das oben angegebene
Refultat. Obiges Urteil gilt aber auch in Bezug
auf Sch.'s Exegefe. Ein charakteriftifches Beifpiel, wie
wenig Sch. fähig ift, fich von der dogmatifchen Formel
frei zu machen, wie wenig er fich dem Text unterzuordnen
vermag, bietet die Einleitung zu Pf. 45. Hier folgert er
aus dem D^flbX vv. 7a und 8t>, daß der Pf. nur direkt