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Ausgabe:

1912 Nr. 14

Spalte:

440-441

Titel/Untertitel:

Justus: Prolegomena zum Theismus 1912

Rezensent:

Dorner, August

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439

Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 14.

440

erft als Rationalismus. Dann aber wird in Kants Äfthetik
ein Moment der Myftik behauptet, das die Grenzen des
Rationalen und der Vernunft überfchreite. In Analogie
dazu wird von S. 253 an die rationale Religionslehre Kants
dargeftellt, und endlich kommt der Verf. dann zum Wichtigen
, dem religiöfen Myftizismus Kants. Kant felbft habe
die Religion als etwas Irrationales und Myftifches empfunden;
fchon in der praktifchen Vernunft mache fich ein außerrationales
Element geltend. Die Religion felbft fei bei Kant
nur außerhalb der Grenzen der Vernunft zu faflen ,in der
myfteriöfen noumenalen Vereinigung menfchlicher handelnder
Freiheit und göttlicher allmächtiger Gnade' (S. 282).
In Ausdrücken der Paulinifchen Myftik wird nun das reli-
giöfe Erleben befchrieben; wenn Kant felbft auch fchüchtern
an der Grenze der Vernunft halt gemacht hat, feine Religion
findet erft außerhalb der Vernunftwelt ihr eigenftes
Gebiet. Äfthetik und Religion find in ihrem myftifchen
Gehalt verbunden und drücken beide eine höhere Realität
aus, die das Univerfum zu umfpannen vermag. Daher
endet Neefer mit einem fymbolifchen Schema, bei dem
Wiffenfchaft und Moral in der kompakteren Flüffigkeit der
Äfthetik fchwimmen, die dann von den breiten, dünnen
und alles bedeutenden Gewäffern der Religion umfpült wird
(S. 318). Solche Schemata find trügerifche Schemen. —

Nimmt man Neefers Begriff der Myftik im allgemeinen
religiöfen Sinn und fieht von der gezwungenen Kantifchen
Formulierung ab, fo ift leicht einzufehen, wie viel von
W. Herrmanns theologifcher Pofition bei N. vorhanden ift.
Aber in einem verfehlt Neefer fein Vorbild: während Herrmann
mit Sicherheit feine religiöfe Pofition von Kants
Wiffenfchaftsfyftem trennte, verflicht N. feine Myftik doch
wieder mit diefer Wiffenfchaft, weil er diefe myftifche Religion
als Religionsphilofophie ausbauen will. Das ift nun
zweifellos inkonfequent: von der Religion außerhalb der
Grenzen der Vernunft reden und doch eine Grundlegung
der Religionsphilofophie erftreben. Geht Neefer foweit
in Herrmanns perfönliche Erlebnistheologie und ihre Myftik
ein und verfolgt fie fo exklufiv, dann muß er auch ein
Sonderproblem der Religionsphilofophie ablehnen. Durch
diefe Schlußfolgerung wäre zwar fein Buch nicht fo breit,
jedenfalls aber ftärker geworden.

Zum Schluß noch ein Wort über diefes fleißige Buch
als ein franzöfifches. Gewiß ift es ehrenvoll und fchön
für die deutfche Wiffenfchaft, wenn fle aus folchem Werk
erfleht, welch tiefgreifenden Einfluß fie auf die Gedankenentwicklung
des Auslandes hat. Ift es doch, als ob diefes
theologifche Buch von einem Deutfchen gefchrieben wäre:
die Problemftellung, die Streitfragen find deutfch; die Lö-
fungsverfuche gehen in deutfchen Bahnen. Wenn nicht
Sprache und leichter literarifcher Stil franzöflfch wären,
wo fonft merkten wir in diefer gründlichen Arbeit den
Romanen! So ift es ein folider deutfcher Import nach
Frankreich, der hier auf theologifchem Gebiet vollzogen
wurde. Und doch bin ich damit nicht zufrieden: denn
der Franzofe hat mir von feinem Belitz nichts gegeben;
das Originale feiner Geiftesart tritt zu wenig in Tätigkeit.
Neefer hat zu viel in Deutfchland gelernt; wir erwarten
mehr Franzöfifches von ihm. Womöglich wird fogar diefes
Buch auch den Franzofen zu fremd dünken. Wenn ich
nun an die eigentümlichen philofophifchen Gaben desfran-
zöfifchen Volkes denke, an feine allzufrüh abgebrochene
idealiftifche Entwicklung, an feinen guten Genius in der
evangelifchen Schweiz von Vinet und Secretan bis zu Paul
Chapuis und Gaston Frommel, an die mancherlei geiftreichen
Verfluche religiöfer und theologifcher Renaifiance im katho-
lifchen und proteftantifchen Lager Frankreichs, da finde
ich fo vieles Typifche, Wertvolle, Charakteriftifche, Welt
und Wiffenfchaft Bereichernde, daß es unter allen Umftänden
mehr in der Theologie, befonders in Deutfchland, bekannt
werden müßte. Das ift die Arbeit, um die wir unfere fran-
zöfifchen Kollegen bitten, daß fie uns unfere deutfchen
Prägen mit franzöfifchem Geift beantworten, aber nicht
nur die deutfche Antwort in franzöfifche Sprache kleiden.

Vielleicht ift diefe Aufgabe zu fchwer, befonders wenn wir
noch jung find. Aber fie ift ideal und ihre Löfung bringt in
jedem Einzelfall einen ftarken Beitrag zu echter geiftes-
wiffenfchaftlicher Internationalität und damit zur Humanität.

Marburg i. H. Karl Bornhaufen.

Juftus: Prolegomena zum Theismus. (75 S.) 8°. Leipzig,
E. Wiegandt 1911. M. 2.80

Diefe Arbeit macht einerfeits den Eindruck eines einheitlich
gedachten fyftematifchen Entwurfs einer Kategorienlehre
, andererfeits hat fie eine fo gefliehte Sprache,
daß es fchwer ift, den Inhalt zu verftehen. Was Poll
Submanenz, Immanenz, Extramanenz bedeuten, um nur
ein Beifpiel zu nennen? Der Grundgedanke des Verfaffers
fcheint mir zu fein, eine Vereinigung des Voluntarismus
mit dem logifchen Prinzip. Er geht von dem oberften
Prinzip, Gott, aus, der die Quelle alles Wirklichen fein
foll. Zuerft fucht er die ,logifchen Gefetze und Kategorien
' aufzuftellen, die Fundamentalgefetze des Denkens.
Die oberfte Kategorie ift ihm die Abfolutheit als der
notwendige Reflex der feienden Wahrheit des Abfoluten.
Daher er den ontologifchen Beweis anerkennt. Der Ge-
genfatz der Abfolutheit ift die Relativität, die nicht ohne
das Abfolute gedacht werden kann; ebenfo kann die
Subjektivität nicht ohne die Objektivität gedacht werden.
Die Kaufalität verwendet er im Gegenfatz zu der Subftanz
fo, daß fie die Subordination alles Relativen unter das
Abfolute zum Ausdruck bringt. Er opponiert gegen
den Idealismus, der der Gefahr des Pantheismus nicht
entgehe, weil er zu fubjektiviftifch fei. Die Vernunft, die
das Abfolute in fleh haben foll, vermöge nicht den Unter-
fchied des Objektiven vom Subjektiven, des Abfoluten
vom Relativen konfequent durchzuführen. Er will eine
tiefere Unterfcheidung, die im Theismus gegeben fei; da
ift das Abfolute in voller Schärfe von dem Relativen, das
Kaufierende von dem Kaufierten unterfchieden. In feiner
,Ontologie' verfucht er, foviel ich ihn verftehe, die Kategorien
der realen Aktivität darzuftellen, insbefondere folche die
Werte enthalten, und den Gedanken durchzuführen, daß
der vernünftige Wille Gottes die abfolute determinierende
Urfache fei, daß' der endliche Wille fleh vernünftig determinieren
laffen Polle, daß die Natur das Inftrument finden
vernünftig determinierten Willen fei. Er will eine
axiologifche finale Betrachtung mit der logifch-meta-
phyfifchen verbinden. Sum, ergo cogito fei eine richtigere
Definition der geiftigen Exiftenz als cogito ergo sum.
,Der Wille allein urteilt und lehnt fleh fogar oft gegen
das Diktat feiner eigenen Vernunft auf.' Das Erkennen
ift Tat des Willens, aber die Tat muß auch vernünftig,
logifch beftimmt fein. Er bemüht fich, den Gegenfatz
von Willen und Vernunft prinzipiell auszugleichen, die
Gottheit als die praktifche vernünftige Kraft aufzufaffen,
an der die endlichen Kreaturen durch ihren vernünftigen
Willen teil haben, mit dem fie fich ihr unterordnen.
Die Liebe, Gerechtigkeit, Schönheit find für ihn die axio-
logifchen Kategorien, die aber durchaus nicht mit der
Logik in Widerfpruch flehen.

Die Tendenz diefer Schrift, eine einheitliche philo-
fophifche Weltanfchauung auf ethifch-theiftifcher Grundlage
zu bilden, die dem Materialismus, Monismus, idea-
liftifchen Pantheismus entgegentritt, ift beachtenswert,
und es ift fchade, daß fie nicht einfacher gefchrieben ift.
Die Gegenwart bietet fchon Beifpiele genug für die
ungefunde Tendenz, durch Einführung neuer wunderlicher
Terminologie den Eindruck des Neuen zu machen. Wenn
andere Schriftfteller oft an zu großer Breite leiden, fo
leidet der Verfaffer an zu großer Kürze. Wenn er feine
Anflehten noch eingehender ausarbeitet und fich in
weniger gedrängter Form ausfpricht, kann er Bedeutendes
leiften. Dann dürfte auch noch deutlicher werden, wie
er die entologifchen und die logifchen Kategorien, Willen
und Vernunft, vereinigen will. Denn er fcheint mir weder