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Ausgabe:

1912 Nr. 14

Spalte:

419-420

Autor/Hrsg.:

Wildeboer, G.

Titel/Untertitel:

Nieuw Licht over het Oude Testament 1912

Rezensent:

Nowack, Wilhelm

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419

Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 14.

420

ftimmt überein, daß manche Myftiker, die fich gerne als
Inkarnationsformen des Nüs darftellen, den Namen Pfau
tragen z. B. Gunaid 910 f, ,der Pfau der Gelehrten' und
Sarrag (abu Nasr viell. ca. 1050) ,der Pfau der Armen'
(taus alfukarä), d. h. derer, die das Weltliche und die
eigene Individualität abgelegt haben, um ganz in Gott
aufzugehen. Dadurch, das diefes erfte Gefchöpf, der
,Pfau', fich gegen Gott empört, wird es zum Prinzipe des
Böfen1, während es urfprünglich als gutes Prinzip zu
gelten hat und daher Verehrung verdient. — Es ift zu
hoffen, daß diefe mit großer Sachkenntnis und Präzifion
gearbeitete Schrift das Intereffe an der höheren Geiftes-
kultur des Islam, befonders der Myftik, fteigern wird.

Bonn. M. Horten.

1) Pfauenfedern gelten im Volke auch bei uns noch als unheilbringend
. Der .Reiter aus dem Süden' S. III muß eine Inkarnationsform
der Gottheit bedeuten, alfo wohl Ali, den vierten Kalifen (Anfpielung auf
feinen Kriegszug von Süden — Mekka —■ nach Norden gegen Moawia).

Wildeboer, Hoogl. Dr. G.: Nieuw Licht over het Oude
Testament. Verspreide opftellen. (XI, 312 S.) 8°. Haar-
lem, De Erven F. Bohn 1911. f. 2.90; geb. f. 3.50

Die Vorrede diefes letzten Buches W.'s ift vom April
1911 datiert, am 4. Sept. ift der Verf. 56jährig geftorben.
Über die Grenzen feiner engeren Heimat war er als be-
fonnener Gelehrter gefchätzt, ,die Entftehung des alt-
teftamentlichen Kanons' und ,die Literatur des Alten Te-
ftaments nach der Zeitfolge ihrer Entftehung' hatten fchon
feinen Namen in den Kreifen der deutfchen Theologen
vorteilhaft bekannt gemacht, ehe er als Mitarbeiter Martis
tätig war. Als Anhänger der durch Chantepie de la
Saussaye und Valeton vertretenen ,ethifchen' Richtung, war
er in der fchwierigen Lage der Kämpfer mit doppelter
Front: gegen einen die Eigenart der biblifchen Religion
leugnenden Liberalismus links, gegen einen das Recht
der .höheren Kritik' ablehnenden Konfervatismus rechts.
Das tritt auch in diefer Sammlung bisher zerftreuter
Reden und Abhandlungen uns entgegen. Gleich in der
erften Rede über den Stand der altteftamentlichen Wiffen-
fchaft macht er Front gegen Apologeten wie James
Robertfon, Hommel, Joh. und A. Jeremias, welche fchon
Jubelhymnen über den Untergang der Graf-Wellhaufen-
fchen Pentateuchkritik, die durch das neue Licht aus
dem Offen vernichtet fei, angeftimmt haben. Er ift nicht
blind gegen die Einfeitigkeiten der literarkritifchen Methode
, wie ffe da und dort geübt ift, an deren Stelle,
wie man fagt, die religionsgefchichtliche treten müffe,
W. weift aber mit Recht darauf hin, daß es fich nicht um
ein Entweder—Oder, fondern nur um eine Verbindung
beider Methoden handeln könne. In der zweiten Rede
über das Verhältnis von Jahvedienft und Naturreligion legt
W. dar, daß der Reichtum der gefchichtlichen Erfchei-
nungen beider fich nicht unter eine der beiden Kategorien
bringen laffe: Abfall von der höheren Stufe der
prophetifchen Religion oder Entwicklung der letzteren
aus der Naturreligion des Volks. Wir haben eine ge-
ftiftete Religion, welche nicht aus der Naturreligion des
Volks hervorgegangen ift, jene hat fich aber erft allmählich
aus dem Henotheismus zum Monotheismus entwickelt,
während wir die Volksreligion abfterben fahen, ihr Glanz
erbleicht an dem ftets heller werdenden Licht der Offenbarung
Jahwes. Die dritte Abhandlung legt die Bedeutung
der Tel-Amarna-Briefe für unfere Kenntnis des vor-
iffaelitifchen Kanaan und für das Verftändnis der An-
fiedlung Israels auf diefem Boden dar. Die vierte nimmt
zum Babel-Bibel-Streit Stellung. W. erkennt dankbar an,
was wir Babel verdanken, lehnt aber die Übertreibungen
der Panbabyloniften, als habe Ifrael wefentlich von dort
feine religiöfe Erkenntnis gewonnen, ab und betont, daß
man neben dem babylonifchen nicht den ägyptifchen
Einfluß außer acht laffen dürfe.

Der fünfte Auffatz befchäftigt fich mit der Gefetz-
gebung Hammurabis, die er in eingehender Weife mit
der altteftamentlichen vergleicht und würdigt, infofern
fie Zeugnis von einer entwickelten Kultur gibt und die
Blutrache überwindet, wozu fich im A. T. zwar Anfätze
finden, aber nicht mehr. In zwei Punkten aber überrage
die Gefetzgebung des A. Ts. die des H. 1) durch den
Geift der Barmherzigkeit und 2) durch den religiöfen
Geift, denn trotz der überschwenglichen Aufzählung der
babylonifchen Götter und ihrer Machtbereiche, fei doch
kein einziger wirklich religiöfer Gedanke in der Gefetzgebung
des H. zu entdecken. Mit Recht lehnt W. die
Auffaffung ab, daß die mofaifche Gefetzgebung auf die
des H. als ihre Quelle zurückgehe, beide weifen auf eine
gemeinfame Quelle, das Wüftenrecht zurück. Mit folchen,
freilich durch den Jahvismus modifizierten Rechtsanfch.au-
ungen der Wüftenzeit zog Ifrael in Kanaan ein. Hier
findet es ein in feinem Urfprung ihm verwandtes Recht,
das aber durch die höhere Kultur, auch durch ägyptifchen
Einfluß modifiziert war. Dies, namentlich foweit
es durch diefe höhere Kultur bedingt ift, nehmen fie an,
und nur allmählich wird das fo überkommene Recht
durch den prophetifchen Geift modifiziert. Gewiffer-
maßen eine Ergänzung zu diefem fünften Auffatz ift der
fechfte, in dem W. zeigt, wie die meiften Stellen, welche
dartun follen, daß die Patriarchen unter dem Gefetz des
Hammurabi gelebt haben, unzureichendes Beweismaterial
find (Gen. 16. 23. 38. 44,9. 47,16), höchftens könnten
Gen. 24, 57. 31,16 in Betracht kommen, wie aber bei genauer
Prüfung auch diefer Schluß kein notwendiger ift.
Jedenfalls könne keine Rede davon fein, daß durch den
Fund der Gefetze des H. die auf dem Wege der Kritik
gewonnene Erkenntnis über das Alter der Erzväterge-
fchichten irgendwie erfchüttert sei.

Der fiebente Auffatz beschäftigt fich mit den durch
die Ausgrabungen in Paläftina gewonnenen Funden und
ihrer Bedeutung in archäologifcher und religionsgefchicht-
licher Hinficht, während der achte zeigt, wie die anti-
feminiftifche Stellung keineswegs dem A. T. überhaupt,
fondern nur dem nachexilifchen Judentum eigentümlich
fei: einerfeits die ftärkere religiöfe Wertung der Befchnei-
dung, andrerfeits die bedenkliche Rolle, welche die Frauen
mehrfach im religiöfen Leben des Volks gefpielt haben,
erklären das. Daneben finden fich freilich auch andere
Strömungen, vgl. Prov. 31, 10 ff. Zum Schluß gibt W.
eine neue Überfetzung von Ps. 32, für deffen Text er
eine ganze Reihe von Konjekturen aus dem Pfalmen-
Kommentar von Arnold B. Ehrlich, Berlin 1905, übernimmt
.

Ref. kann nicht immer W. zuftimmen, fo muß ich
bezweifeln, daß das Recht der Kanaaniter fich ohne jede
Beeinfluffung durch das babylonifche gebildet hat, daß
fich lediglich auf etymologifchem Wege, wie das W. ver-
fucht, eine zutreffende Vorftellung von dem Begriff der
Sünde bei den Babyloniern gewinnen läßt usf. Auffallend
ift die Einführung des Arnos S. 50 als ,ossenherder' auf
Grund von 8,14, wo doch zweifellos eine auf Grund von
1,1 zu korrigierende L. A. vorliegt; auch hätte W. andeuten
können, daß der ,Nafiräer' Samuel zweifelhaft ift.
S. 37 Z. 2 v. u. ift 5,29 ftatt 5,2 und S. 40 Z. 2 v. u.
1896 und Z. 1 v. u. 1897 zu lefen.

Jedenfalls wird der Lefer diefes anregenden, mit
voller Beherrfchung des Stoffes und forgfam abwägendem
Urteil gefchriebenen Buches, wie der Ref., von ihm mit
dem schmerzlichen Bedauern fcheiden, daß ein fo mannhafter
und befonnener Gelehrter, von dem wir noch
manche reife Frucht erwarten durften, fo früh von uns
gefchieden ift.

Straßburg i. E. W. Nowack.