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Ausgabe:

1912 Nr. 13

Spalte:

405-406

Autor/Hrsg.:

Cathrein, Viktor

Titel/Untertitel:

Glauben und Wissen. 4. u. 5., bedeutend verm. Aufl 1912

Rezensent:

Wendland, Johannes

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Seite 1

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405 Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 13. 406

ein fo knappes Geleitwort unmöglich, ein fchlechter Dienft
für Boutroux und Eucken. Und um dem Ganzen mehr
Stil zu geben, hängt man den Auszug eines Eucken-
artikels von Profefior Dr. Paul Meinhold an, der den
Reklameauffätzen moderner gefchäftsgewandter Verlags-
häufer durchaus entfpricht: Anpreifung von Büchern umgeben
von all gemeinen Bildungsfprüchen. Wie können
hch nur vier ernfte Schriftfteller zu einem derartigen
Handel hergeben? Wenn ihre Verleger ja folche an fich
reputierliche Reklame machen wollen, dann follen die
Autoren doch verhindern, daß fo etwas als philofophifche
Neuerfcheinung der Kritik vorgelegt wird. Weder Boutroux
noch Eucken haben diefe Propaganda nötig; he
fetzen fich und ihr Werk nur den mißverftändlichften
Kommentaren an der Hand folcher aus ihrem Lager hervorgehenden
Literatur aus.
Marburg i. H. Karl Bornhaufen.

Cathrein, Viktor, S.J.: Glauben u. Wilfen. Eine Orientierg.
in den religiöfen Grundproblemen der Gegenwart f. alle
Gebildeten. 4. u. 5. bedeutend verm. Aufl. (IX, 305 S.)
8°. Freiburg i. B., Herder 1911. M. 3—; g"eb- M- 3-6o
Das bereits in 4. u. 5. Aufl. erfchienene Buch von
Cathrein verdankt feine weite Verbreitung der allgemein-
verftändlichen Art, mit der es die durch das Vaticanum
fanktionierten Auffaffungen von Wiffen und Glauben vor
einem größeren Publikum vertritt. Das Wiffen hat nach
C. die objektive Wirklichkeit abzubilden. Er vertritt
einen metaphyfifchen Begriffsrealismus, von dem aus
Kant als radikaler Skeptiker erfcheint. Die menfchliche
Vernunft kann mit Sicherheit das Dafein Gottes, die
Schöpfung und Regierung der Welt erkennen. Dagegen
die fpezififch chriftlichen Dogmen, Dreieinigkeit und
Menfchwerdung können nur auf die Autorität der Offenbarung
hin erkannt werden. Der Glaube ift ein Fürwahrhalten
des Verftandes auf Grund des Willensentfchluffes,
der Offenbarung Gottes zu gehorchen. Was Gottes Offenbarung
ift, hat das oberfte Lehramt der Kirche zu definieren
. Hierbei hören wir folgende Unterfcheidung:
,Es gibt zwei Arten amtlicher Lehrtätigkeit des Papftes:
eine feierliche, mit höchfter Autorität ausgeftattete und
die ganze Kirche verpflichtende, und eine andere, zwar
amtliche, aber in geringerem Grade und mit nicht fo unbedingt
verpflichtendem Charakter'. Die letztere ift da
vorhanden, wo der Papft durch die von ihm beauftragten
Kongregationen Entfcheidungen fällen läßt. Bei diefen
.befitzei? wir noch keine Unfehlbarkeit für die Wahrheit
der vorgetragenen Lehre'. ,Trotzdem fchulden wir der-
felben inneren (!) und äußeren Gehorfam. Es wäre ein
Mangel an Ehrfurcht und Achtung vor der von Gott
gefetzten Lehrautorität, wollten wir ihre Entfcheidungen
auch in den Fällen, wo diefe nicht abfolut unfehlbar find,
nicht vorläufig für wahr halten und mit Ehrfurcht behandeln
, wenicrftens folange keine offenbaren und zwingenden
Gründe dagegen fprechen' (S. I?lf.). Hin und wieder
könne eine päpftliche Kongregation unter Billigung des
Papftes einen Miß°riff tun und Falfcb.es feftfetzen wie z. B.
in dem Prozeß Galileis. Doch bürgt ihm die göttliche
Vorfehung, daß dies nur feiten vorkommt. Ein großer
Teil des Buches ift nun polemifch. C. kämpft gegen
die Kantifche Befchränkung des Wiffens auf die Er-
icheinungswelt und gegen die Schleiermacherfche Begründung
des Glaubens auf eine gefühlsmäßig erfahrene Gewißheit
. Diefe letztere ift ihm der eigentliche Feind,
der auch im gegenwärtigen katholifchen Modernismus
die Grundfäulen des vatikanifchen Katholizismus unterminiert
. C. kennt nur die Alternative: entweder Fertigung
der Wahrheit durch eine äußere kirchliche Automat
oder ein Subjektivismus, in welchem jeder nach
leinem Gutdünken feftfetzt, was ihm zu glauben behebt.
Dies letztere ift ihm die Konfequenz des Proteftantismus.
Kine über den Individuen flehende und doch in ihnen

fich auswirkende und beglaubigende Macht der Wahrheit
kennt er nicht. Die chriftliche Wahrheit muß nach
ihm verftandesmäßig bewiefen werden auf Grund von
Vernunft und Lehroffenbarung. Äußere Wunderbeweife
müffen fie ftützen. Die Berufung auf innere Erfahrung
führt nach ihm zur fchrankenlofen Willkür. C. fagt, er
fei bemüht gewefen, ,bei aller Entfchiedenheit in der
prinzipiellen Seite der Frage alles Verletzende möglichft
zu vermeiden und eine Verftändigung zwifchen gläubigen
Proteftanten und Katholiken anzubahnen' (S. 3).
Doch hat er fich von Verzerrungen nicht freigehalten.
Kant ,ftellt fich im Grunde auf den Boden des Atheismus
' (S. 56). Schleiermacher ,war ein Virtuofe in dem
wenig ehrlichen Spiel, mit der althergebrachten religiöfen
Sprache den religiöfen Nihilismus zu verdecken' (S. 44).
Am ärgften ift S. 165: Der Glaube im proteftantifchen
Sinne mache das Gebet überflüffig. ,Wie könnte der,
welcher feft glaubt, ihm feien alle Sünden nachgelaffen,
noch nach der Vorfchrift des Herrn beten: Vergib uns
unfere Schulden'? Ebenfo S. 274: Weil die guten Werke
kein Verdienft begründen, folge daraus: .Alles Streben
nach Werken chriftlicher Gottfeligkeit ift deshalb zum
mindeftens überflüffig und für völliges Aufgehen in rein
irdifchen Beftrebungen ift freie Bahn gefchaffen'. Am
wenigftens gelungen ift das Kap. Glaube und Kultur
(S. 227—278), das eigentlich nicht zum Thema gehörte.
C. gibt die kulturelle Überlegenheit proteftantifcher Völker
zu, erklärt aber das Zurückbleiben der Katholiken nur
durch die Anfeindungen, denen die katholifche Kirche
ausgefetzt fei, und durch ungerechte Bevorzugungen der
Proteftanten.

Bafel. Johannes Wendland.

Schmitt, Prof. Dr. Alois: Der Urfprung des Menfchen oder
die gegenwärtigen Anfchauungen über die Abdämmung
des Menfchen. (XII, 118 S.) gr. 8°. Freiburg i./B. Herder
1911. Mk. 2.40

Schmitt gibt ein fehr lebhaftes Intereffe gegen jede
Theorie einer tierifchen Abdämmung des Menfchen zu
erkennen. Seine ganze Unterfuchung ift von diefem Inter-
efle beftimmt und foll, wenn fchon der Verfaffer in
körperlicher Hinficht den Zufammenhang des Menfchen
mit dem Tiere wenigftens für ,diskutabel' erklärt, fowohl
nach Seite des Körpers wie des Geiftes die Defzendenz
des Menfchen als unannehmbar hinftellen. S. macht fich
für diefen Verfluch befonders den erheblichen Umfchwung
zunutze, der von Seiten der nüchtern regiftrierenden Paläontologie
in die Wege geleitet ift. War es Häckels
bedeutfamer Mangel, daß er die bekannten paläontolo-
gifchen Tatfachen eigenmächtig bis zur Konftruktion
jener Tierarten ergänzte, die als Träger der mit Ur- zu-
fammengefetzten Namen (Urfäuger ufw.) zu den Anfangspunkten
der Stammreihen gemacht wurden: fo hat die
T/LT6 PMäontologie keinen Anftand genommen, in me-
thodologifchem Fortfehreiten und im Sammeln ihrer Er-
gebniffe eine Reihe von bisher morphologifch gefolgerten
Verwandtfchaftsanfprüchen für voreilig zu erklären (z. B.
die Stellung des Amphioxus als Wurzel des gefamten
Wirbeltierftammes). Diefe rückläufige Bewegung greift
S. auf, um fie gegen den Grundgedanken der Abftam-
mungslehre felbft ins Feld zu führen. Er teilt den Haupt-
ftoff des Buches in den größeren Abfchnitt ,Die hypo-
thetifche Stammesgefchichte des Menfchen' und den
kleinen (S. 91 —102) ,Die wirkliche Stammesgefchichte
des Menfchen'. Im erfteren hält er fich durchweg kritifch,
um die Defzendenz auf kleine Ausfchnitte des Organifchen
zu befchränken. Vor allem unterzieht er die anthropo-
genetifchen Theorien von Kollmann und Klaatfch einer
zum Teil fahr beachtenswerten Kritik. Daß zwifchen
Homogenefe und Homoplafie, d. h. zwifchen gemeinfamer
Abdämmung und gleicher Formbildung noch immer nicht
reinlich gefchieden wird, daß immer wieder beide Er-