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Ausgabe:

1912 Nr. 13

Spalte:

408-409

Autor/Hrsg.:

Friedrich, Jul.

Titel/Untertitel:

Der Ausbau des Protestantismus zur Weltkirche 1912

Rezensent:

Eger, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 13.

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fcheinungen gelegentlich verwechfelt werden, dafür bringt
S. einige treffliche Beifpiele. Er felbft begeht aber bei
feiner Kritik — abgefehen davon, daß er durch das Dogma
von der ,übernatürlichen' Herkunft des Menfchen voreingenommen
ift — nicht wenige vorfchnelle Urteile.
Daraus, daß G. Steinmann die Vorftellung von einer einheitlichen
Entftehung der Säugetiere preisgibt, glaubt
Schmitt fchon einen Beweis zu erheben, ,daß der Menfch
eine Reihe für fich darfteile' außerhalb jeder tierifchen
Entwicklung, und er weisfagt deshalb dem Bonner Paläontologen
— ganz mit Unrecht — unfreundliche Aufnahme
bei denen, die ,um jeden Preis an der Abftammung des
Menfchen vom Tiere fefthalten' wollen. Der 2. Abfchnitt
erörtert kurz die foffilen Menfchenfunde und formuliert
aus dem Tatbeftande, daß die Herleitung des Menfchen
von einer beftimmten tierifchen Form noch nicht geglückt
ift, den Schluß: ,Daß der Menfch von tierifchen Ahnen
abftamme, bleibt daher nach wie vor bloß ein Wunfeh
des Monismus' (S. 102). In einem Schlußabfchnitt über
,die Bedeutung der dargelegten Anfchauungen für Philo-
fophie und Theologie' ftellt fich S. vorübergehend auf
den Standpunkt des Jefuiten Wasmann, indem er die
Frage, ,ob nicht mit Ausfchluß des Geiftes für den
Körper des Menfchen ein genetifcher Zufammenhang mit
dem Tiere anzunehmen fei', als eine diskutable gelten
läßt. Jedoch macht er zur Sicherung der geiftigen Eigenart
feltfame Sprünge mittels des Gedankens der in eine
tierifche Keimzelle durch fchöpferifchen Akt Gottes hineingelegten
Seele.

Wien. Beth.

Zurhellen, Pfr. Lic. Otto: Jathos Theologie u. die religiöle

Krifis der Gegenwart. (Erweiterte Bearbeitg. aus ,Die
Gemeinde'.) (II, 101 S.) 8°. Tübingen, J. C. B. Mohr
1911. M. I —

Die vorliegende, der evangelifchen Gemeinde in Köln
gewidmete, Schrift ift die erweiterte Bearbeitung einer
fchon vor dem Entfeheid des Spruchkollegiums begonnenen
Reihe von Auffätzen in dem Frankfurter Wochenblatt
,üie Gemeinde'. Die Schrift verdient fchon deshalb
Beachtung, weil fie meines Wiffens der erfte Verfuch ift,
die Theologie Jathos im Zufammenhang kritifch zu würdigen
. Es war und ift dem Verfaffer nicht um Lob oder
Tadel fondern um Verftändnis für J. und um Wertung
und Beurteilung feiner theologifchen Ausfagen zu tun:
zweifellos der richtige Weg, um aus dem gegenwärtigen
Streit einen bleibenden theologifchen Gewinn zu ziehen.

Ein einleitender Abfchnitt behandelt das durch den Fall
Jatho geftellte kirchlich-theologifche Problem; er wendet
fich gegen die Meinung, ,es müßten doch Grenzen
fein', und kämpft für Freiheit und Vertrauen auf die Macht
und den Sieg der Wahrheit — das ift zweifellos prote-
ftantifch-kirchliches Ideal, aber ift es jetzt fchon fchranken-
los durchführbar? Sind Geiftliche und Laienwelt dafür
reif? (Es dürfte dann ja auch nach rechts hin, nach Rom,
keine Schranken geben!) Wir leben doch nicht in der
Chriftenheit, fondern in ganz beftimmten hiftorifch gewordenen
Kirchengebilden. Ich will damit Z. nicht j
Unrecht geben; mein Gefühl ftimmt ihm zu, aber meine
Reflexion würdigt auch das relative Recht der von ihm
beftrittenen Pofition. Ob vorläufig eine beftimmte Landeskirche
jeder Lehrfchranken entbehren kann, ift mir j
leider (!) zweifelhaft.

Der Hauptteil behandelt,die theologifchen Streitfragen
'. Er hebt einleitend richtig hervor, was alles nicht
mehr vor das richterliche Forum gezogen ift: der Kampf
dreht fich jetzt wirklich um Haupt fachen. Es find die
5 vom Oberkirchenrat hervorgehobenen Punkte a) Gott
und Welt (Pantheismus), b) Der Offenbarungscharakter des
Chriftentums. c) Die Beurteilung Jefu Chrifti. d) Sünde
und Erlöfung. e) Vom Leben nach dem Tode.

In allen 5 Punkten gehtZ. mit liebevollem Verftändnis,
z. T. mit der Kunft eines Verteidigers, dem (fei es auch
einfeitigen) Recht der Jatho'fchen Pofitionen nach. Nirgends
vertritt er feinerfeits ihren Wortlaut; wenn er fie nicht wefent-
lich ergänzt (z. B. a und e), fo nüanciert er doch anders
(b c), oder fucht zu zeigen, daß J. unter unglücklichen
Formeln, fo mit der ,Selbfterlöfung', doch etwas Richtiges
meine.

Diefe Behandlungsweife ift grundfätzlich richtig
und glücklich. In Einzelnen muß ich öfter widerfpre-
chen, am lebhafteften bei Punkt a. Z. fchildert J's Pantheismus
mit warmen Worten und tadelt dann die Urteilsbegründung
des Spruchkollegiums, weil es dort heißt
,folche Lehrverkündigungen des Pfarrers Jatho flehen mit
der chriftlichen Gotteserkenntnis im Widerfpruch'. Hier
fchiebt Z., ohne es zu merken, aber expressis verbis
einen ,Gottesbegriff' anftelle des harmlofen Ausdrucks
,Gotteserkenntnis' und eifert nun, unter unerlaubter Aus-
einanderreißung von Glaube und Theologie, gegen einen
Dogmatismus, der gar nicht da ift. In Wirklichkeit zeigt
er felbft nachher vollgenügend, daß der Pantheismus,
wenn er das Ganze chriftlicher Gotteserkenntnis (sit venia
verbo!) fein will, nicht zureicht, weil er unter der perfo-
nellen Art chriftlichen Gotterlebens bleibt.

So wie ich hier meine, daß Jefu Gott-Vater-Glaube
in der Tat eine allem Pantheismus überlegene Gotteserkenntnis
{yiyvcöaxsiv im Sinne des 4. Evangeliums) enthalte
, fo meine ich auch, daß Jefu Worte vom ewigen
Wert der Menfchenfeele uns vor einem ängftlichen Agno-
ftizismus gegenüber dem Ewigkeitsglauben (denn es ift mir
Glaube, Frömmigkeit, nicht bloß Weltanfchauung) bewahren
füllten. Ich bezweifle endlich, das Jathos Optimismus
durch Jefus gedeckt wird, und fchätze den Wahrheitskern
des Erbfündendogmas erheblich höher ein.

Hannover. Schuft er.

Friedrich, Landger.-R. Priv.-Doz. Dr. Jul: Der Ausbau
des Proteftantismus zur Weltkirche. [Aus: ,Ztfchr. f. Politik
'.] (47 S.) gr. 8°. Berlin, C. Heymann 1910. M. 1 —

Verf. will die Rätfei, die uns die kirchenpolitifchen
Probleme von heute aufgeben, gewiffermaßen von innen
heraus vermitteln: pfycholo gif eher Beobachtung und
Befchreibung durchleuchten. Denn der Sitz der Probleme
ift das gefamte Seelenleben der in der Personalunion der
Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinfchaft und zu
einem ftaatlichen Verband lebenden Individuen, und keineswegs
nur in abftrakten Gebilden wie ,Staat' und .Kirche'
zu fuchen, noch weniger in den diefen Abftrakten ent-
fprechenden ftaatlichen oder kirchlichen Ausfchnitten aus
der natürlichen Wirklichkeit. Von diefen Vorausfetzungen
aus wird die .Trennung von Staat und Kirche' unterfucht
und mit Entfchiedenheit abgelehnt, da fie zwar formalrechtlich
betrachtet lediglich die äußere Verwaltung,
Gefetzgebung ufw. der Kirche betrifft, aber pfychologifch
betrachtet alles entfprechende Pfychifche, in der Chriften-
feele liegende nur irritiert, aber nicht ordnet und fo dem
oberften Prinzip des Rechts, phyfifche und pfychifche
.Ordnung in Freiheit durch Gerechtigkeit' zu fchaffen, ins
Geficht fchlägt. In weiteren Abfchnitten werden ,der
Staat und die chriftliche Religion' (die Religion ift für
den Kulturftaat eine Angelegenheit öffentlichen Inter-
effes), fowie ,die chriftliche Religion und das Recht' behandelt
: Die fichtbare Kirche ift ftets Rechtskirche, die
zur Feftftellung, Betätigung, Hervorbringung und Ausbreitung
des chriftlichen Glaubens beftimmte Menfchen-
gemeinfehaft, deren Recht Recht bleibt, auch wenn es
durch den von der Kirche fich .trennenden' Staat auf
das Niveau des privaten Vereinsrechts heruntergedrückt
wird. Die katholifche Kirche wird auch unter dem
Trennungsrecht ihre Verfaffung verwirklichen können kraft
ihrer weltumfaffenden Organifation. Diefe ift ihr
das Mittel, ihre geiftigen Kräfte fo zu entfalten und zu