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Ausgabe:

1912 Nr. 15

Spalte:

469

Autor/Hrsg.:

Boehmer, Julius

Titel/Untertitel:

Kreuz und Halbmond im Nillande 1912

Rezensent:

Rohrbach, Paul

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469

Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 15.

470

Ich muß abbrechen. Ein Buch wäre nötig, um alle
Entftellungen, Vertufchungen, Unwahrheiten nachzuweifen.
Glücklicherweife kommt es wohl feiten vor, daß ein Ver-
faffer, unter wiederholter Berufung auf fein ehrwürdiges
Alter, auf feine genauen Kenntniffe, auf feine Wahrheitsliebe
, derartig feine Lefer zu täufchen fucht, wie Mefchler,
der Rektor, Novizenmeifter, Provinzial und Affiftent des
Ordensgenerals es in feinem Buche tut.

Berlin-Lichterfelde. Graf Hoensbroech.

Boehmer, Lic. Dr. Julius: Kreuz und Halbmond im Nillande.

Nach Studienreifen und Reifeftudien gezeichnet. Mit
dem Fakfimile eines Koran-Blattes. (156 S.) gr. S°-
Gütersloh, C. Bertelsmann 1910. M. 1.80; geb. M. 2.40
Lorch, Fritz: Die römifche u. griechifche Kirche in Syrien u.
Palältina. (Beiträge zur Orientpolitik. L) (117 S.) 8°.
Stuttgart (Kronenftr. 43), Verlag d. fchwäb. Korre-
fpondenz 1911. M. 2 —

Die Böhmerfche Schrift ift nicht frei von jenem pie-
tiftifch-kirchlichen Tonfall, der es etwas erfchwert, Miffions-
bücher der gewöhnlichen Art nutzbringend zu befprechen,
und fie geht auch nirgends auf das eigentliche Problem
der chriftlichen Muhammedanermiffion: die Verfchieden-
heit der Kulturen, ein; aber fie enthält eine Menge wertvollen
Materials. Mit einiger Überrafchung erfahrt man,
daß tatfächlich Muhammedanertaufen in Ägypten vorkommen
. So zählt z. B. die ,Englifche Kirchenmiffion' in
Kairo, die allerdings die meiften Mittel und die meiften
Erfolge hat, eine Gemeinde von 120 getauften Muhamme-
danern. Die Methoden der verfchiedenen Gefellfchaften
werden anfchaulich und nicht ganz unkritifch befchrieben.
Eine Hauptrolle fpielen dabei Lichtbildervorträge über
die biblifche Gefchichte, die von den Eingeborenen, Mu-
hammedanern wie Kopten, um der bunten Bilder willen
gerne befucht werden. Hier und da macht dann auch
die Erzählung Eindruck. Natürlich ift es nicht möglich, auf
diefe Weife den ganzen islamifchen Orient zu miffionieren.
Das Chriftentum wird für den Muhammedaner nicht eher
ein zwingendes Problem werden, als bis die alte Kultur
und Weltanfchauung des Orients, deren Produkt in reli-
giöfer Beziehung der Islam ift, von der allmählich fort-
fchreitendenModernifierung des morgenländifchen Lebens
in Technik, Verfaffung und Verwaltung, Militärwefen,
Schule, Verkehr ufw. foweit beeinflußt werden, daß der
innere Auflöfungsprozeß beginnt

Die Brofchüre von Lorch hat ihren Wert in der mitgeteilten
Statiftik der Konfeffionen. Außerdem ift es von
Intereffe, was der Verfaffer von den wachfenden materiellen
Schwierigkeiten der franzöfifch-katholifchen Propaganda
•n Syrien und Paläftina und dem Rückgang ihrer Mittel
infolge des antiklerikalen Syftems in Frankreich berichtet
Auch der Umfang und die Art der ruffifchen, fogen.
Miffionstätigkeit, die in Wahrheit rein politifche Ziele
verfolgt, werden gekennzeichnet. Nicht gerade neu, aber
eindrucksvoll dargeftellt ift der wütende, abwechfelnd mit
Meffern, Knüppeln, Verleumdung und Beftechung geführte
dauernde Kampf der fogenannten ,chriftlichen' Bekenntniffe
des Orients untereinander.

Störend wirkt die Menge der Druckfehler namentlich auf chrono-
Lgifchem Gebiet im erden Kapitel. So id, um nur Einiges anzumerken,
der Vertrag von Kütfchük Kainardfchi nicht 1474, fondern 1774 ge-
'chloffen; der Kalif Omar gehört natürlich nicht ins 17., fondern in 7.
Jahrhundert; der letzte ruffifche Feldzug gegen die Türkei begann nicht
IO Jahre, fondern 21 Jahre nach dem Parifer Frieden von 1856, ufw.

Friedenau b. Berlin. Paul Rohrbach.

Schmidt, Dr. Wilh.: Der Begriff der Perlönlichkeit bei Kant.

(PädagogifchesMagazin. 438. Heft.) (VI, ioiS.)gr.8°.

Langenfalza, H. Beyer & Söhne 1911. M. 1.30

Diefes fleißig und umfichtig gearbeitete Werkchen
gehört zu der rühmlichfl bekannten Reihe von Abhandhingen
aus dem Gebiete der Pädagogik und ihrer Hilfs-

wiffenfchaften, die einft von Fr. Mann unter dem Namen
,Pädagogifches Magazin' begründet worden ift. Es will
zwar in erfter Linie gewiß pädagogifchen Zwecken dienen.
Gleichwohl ift mit freudiger Genugtuung zu konftatieren,
daß es überdies wiffenfchaftlichen Anfprüchen durchaus
gerecht geworden ift und für die philofophifche Begabung
des Verfaffers ein rühmliches Zeugnis ablegt. Ich betone
diefes, weil wohl feiten jemand in dem fchmucklofen Büchlein
einen philofophifch wertvollen Beitrag zum Verftändnis
Kants vermuten wird.

Es ift überaus intereffant, gerade in Kants Philofophie
den Begriff der Perfönlichkeit in feinen fyftematifchen
Zufammenhängen und Beziehungen bis in einzelnfte hinein
zu verfolgen, fchon deshalb, weil Kants eigene Perfönlichkeit
zum Aufwerfen von Problemen Anlaß geben kann.
Denn das übliche halb mitleidige halb anerkennende Urteil
über den pedantifchenGelehrten mit feiner befchränkten,
beinahe philifterhaften Lebensführung u. ä. bedarf doch
nach wirklicher Einficht in das Ganze und die Tiefen
feines Lebenswerkes auch in der Ausprägung nach außen
hin erheblicher Korrekturen. Der Verfaffer gibt eine freilich
etwas knappe Vorgefchichte des Perfönlichkeitsbe-
griffes bis auf Kant und bietet insbefondere in dankenswerter
Weife Beiträge zur Gefchichte des Wortes Perfon
und Perfönlichkeit in der deutfchen Sprache. Er ftützt
fleh in erfter Linie auf den bekannten nachgelaffenen
Auffatz Trendelenburgs aus dem Jahre 1870 (Kantftudien
XIII), ferner auf Eucken, Eisler 11. a. Er würde aus den
bekannten älteren Wörterbüchern (z. B. Walch u. a.) noch
manches hinzufügen können. Für die Terminologie des
deutfchen Wortes Perfon benutzt er mit Erfolg einige der
älteren deutfchen Wörterbücher. Der Ausdruck ,Perfon'
ift aus der Schaufpielerfprache, wo er /Maske', dann ,Rolle'
bedeutet, durch Abftraktion und Verinnerlichung zunächft
in die Rechtfprache aufgenommen (,Subjekt der unter-
fcheidenden Rechtsbeziehungen'), dann hat er als philo-
fophifcher Terminus in das Begriffsfyftem der Stoiker
Eingang gefunden, ohne daß der rechtsphilofophifche Inhalt
dabei völlig verloren gegangen wäre. Die Zufammen-
hänge im einzelnen harren noch einer klärenden Aufhellung
.

Eine Vertiefung des philofophifchen Perfönlichkeits-
begriffes erfolgt einmal durch Locke, der zu der erkennt-
nistheoretifchen Auffaffung hinüberleitet und der auch
Anknüpfungspunkte für Kants moralifchen Perfönlich-
keitsbegriff darbietet, fodann insbefondere durch Leibniz,
bei dem freilich in diefer Hinficht das praktifch religiöfe
Intereffe vorwaltet, der aber infolgedeffen auch viel ftärker
auf die moralifche Bedeutung der Perfönlichkeit hinweift.
Durch Wolff und feine Nachfahren tritt dann wieder die
pfychologifche Erfaffung des Perfönlichkeitsbegriffes, wie
fie im Grunde fchon in der Scholaftik begründet war, in
den Vordergrund.

Durch eine gründliche Analyfe des kantifchen Perfönlichkeitsbegriffes
in den Schriften der fechziger Jahre,
den lofen Blättern und Reflexionen, in den Vorlefungen
über Metaphyfik, dann in erfter Linie in der Kritik der
reinen Vernunft und den ethifchen und rechtsphilofophi-
fchen Schriften und Auffätzen zeigt der Verfaffer in tiefgrabenden
Unterfuchungen, auf die einzugehen leider der
Raum verbietet, daß durch Kant der Perfönlichkeitsbegriff
zu einer Lebensmacht geworden ift. Er ftellt den Perfönlichkeitsbegriff
mitten unter die Poftulate einer fittlichen
Lebensführung beinahe als die zentrale Forderung alles
ethifchen Handelns in Geftalt der Selbftbeftimmung. Aber
freilich hinterläßt Kant der folgenden Zeit auch in diefem
Punkte wichtige und gewichtige Probleme. Insbefondere
der Gegenfatz zwifchen theoretifcher und praktifcher
Spontaneität ift, wie der Verfaffer richtig gefehen hat,
durch Kants Lehre nur unvollkommen ürJerbrückt.

Ich wiederhole, daß das Schriftchen einen beachtenswerten
Beitrag zum Verftändnis der Lehre Kants darftellt.
Hannover. Bruno Jordan.