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Ausgabe:

1912 Nr. 16

Spalte:

500

Autor/Hrsg.:

Brentano, Franz

Titel/Untertitel:

Aristoteles und seine Weltanschauung 1912

Rezensent:

Goedeckemeyer, Albert

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499

Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 16.

500

Frage lauert: wer lieft alte Rezenfionen? Wahrlich, wer
fie nicht lieft — d. h. natürlich nur folche, die lieh zu
lefen lohnt —, der tut es zu feinem Schaden. Und noch
etwas fiel mir ein, woran ich mir gerade Harnacks Art
zu arbeiten oft verdeutlicht habe, eine Betrachtung, die
auf ihn felbft zurückgeht. Als ich im Winterfem efter 1884
auf 1885 in feiner Studierftube einmal wöchentlich allein
mit ihmEufebius lefen durfte — eine Art Verfuchskaninchen,
nur mangelhaft vorbereitet, an dem er die Wirkung feiner
Ideen ausprobieren mochte —, da meinte er einmal, er
ftelle fich das wiffenfchaftliche und literarifche Wirken
gern unter dem Bilde eines dreiftöckigen Haufes vor:
unten die Gefchäftsräume, da wird unterfucht und geforfcht;
in der Mitte wohnen die feinen Leute, da fchätzt man die
ruhig abgeklärte Darftellung; oben aber, da ift der
am Werke, der den freien Ausblick liebt und nicht gerne
jemanden über fich hat, da ift das Raifonnement zu Haufe.
,Am liebften', fuhr er fort, ,wohne ich im Oberftock; aber,
wenn's fein foll, würde ich mein Leben auch im unteren
verbringen; in der Beletage — fo fagte man damals noch
— fühle ich mich nicht wohl'. Er hätte feine Arbeitsweife
nicht beffer charakterifieren können.

Und wie weit hat er den Rahmen feiner fchriftftelle-
rifchen Tätigkeit gefpannt. Wer etwa die beiden Bände
,Aus Wiffenfchaft und Leben' zur Hand nimmt, der wird
von diefer verblüffenden Vielfeitigkeit einen bezwingenden
Eindruck bekommen: Kirche und Theologie, Wiffenfchaft
und Schule, Bibliothek und Forfchungsinftitute, Soziales
und Politifches in bunter Fülle nebeneinander. Das Ver-
blüffendfte bleibt eben doch, wie diefer Mann, der fo tief
eingetaucht ift in die ,Wiffenfchaft', fo mitten inne zu
ftehen vermag im ,Leben'. ,212 Angeftellte', fagte er mir
kurz nach feiner Ernennung zum Generaldirektor der
königlichen Bibliothek in Berlin, ,hat mein Reffort, und
ich kenne fie alle.' Als wir bei feiner Geburtstagsfeier
zufammenfaßen, zog der Präfident der Kaifer-Wilhelms-
Gefellfchaft ein Telegramm aus der Tafche: ,Hier wird I
mir eine Stiftung angekündigt, die fichert uns Rovigno'. |
Und noch die letzte Nummer des ,Peacemaker' vom Februar
diefes Jahres enthält ,an important pronouncement
by Profeffor Harnack' über die kritifche Frage der deutfeh-
englifchen Beziehungen.

Aber ich bemerke, daß ich in den Ton der Grabrede
verfalle und breche lieber ab. Ift doch kein Grund
vorhanden, warum wir nicht hoffen follten, daß, wenn j
wieder zehn Jahre ins Land gegangen find, diefer Biblio-

fraphie ein ftattlicher Nachtrag angehängt werden muß. [
ie ift übrigens mit ausgezeichneter Sorgfalt gearbeitet. ]
Es kommt mir faft kleinlich vor, wenn ich zum Schluffe
anmerke, daß Nr. 542 und 571 K. ftatt R. von Hafe zu
lefen ift, daß es zu Nr. 455 und 456 ThLZ 14 ftatt 15,
zu Nr. 463 14 ftatt 13 heißen muß, daß Nr. 738 Batifoll
ftatt Batiffol, Nr. 822 Delahaye ftatt Delehaye — diefer
Fehler auch im Regifter — Nr. 1043 encyclopedia ftatt
encyclopaedia und S. 71, Z. 26 exceleis ftatt excelsis gedruckt
ift. Über einen Druckfehler habe ich mich, wie
man zu fagen pflegt, königlich gefreut: Nr. 738 lieft man
Originis! Wenn diefer Fehler nicht einmal in einer Har-
nack-Bibliographie zu vermeiden war, fo muß man ihn
wohl endgiltig als unausrottbar anerkennen. Das zu Nr. 762
und 850 gebrauchte Siglum DLZ ift im Vorwort nicht
erklärt. Die in den englifchen Buch titeln verwendeten kleinen
Anfangsbuchftaben widerfprechen dem englifchen Brauch
bei bibliographifchen Angaben. Es kann nur gedruckt
werden (Nr. 701a): The Newer Roman Catholic Church
Hiftory. Der Herausgeber fpricht im Vorwort den Herren
Profeffor Dr. McGifford von der Columbia-Univerfität,
Paftor Lic. Schneemelcher, Bibliothekar Profeffor Dr. Beß,
Bibliothekar Profeffor Dr. Erich v. Rath, ftud. phil. Alfred
Krüger und dem Verleger feinen Dank aus. Zu bemerken
ift noch, daß in einem Anhang 1. die zahlreichen fremd-
fprachlichen Ausgaben Harnackfcher Werke, 2. die Auflagen
der Hauptwerke, 3. der Inhalt der Sammelbände

,Reden und Auffätze' und ,Aus Wiffenfchaft und Leben,
zufammengeftellt find, und dem ganzen ein Regifter über
Schriften und Rezenfionen beigegeben ift.

Nach Abfchluß diefer Zeilen geht mir von Herrn
Dr. Chriftlieb eine Karte mit der Bitte zu, folgende Zu-
fätze zu buchen. S. 18: Nr. 368 a. Die innere Lage der
Kirche beim Beginn des 4. Jhs. und die Bedeutung des
Athanafius. In: Feftfchrift zur Feier des 70. Geburtstages
ihres Vaters Theodofius Harnack veröffentlicht von Adolf,
Axel, Erich, Otto Harnack. Dresden, Teubner, S. 1—16
(== Dogmengefchichte Bd. 2, 1—27). || S. 36: Nr. 704b.
Über den Urfprung des Weihnachtsfeftes. Die Woche
23. 12. 99. II S. 45: Nr. 862a. Die Notwendigkeit der Erhaltung
des alten Gymnafiums in der modernen Zeit.
Vortrag. Berlin, Weidmann 1910. 22 S. M. 0,50. || S. 47:
Nr. 895 a. Die deutfehen Balten. Zu Hilfe und Ehren eines
bedrohten Bruderftammes. Herausgegeben von A. Geifer.
München, Lehmann 1906. S. 2—3. Zur Einführung. || S. 59:
Bei 4. Franzöfifch einfehieben: L'essence du christianisme.
Paris, Fifchbacher 1907. 360 S. || S. 60 zu 1891: Catholi-
cisme et protestantisme. Traduit par M. Trabaud. Revue
Chretienne 38 (N. S. 9), 913—927. Vgl. Nr. 509. || S. 61
zu 1893: Precis de l'histoire des dogmes. Traduit par
E. Chrisy. Paris, Fifchbacher. XXXVI, 481 S. Außerdem
ift zu berichtigen: S. 33 Nr. 645 1. bis Irenäus und bis
Eufebius ft. bis Eufebius und bis Irenäus; S. 67 Nr 271
ift = ThLZ 9, 44.

Gießen. G. Krüger.

Brentano, Frz.: Ariltoteles und feine Weltanfchauung. (VIII,
!53 S.) gr. 8°. Leipzig, Quelle & Meyer 1911.

M- 3—; geb- M- 3-6o
Erkenntnislehre und Ontologie, oder, wie Brentano
S. 16 fagt, die .Weisheit' des Ariftoteles bildet nach einigen
einleitenden Bemerkungen über Leben und Schriften des
Philofophen — wobei Br. den m. E. vergeblichen Vernich
macht, eine ,wefentliche Fortbildung feiner Lehre' nach-
zuweifen (S. 19 ff.) — den Hauptinhalt des Buches. Im
Aufbau vortrefflich und überall anregend ift es methodifch
nicht ohne Bedenken und daher auch in feinen Refultaten
zweifelhaft. Vor allem die durch eine Erörterung über
Subftanz und fubftanzielles Gefchehen (S. 53) vorbereitete
Ausführung über Gott und die Weltordnung (S. 67 bis
Ende) muß ftarken Zweifeln begegnen. Die fchon von
Zeller, Philofophie der Griechen II 2 (1879) S. 3681; 3711
u. ö., mit guten Gründen angegriffenen Anflehten Brentanos
über Gott als das welterkennende und liebende und durch
feine Liebe und Allmacht die Verähnlichung der Dinge
mit ihm verurfachende Prinzip, über das ,Diesfeits als
Vorbereitung für ein allbefeligendes und jedem gerecht
vergeltendes Jenfeits' u. a. m. werden dadurch nicht richtiger
, daß man felbft geliehen muß: ,ich habe diefe Weltordnung
nun freilich in der Ausführlichkeit, wie ich fie
hier darfteilte, in den Schriften des Ariftoteles nicht finden
können' (S. 150). Und wenn man fich als Erklärung dafür
auf das Fehlen der ausführlichen Darftellung der
Metaphyfik beruft, fo gilt auch gegen die Grundzüge der
ganzen Auffaffung, was ihr zuletzt wohl Gomperz, gr.
Denker III S. 170/1, entgegengehalten hat, daß ihr Urheber
für die Ariftotelifche Philofophie grundlegende
Stellen wie met. 1074 ,b. 33 und eth. nie. 1178 b. 20 u. a.
nach gelegentlichen Äußerungen abzufchwächen und zu
wandeln facht

Königsberg-Pr. Goedeckemeyer.

Hack, Dr. Valent: Das Wefen der Religion nach A. Ritfchl
u. A. E. Biedermann. Unter befond. Berückficht, der
pfycholog. Beftimmgn. Preisfchrift gekrönt v. der hoch-
würd.evangelifch-theolog.FakultätderKaifer-Wilhelms-
Univerfität Straßburg i. E. (Abhandlungen zur Philofophie
u. ihrer Gefchichte. Hrsg. v. Prof. Dr. R. Falcken-