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Ausgabe:

1912

Spalte:

498-500

Autor/Hrsg.:

Christlieb, Max

Titel/Untertitel:

Harnack-Bibiliographie. Zum 60. Geburtstage Adolf Harnacks zusammengestellt 1912

Rezensent:

Krüger, Gerhard

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Theologilche Literaturzeitung 1912 Nr. 16.

498

gelingt, innerhalb der katholifchen Kirche Dinge durchzusetzen
, die noch vor iojahren als unerhört gegolten hätten,
und wo gewiffe Mißerfolge in der äußeren Politik längft
noch nicht als endgiltige Niederlagen angefehen werden
muffen. Aber der Inhalt ift wertvoller als der laute Titel
vermuten läßt. Der Verfaffer — hinter dem Decknamen
verbirgt fich wohl ein bekannter Berichterftatter — fieht
die Kurie feit Pius IX. in einem unaufhaltfamen Niedergang
begriffen. Schon unter Leo XIII. ift die Zerfetzung
weiter fortgefchritten. Die Politik diefes Papftes wird in

Schlüffig ift die Beweisführung des Verfaffers nicht.
Daß er bei leinen Schilderungen faft nur italienifche Zu-
ftände vor Augen hat und daß er nach der Gewohnheit
feines Handwerks der Anekdote einen unerlaubt großen
Wert beimißt, fieht man auf den erften Blick. Aber der
fchlimmfte Mangel ift die Verkennung der Stimmung im
katholifchen Volk. ,Sonntag' hat kein Auge dafür, daß
Pius X., fo viele Gegner er fich gefchaffen hat, doch
gleichzeitig auch leidenfchaftliche Begeifterung für die
von ihm aufgefteckten Ziele zu erwecken vermocht hat.

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der Hauptfache fo gefchildert, wie fie F. X. Kraus zuerft j So lange das einem Papft gelingt, hat es mit dem Zu-
verftehen gelehrt hat: das Jahr 1887/88 als die Entfchei- j fammenbruch des Vatikans feine gute Weile.

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aungszeit; Mai 1887 der mißglückte Annäherungsverfuch
an den Quirinal, bei dem Tofti, der Abt von Montecaffino
als Zwifchenträger diente; dann das entfchloffene Hinüberlenken
zu Frankreich. Nur irrt unfer Verfaffer wohl, wenn
er meint, daß erft feit 188S die Wiedergewinnung des
Kirchenftaats der beftimmende Gedanke in der Politik
Leos XIII. gewefen fei. Niemand wird glauben, daß der
Preis, den LeoXIII. 1887 für dieAusföhnung forderte, fo .minimal
' gewefen fei, wie .Sonntag' behauptet (Rückgabe von

Berlin- Karl Ho 11.

Chriltlieb, Hilfsbibl. Dr. Max: Harnack-Bibliographie. Zum

60. Geburtstage Adolf Harnacks zufammengeftellt. Mit
3 Anhängen u. Regiftern. (VI, 94 S.) 8°. Leipzig,
J. C. Hinrichs 1912. M. 3 —

Am 7. Mai vorigen Jahres feierten wir Harnacks 60.
Geburtstag. Bei diefer Gelegenheit kündigte Dr. Max Chrift-

Zufchuffes) Vielmehr fpielte damals fchon das Temporale Bibliographie an. Es war felbftverftändlich, daß ihn diefe

die Hauptrolle, und daran, nicht an den vom Verfaffer ge
fchilderten Quertreibereien, fcheiterte die Verhandlung.
Aber unbedingt Recht hat .Sonntag', wenn er betont, daß
Leo XIII. gerade wegen feiner verblendeten franzöfifchen
Politik feinem Nachfolger durchaus keine fo wohlgeordnete
Erbfchaft hinterließ, wie es jetzt die Lobredner des
früheren Papftes darzuftellen lieben.

Übrigens will auch .Sonntag' in Rampolla nicht denjenigen
erblicken, der den Papft zu diefer Politik aufge-
ftachelt hätte. Rampolla fei für Leo XIII. nie etwas anderes
gewefen, als fein Handlanger, fein junger Mann'. Perfön-
lich habe Rampolla, weil mit fchärferem Blick für die
Wirklichkeit ausgeftattet, Leos Einfeitigkeit mißbilligt
und fogar den Kardinälen Vanutelli und Gotti für den
Fall feiner Papfhvahl verfprochen, dem Quirinal entgegenzukommen
. Uber das Konklave von 1903 vertritt der

Ankündigung nicht überrafchte: denn ohne feine tätige Beihilfe
hätte an ein folches Unternehmen gar nicht gedacht
werden können, und fo war er längft unterrichtet. Aber
überrafchend war es ihm, zu erfahren, daß die Zahl feiner
Veröffentlichungen die Taufend bereits überfchritten habe.
Das nunmehr herausgegebene Verzeichnis weift bis zum
Jahresfchluß 1911 1066 Nummern auf, bei richtiger Zählung
fogar 1078, und diefe erftaunliche Ziffer erhöht fich
von Monat zu Monat. Nun foll man freilich eines Menfchen
geiftige Arbeit nicht mit der Elle meffen. Aber erftaun-
lich bleibt jene Ziffer unter allen Umftänden, auch wenn
man im Auge behält, daß in der Bibliographie alles, aber
auch alles gebucht ift, bis zu Berichtigungen in den Tageszeitungen
.

Blättert man in dem Heft, fo fällt zunächft die große
Maffe von Rezenfionen auf. Ich zähle 536. Es gab eine

Verf. eine neue, nicht gerade überzeugende Lesart: die frelt,~ "f J** ^er ein Vierte}ahrhundert zurück-,

Anregung zum Veto gegen Rampolla fei von Italien ausgegangen
, wo die Königin Margherita Rampolla als das
hauptfächlichfte Hindernis einer Ausföhnung von Kirche
und Staat betrachtete. Der Wunfeh des italienifchen Hofs
fei durch Wilhelm II. nach Wien übermittelt worden. Auch
die Jefuiten, mit denen Rampolla feit 1901 in Reibung
geraten fei, hätten an feinem Sturz mitgearbeitet.

Der Pontifikat Pius X. vollendete, was unter Leo XIII.
begonnen hatte. Wider feinen Willen wird Pius X. genötigt
, die verkehrte Politik gegenüber Italien fortzufetzen
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------- ,

da konnten gehäffige Gegner fagen, Harnack fei durch
Rezenfionen groß geworden. Und noch heute könnte jemand
, der Harnacks Lebenswerk nicht kennt, achfelzuckend
von den ftarken Abftrichen fprechen, die fich jene Ziffer
gefallen laffen müßte, wenn fich in der Bibliographie das
Kleinzeug nicht fo breit machen würde. Diefen Zweifler
würde man unter den Arm nehmen, ihn vor ein mehr-
ftufiges Bücherbrett von mäßigem, aber anftändigem Umfang
führen und ihm fagen: ftelle Dir diefes Brett gefüllt
vor mit Büchern in fchönen Einbänden, in allen Auflagen
natürlich, die fie erlebt haben, dann haft Du die Harnack-

Aber 'er fügt von fich aus noch neue Fehler hinzu. Die Bibliothek, von der die Harnack-Bibliographie redet die
Erlaubnis zur Beteiligung am politifchen Leben, die er Dogmengefchichte in der großen und in der kleinen Aus

den Katholiken Italiens gibt und nicht gibt, führt nicht,
wie der Papft gehofft hatte, zur Bildung eines Zentrums,
fondern ftiftet nur Verwirrung und entfremdet auch das
treugebliebene Volk der Kirche. An der Kurie ruft das
-fpanifche Regiment' den Gegenfatz zwifchen Italienern
und Spaniern hervor und die Übelftände der Geldverwaltung
werden trotz eines mit großem Gefchrei unternommenen
Anlaufs um nichts gebeffert. Der Kampf gegen
den Modernismus — an fich eine Notwendigkeit — fchädigt
nicht nur den wiffenfehaftlichen, fondern auch den fitt-
lichen Geift in der Kirche. Denn dem, der fich als Mo-
derniftentöter zu geben weiß, werden auch die greulichften

gabe, die Literaturgefchichte, die Miffionsgefchichte, die
Gefchichte der Berliner Akademie, das Wefen des Chriften-
tums, die vielen Beiträge zu den ,Texten und Unterfuch-
ungen', die Beiträge zur Einleitung in das Neue Teftament,
Martin Luther, das Mönchtum, die Sammelbände: .Reden
und Auffätze' und ,Aus Wiffenfchaft und Leben', zu
fchweigen von der großen Zahl der Abhandlungen, zumal
in den Sitzungsberichten der Akademie.

Bleiben wir doch einen Augenblick bei den Rezenfionen
fliehen, die, nebenbei bemerkt, bis zum Jahre 1893
ausfchließlich, feitdem mit ganz geringen (13) Ausnahmen.

in der Theologifchen Literaturzeitung erfchienen find. Sie

j: — — c-cl .

Dinge nachgefehen. Die Folge von alledem ift in Italien ^ dienen faft eben fo ausfchließlich dem Drang des Selbft
offene Empörung gegen die Kurie, felbft unter dem ' Unterrichts und der Selbftmitteilung und find darum die
höheren Klerus. Aber auch in der auswärtigen Politik, Potenz ihres Verfaffers als unbeftritten vorausgefetzt durch
für die Merry del Val allein verantwortlich ift, häuft fich weg wertvoll. Mir ift beim Durchblättern zumal der erften
Unglück auf Unglück. Selbft Wien ift nicht mehr zuver- Jahrgange der Literaturzeitung, die zu befitzen mir einen
laffig. Die letzten Säulen der Kurie find Wilhelm EL und ; Schatz bedeutet, und nicht nur angefichts von Harnacks
das deutfehe Zentrum. Wie lange noch? Der Zufammen- Rezenfionen, wieder fo recht deutlich geworden welches
bruch ift unvermeidlich. 1 Maß uneingeftandener Armut doch hinter der bekannten