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Ausgabe:

1912 Nr. 1

Spalte:

15-16

Autor/Hrsg.:

Bigelmair, Andreas

Titel/Untertitel:

Die Afralegende 1912

Rezensent:

Anrich, Gustav Adolf

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 1.

16

auffallend nahe; auch den exegetifchen Gehalt der Auslegung
charakterinert er S. 73 ff.

Den letzteren überfchätzt er —■ verzeihlicher Weife;
S. 12 erkennt er doch auch einmal die fchwülftige Ausdrucksweife
Cyrills an; in Wahrheit ift für Unfereinen
diefer Alexandriner mit feiner Armut an Gedanken bei
grenzenlofer Wortfülle ein furchtbares Kreuz. Dagegen
intereffieren uns des Textes wegen feine Bibelzitate außerordentlich
; hoffentlich beläßt es R. nicht bei den fpär-
lichen Mitteilungen diefes Heftes. — Rücker hat fich mit
feiner Differtation unter den Patriftikern in willkommener
Art eingeführt; einige Nachläffigkeiten im Äußeren wie
das unausrottbare Laodicaea ftatt Laodicea oder S. 39
,fich befindlich', vollends ein gar nicht verftändlicher
langer Satz S. 15/16, auch eine Reihe von Druckfehlern
wiegen nicht fchwer. Für das fchülerhafte Latein der
erften Kolumne S. 23—29 und für unverbeffert gebliebene
Fehler anderer Herausgeber wie das vm ßeßrjxört S. 23
und ßeßrjxoToq xoyiöjiov 2 mal auf S. 24 möchte ich ihn
nicht verantwortlich machen.

Marburg. Ad. Jülicher.

Bigelmair, Andreas: Die Afralegende. (Aus: Schröder,
Archiv f. d. Gefch. d. Hochftifts Augsburg. I. Band.
1910.) (83 S.) 8°. Dillingen a. D., J. Kellerfche Buchdruckerei
1911.

Der feit Edition ihrer Hauptdokumente in den Monu-
menta Germaniae durch Krufch (1896) wieder vielverhandelten
Afralegende ift hier eine durch umfaffende
Sachkenntnis und methodifche Sorgfalt ausgezeichnete
Studie gewidmet. Nach Skizzierung der grundlegenden
Dokumente, der Conversio und Passio, verfolgt Verf.
die mit dem 9. Jahrh. einfetzende Verbreitung des Kults
der Heiligen, hierauf die Verbreitung, die Bearbeitungen
und Weiterbildungen der Afralegende bis zu Meifterlin
und Wittwer an der Schwelle der Neuzeit. Ein weiteres
Kapitel gibt eine ausführliche Gefchichte der wiffenfchaft-
lichen Kritik der Legende, die mit dem Augsburger
Chroniften Gaffer, einem Schüler Melanchtons, anhebt
und über Baronius, Tillemont, Rettberg u. a. auf die
Gegenwart führt. Letztere anlangend, wird zumal die
Kontroverfe zwifchen Krufch und Duchesne dargeftellt,
dann die neuen Aufftellungen, zu denen das Bekanntwerden
der kürzeren lateinifchen Paffion und der arme-
nifchen Paffion Anlaß gegeben hat.

Im dritten Teil entwickelt Verf. feine eigenen, in
folgenden Sätzen gipfelnden kritifchen Refultate: Die
armenifche Paffion ift als fpäte Bearbeitung der lateinifchen
Paffion oder der abendländifchen mündlichen
Tradition auszufcheiden (S. 65f.). Die kürzere lateinifche
Paffion ift die ältefte Geftalt der Legende (67), geht aber
weder auf echte Akten noch auf mündliche Uberlieferungen
zurück (72ff.), fondern ift erdichtet auf Grund
des Martyrologium Hieronymianum, alfo nicht vor + 600
(74). Der Name der antiochenifchen Märtyrin Veneria,
den das Hieronymianum zum felben Tage und manche
Handfchriften unmittelbar neben Afra verzeichnen, hat,
irrtümlich als Appellativum gefaßt, die Legende vom
Dirnengewerbe der Afra veranlaßt (75). Die Conversio
ift fpäteren Urfprungs, jedenfalls vor 800; fie follte zeigen,
daß Afra zur Zeit ihres Martyriums nicht mehr Dirne
war; denfelben Zweck verfolgen die Zufätze der längeren
Paffion (66 f., 71 f.). Als ficher hiftorifch bleibt das Martyrium
einer Afra in Augsburg, gefichert durch alten, von
Venantius Fortunatus und der Urgeftalt des Hieronymianum
(refp. von einem ihm zugrunde liegenden Mailänder
Kalendar, S. 4 fr.) bezeugten Kult (76, 81). Als
möglicherweife hiftorifch der Tod durch Verbrennung,
fofern die vor der Stadt liegende Todesftätte, die auf
richtige Überlieferung zurückgehen könnte (?), auf diefe
Todesart fchließen läßt, und die Begräbnisstätte, fofern
hier wohl die Erinnerung an die Lage eines alten Friedhofes
nachwirkt (76f.). Über die Identität des 1064 auf-
gefundenen und kürzlich wieder unterfuchten Afraleibes
äußert fich der Verf. mit vorfichtiger Skepfis (77 f.).

Straßburg i. E. Anrieh.

Schnitzer, Prof. Dr. Jofeph: Quellen u- Forfchungen zur
Gefchichte Savonarolas. IV. Savonarola nach den Aufzeichnungen
des Florentiners Piero Parenti. (CLXII,
322 S.) 8°. Leipzig, Duncker & Humblot 1910. M. n —

Was der Herausgeber im Vorwort S. VI fagt, nämlich
, daß die ,Quellen und Forfchungen', deren vierter Teil
hier geboten wird, ,durch die Macht der Umftände
obdachlos geworden find' — läßt tiefer blicken. Die
Serie hat nämlich begonnen mit dem Untertitel: Veröffentlichungen
aus dem kirchenhiftorifchen Seminar
München'. Obdachlos wurden fie dadurch, daß der
bisherige Verlag (Leutner in München) verfagte — da
ift es denn erfreulich, daß die Firma Duncker & Humblot
die vorliegende Publikation übernommen und damit S.
die Möglichkeit geboten hat, nach den Auszügen aus
Cerretanis Schriften nun auch die wichtigen, bisher nur
in der Handfchrift vorhandenen Aufzeichnungen des
Piero Parenti über den großen Frate weiteren Kreifen
vorzulegen.

Merkwürdig, wie Parentis Stellung zu Savonarola
und fein Urteil fich von Cerretanis Darfteilung abhebt:
Diefer rückt nach und nach dem Frate näher, gewinnt
mehr Sympathie mit feiner Perfon — jener fteht ihm anfangs
nahe, wie übrigens die Mehrzahl der Ernftgefinnten
in Florenz, und erft als die politifchen Verhältniffe ihm
als unheilbar verwirrt nicht ohne Savonarolas Schuld er-
fcheinen, wendet er fich von ihm ab, und das kurze
Schlußurteil angefichts der Hinrichtung des Frate (S. 282)
ift fo kühl und fcharf wie möglich.

Worin befteht nun die Bedeutung der neuen Publikation
? Parentis handfehriftliche Chronik ift längft bekannt
und vielfach benutzt worden, ja einzelne auf Savonarola
bezügliche Ausführungen hat Ranke bereits in
den Hiftorifch-biographifchen Studien abgedruckt. Aber
aus dem, was uns S. vorlegt, ergibt fich, daß Parentis
Werk mehr als bloß eine der vielen Quellenfchriften ift,
daß wir vielmehr, wo es fich um die Frage handelt,
welchen Einfluß Savonarola auf die Politik in Florenz gehabt
hat, in ihm die maßgebende Darftellung zu erblicken
haben. Freilich — immer unter der Einfchränkung,
welche oben angedeutet wurde: daß nämlich der fcharf-
fichtige Beurteiler mehr und mehr die Überzeugung gewinnt
, des Propheten Vorgehen fei der Stadt und ihrer
Zukunft verderblich und fo treibe er mit Recht dem
Untergange zu. Zu diefem Urteile konnte, ja mußte
wohl Parenti mit nicht wenigen hochftehenden Florentinern
der Zeit gelangen, weil ihm ein Verftändnis für
die Prophetenart des Frate abging. Andererseits aber
hat er auch Savonarolas erft Kopffchütteln, dann fcharfen
Widerfpruch verurfachendes Vorgehen an mehreren
Punkten — z. B. wo die Kinder in zudringlicher Weife
als Organe der Sittenpolizei verwendet werden oder doch
fich fo auffpielen — viel nüchterner beurteilt, als das
selbft heutzutage noch von einer Seite gefchieht (vgl.
S. CLI), obwohl er ,als Hausherr und Familienvater über
das Treiben der Kinder beftens unterrichtet war' (S. CLII).
Entfcheidend aber für Parentis Stellung zu S. bleibt der
politifche Gegenfatz: S. erblickt in dem Fremden, dem
König von Frankreich, den, der helfen foll, weil die
inneren Zuftände im Lande völlig unheilbar verwirrt er-
fcheinen — für Parenti fteht die Selbftändigkeit des
florentinifchen Staates und ganz Italiens in erfter Linie,
und S. erfcheint ihm geradezu als Verräter.

Der große Umfang des Berichts hat zur Auswahl
und zu Kürzungen bei der Wiedergabe gezwungen. Glücklicherweife
ift folcher Zwang für den Umfang der vom
Herausgeber dargebotenen inftruktiven ,Einleitung' mit ihren