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Ausgabe:

1912 Nr. 12

Spalte:

376-377

Autor/Hrsg.:

Schaeder, Erich

Titel/Untertitel:

Zur Trinitätsfrage. Drei Vorlesungen 1912

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 12.

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haltung des Chriftentums muß mit einer verneinenden
Stellung zu den Kirchen zufammengehen.' ,Wir können
nur noch Chriften fein, wenn das Chriftentum als eine
noch mitten in Fluß befindliche weltgefchichtliche Bewegung
anerkannt, wenn es aus der kirchlichen Er-
ftarrung aufgerüttelt und auf eine breitere Grundlage
geftellt wird.'

Euchens Auffaffung vom Chriftentum als der Religion,
die durch die Vereinigung mit Gott zugleich ethifche
Tatkraft gibt, die innerfte Konzentration des Bewußtfeins
ermöglicht und gegenüber dem hiftorifchen Glauben auf
einer unmittelbaren Gottesgemeinfchaft ruht, welche alle
Hemmungen der Welt, des kleinen Ich, der ,Kultur-
komödie' überwindet und die innerfte Tatkraft zur Hervorbringung
einer felbftändigen Kultur verleiht, habe
auch ich vertreten. Ebenfo ftimme ich mit ihm darin
überein, daß die Religion einen metaphyfifchen Charakter
trägt. Daß ferner das Chriftentum ein Prinzip hat, das
verfchiedene Formen auch in Zukunft annehmen kann,
wie es verfchiedene Formen bisher angenommen hat,
habe auch ich in meinen dogmengefchichtlichen Ar-

zu zeigen, daß das Chriftentum die Träger der antiken
Kultur formal durch feine Gefchloffenheit, die allgemeine
Zugänglichkeit, die erfrifchende Volkstümlichkeit, die
Knappheit und Beftimmtheit der Verkündigung, inhaltlich
durch feinen Wahrheitsgehalt, feine Naturüberlegenheit
, feine moralifche Kraft, feine unmittelbare Vereinigung
des Menfchen mit Gott gewonnen habe, was der antiken
Philofophie nicht geglückt fei. Eben fo fucht er im
neuen Teftament die Momente aufzuzeigen, die den
Siegeszug des Chriftentums erklären; er findet diese hauptfächlich
in der Perfönlichkeit Jefu, dem Lehrer, dem
Propheten, dem Meffias, dem Weltheiland, der nach
Schleiermacher aller Vermittlung Mittelpunkt gefchicht-
lich geworden fei. Vor allem lebt er die Einheit von
Glauben und Tun, von Religion und Sittlichkeit dar.
Den Siegeszug der neuen Religion habe die Verkündigung
der Freudenbotfchaft und die Glaubensgewißheit bewirkt.
Hier feien religiöfe Werte, die unabhängig von jedem
Weltbilde und unbefchadet ihres gefchichtlich bedingten
Ausdrucks zum Herzen fprechen. Jefus hat in feinem
Tode den Tod befiegt, die Gottesherrfchaft verkündet,

beiten zu zeigen gefucht. Auch feiner Auffaffung des j die Erkenntnis und die Vergebung der Sünde und Gottes-
Theismus, der die Erhabenheit Gottes über der Welt J kindfchaft gebracht, damit die chriftliche Perfönlichkeit

mit der Immanenz in der Welt verbindet, kann man nur
zuftimmen. Nur an einem Punkte vermag ich ihm nicht
völlig zu folgen. Er erkennt zwar auch die Spekulation
an, er lagt, daß ,immer mehr der Schwerpunkt des Lebens
vom Äußeren in das Innere verlegt werde, immer mehr
vor das finnlich Greifbare Gedanken großen geftellt
werden' (190); er redet von einer ,Allgemeingültigkeit'
der chriftlichen Religion (206). Aber im Ganzen bleibt
er doch bei der Tatfächlichkeit des Lebens ftehen,

ermöglicht, die fich in der Gefinnung bewährt, die fich
im Gottvertrauen und brüderlicher Liebe betätigt, die
nicht die Affekte abtötet. Er faßt die Eigenart des Chriftentums
dahin zufamrhen: es fei Menfchheitsreligion, fehe
in den gefchichtlichen Tatfachen des Leidens und Wirkens
Jefu die Kundgebung des Heilswillens zur Erlöfung,
zur Befreiung von Schuldgefühl, zur Darbietung der
Gotteskindfchaft, es rüfte feine Bekenner aus mit Lebenskraft
und Lebenswahrheit und erfülle fie mit Dankbarfei
diefe nun die Tatfächlichkeit, die großen gefchicht- i keit gegen den himmlifchen Vater, den fie ehren durch
liehen Zufammenhängen zu Grunde liegt, oder die innere | Berufstreue und Nächftenliebe. So habe das Chriftentum
Tatfächlichkeit des religiöfen Bewußtfeins. Gibt es aber j trotz aller Irrungen und Wirrungen fein Lebensrecht be-
nicht auch eine Vernunftnotwendigkeit, ein Vernunft- j hauptet.

notwendiges Ideal der Religion? Er betont das Leben, : Heinrici ift offenbar bemüht, das Ewige im Chriften-
die /Einheit des Geifteslebens', aber diefe ift doch wohl tum, das für alle Zeiten Gleiche hervorzuheben. Er

Einheit von Wollen und Intelligenz und eine vernünftige
Erkenntnis kann das Chriftentum nicht entbehren. Die
bloße Tatfächlichkeit verbürgt noch nicht die Wahrheit.
Wir müffen wieder zu dem volleren Begriff des Erkennens
zurückkehren, wie ihn der von Eucken hochgeachtete
Origenes u. Ä. hatte, wonach theoretifches Erkennen zugleich
einen Befitz der Wahrheit bedeutet, der vernunftnotwendig
ift. Was ift denn geiftiges Leben, wenn es
nicht vernünftiges Leben ift? Gewiß ift auch das Erkennen
eine fittliche Tat. Aber es hat feine eigenen
Gefetze, die der Erkennenwollende befolgen muß. Euckens
Standpunkt erinnert an Sendlings metaphyfifchen Empirismus
. Aber diefes Metaphyfifch-Tatfächliche muß
auch als ein Notwendiges erkannt werden. Das Irrationale
muß doch fchließlich wieder überwunden werden, wenn
man nicht im Peffimismus enden will. Das kleine Ich,
die fubjektive Willkür, der Eudämanismus kann doch
nur durch ein Allgemeingültiges, Notwendiges überwunden
werden, das das Ich als ein folches erkennt und
anerkennt. Die unmittelbare Gewißheit der Intuition
bedarf der Ergänzung durch eine notwendige vernünftige
Erkenntnis der Wahrheit als Vernunft notwendiger
Wahrheit. Denn wenn man fie nur dadurch ftützen
wollte, daß fie fich mit der Grundftrömung der Gegenwart
decke, fo würde man noch keine Garantie für die
Wahrheit haben. Diefe Seite betont Eucken in diefer
Schrift nicht ftark genug. Indes befürwortet er felbft ja
eine noologifche Methode und wird in feiner zu erhoffenden
Erkenntnistheorie diefe Frage von feinem Standpunkte
aus zu klären verbuchen.

Während Eucken das Chriftentum als eine im Fluß
befindliche Größe anerkennt, betrachtet Heinrici das-
felbe als eine hiftorifche, im Wefentlichen fich gleich
bleibende Größe. Er befchreibt zunächft die Auffaffung
des Chriftentums von Gibbon und Ranke, fucht dann

vernachläffigt aber gegenüber der rein praktifchen die
theoretifche Seite der chriftlichen Religion, die doch
fchon im Neuen Teftament und von den Apologeten,
Origenes u. A. hervorgehoben wird, und vermeidet nicht,
das Heil von dem Glauben an gefchichtliche Tatfachen
abhängig zu machen, die doch Gegenftand kritifcher
Forfchung nach ihm felbft find. Wie damit die Gewißheit
beliehen foll, die er felbft betont, ift fowenig erficht-
lich, wie die Tatfache der Selbftändigkeit des chriftlichen
Bewußtfeins fich mit der bleibenden Abhängigkeit von
der äußeren hiftorifchen Offenbarung verträgt. Gerade
wenn man der hiftorifchen Bedingtheit des Urchriften-
tums und der Gefchichte Chrifti nachgeht, finden fich
allerhand Unftimmigkeiten, die zwingen, zwifchen dem
Ewigen und dem zeitlich Bedingten zu unterfcheiden,
d. h. doch aber nichts Anderes, als fich von der gefchichtlichen
Auctorität durch eigene kritifche Sichtung
zur Selbftändigkeit des Urteils zu erheben.

Königsberg i. Pr. Dorner.

Schaeder, Prof. D. Erich: Zur Trinitätsfrage. 3 Vorlefgn.
(50 S.) gr. 8°. Leipzig, A. Deichert, Nachf. 1912. M. I —

Der abfolut beherrfchende Ausgangspunkt für die
Behauptung der Trinität ift die Gottheit Chrifti, die allein
den Vollgehalt göttlicher Liebe zur Geltung bringt. Wie
kann aber diefes Prädikat von dem Menfchen ausgefagt
werden, der felber Religion oder Glauben hat und felber
ein Ethos lebt? Die Löfung diefes Problems findet Sch.
in der Tatfache der Gottesfohnfchaft Jefu. Diefelbe Hellt
die Synthefe der Gottgleichheit und Gottabhängigkeit dar.
Ift Jefus in der Form göttlichen Gebens oder Wirkens
der gottheitliche Sohn Gottes, dann ift das ein Verhältnis,
das nicht erft in der Gefchichte wirklich geworden fein
kann; es ift ihm daher Präexiftenz, ewig-perfönliche Zu-