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Ausgabe:

1912 Nr. 12

Spalte:

369-370

Autor/Hrsg.:

Vetter, Ferdinand (Hrsg.)

Titel/Untertitel:

Jeremias Gotthelf und Karl Rudolf Hagenbach. Ihr Briefwechsel aus den Jahren 1841 bis 1853 1912

Rezensent:

Wernle, Paul

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369

Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 12.

370

Satz über Göttingen und feine Univerfität, der S. 9 fo angenehm
hervorfticht, bereits vor 2 Jahren bei Erich Mareks,
Bismarck I, 83 gelefen werden konnte. Diefer Nachtrag
dürfte um fo mehr in Dors Sinne fein, als er felbft fich
(S. 30) zu einer geziemend ftrengen Auffaffung von der
Wahrung geiftigen Eigentums bekennt.

Freiburg i. Br. F. Vi gen er.

Jeremias Gottheit und Karl Rudolf Hagenbach. Ihr Brief-
wechfel aus den Jahren 1841 bis 1853. Herausgegeben
von Ferdinand Vetter. (VI, 115 S.) gr. 8°. Bafel,
C. F. Lendorff 1910. M. 3-6°

Diefer Briefwechfel gibt Auffchluß über eine Fülle
literarifcher, politifcher, religiöfer und rein menfehlicher
Beziehungen der beiden Männer zu einander und zu ihrer j
Zeitgefchichte und bereichert unfre Kenntnis der fchwei-
zerifchen Gefchichte aus der Mitte des letzten Jahrhunderts
. Hier darf vor allem auf den theologifchen und
religiöfen Ertrag hingewiefen werden, und dabei ift das
Wertvollfte das helle Licht, das auf die beiden Brieffchreiber
felbft, den bernifchen Volksfchriftfteller und den bas-
lerifchen Gelehrten, fällt, die fich in einer überaus herzlichen
Freundfchaft verbunden wiffen. Es find beides I
aufrechte Männer der Mitte, von folider Bildung auf allen I
Lebensgebieten und intimer Vertrautheit mit ihrem Volk, j
an deffen kirchlichem und politifchem Gefchick fie in
einer unruhvollen, ja ftürmifchen Zeit den wärmften Anteil
nehmen. Zu ihrer Rechten kommt der neuere Pietis- j
mus und Methodismus in die Höhe, mit feiner Ängftlich-
keit und dogmatifchen Enge; fie haben Verftändnis für
deffen religiöfe Kräfte, aber lehnen feine Einfeitigkeiten
und Überfpanntheiten entfehieden ab, Bitzius faft noch
fchärfer als der irenifche Hagenbach. Zu ihrer Linken
kommt aber noch viel ftürmifcher und gewalttätiger der
Radikalismus auf, der politifche vor allem, vom theologifchen
ift noch wenig die Rede, da leider gerade die j
Briefe aus der Zeit des Zellerhandeis in Bern fehlen;
immerhin fehlt es nicht an fcharfen Worten gegen das
Junghegeltum. Mit diefem politifchen Radikalismus lebt
der fonft nach eigenem Bekenntnis freifinnige Bitzius
geradezu in einem Kampf auf Leben und Tod und
manche feiner wilden Äußerungen müffen als Worte des
reinen Parteimanns, der den Gegner gar nicht verftehen
will und kann, gewürdigt werden. Immerhin hat er den
demagogifchen Charakter der neuen Bewegung nach der
Wirklichkeit gezeichnet, es ift nicht nur der Pfarrer in
ihm, der die Schilderung entwirft: ,morgens in irgend
einer Wirtfchaft einen halben Schoppen oder ein Gläschen'
nachmittags was Ahnliches, Abends wieder, aber feiten
oder nie befuchen fie eine Kirche und höchft feiten
nehmen fie ein Buch zur Hand'. Wenn er diefen Kultur-
apofteln gegenüber feinen Haß des Wortes .Kultur' bis
auf den Tod hin bekennt, ,denn fobald diefes Wort zum
Vorfchein kommt, ift der Teufel los, er mahne ihn an
eine Kapuzinerkutte, die einen machen das Kreuz davor,
während andere darunter ihre Blöße famt allerlei Ungeziefer
bedecken', fo dürfen wir uns fagen, daß diesmal
Bitzius der wirkliche Kulturträger war und ift bis auf die
Gegenwart. Aber freilich, wenn er dann ins Prophezeihen
kommt, gerät es ihm regelmäßig fchlecht, in 50 Jahren j
und vielleicht früher noch werde die Waadt katholifch
[ein, oder dem drohenden Sonderbundskrieg werde eine
Intervention folgen, dann Gott weiß was, wenigftens ein
lebenslänglicher Denkzettel, ein Brandmal, das nur mit
der Haut vergehe, — man kann das heut nur mit Lachen
lefen und findet es beftätigt, daß der politifche Peffimismus,
der die gefunden, tüchtigen, ich möchte auch fagen, die
proteftantifchen Volkskräfte in feiner Rechnung überspringt
, jedesmal fchlecht weisfagen kann. Für mich ift
dies der merkwürdigfte Eindruck diefer Lektüre: wie zwei
fo gebildete und perfönlich fo tief fromme Männer, mit

echtem, feftem Gottvertrauen für ihr ganzes perfönliches
Leben, doch das Gottvertrauen und den weiten Blick für
ihre ganze Zeit nicht finden und fchließlich gegenüber
der ganzen Zeitbewegung grollend abfeits vom Wege
ftehen. Sie erkennen fehr fcharffinnig die Fehler und
Schwächen der radikalen Vorwärtsftürmer, von denen ein
großer Teil wirklich nicht mehr als Maulhelden gewefen
find, aber darüber hinaus fehen fie nicht, und gerade
ihre feine folide Bildung, ihr reicher hiftorifcher Sinn und
ihre religiöfe Innerlichkeit verhindern es, daß von ihnen
die Kraft auf ihre Zeitgenoffen ausgehen kann, die ihnen
nach ihrer wahren geiftigen Bedeutung zukommen müßte.

Bafel. Paul Wer nie.

Kirchliches Handbuch für das katholifche Deutfchland. in Ver-
bindg. m. Domvik. P. Weber, Prof. Dr. N. Hilling, P.
A. Huonder, S. J., Dr. R. Brüning, Gen.-Sekr. J. Weyd-
mann u. Domdek. Prof. Dr. J. Selbft hrsg. v. H. A.
Krofe, S. J. 3. Bd. 1910—1911. (XIX, 441 S.) 8«.
Freiburg i. B., Herder 1911. Geb. M. 6 —

Nachdem ich die beiden erflen Bände des kirchlichen
Handbuchs in unferer Zeitfchrift bereits eingehend be-
fprochen habe, kann ich mich über den mir nunmehr zur
Befprechung vorliegenden dritten Band (1910/1911) wefent-
lich kürzer faffen, um fo mehr als demfelben im Wefent-
lichen die gleichen Vorzüge eignen, wie den beiden vorhergehenden
, nämlich gründliche Sachkenntnis und über-
fichtlicheDarftellung. Dagegen ift der katholifche Charakter
des Handbuches von einzelnen Bearbeitern noch ftärker
als bisher hervorgehoben worden, obwohl fchon bis jetzt
kein Lefer darüber im Zweifel fein konnte, das er es hier
mit einem ausgefprochen konfeffionellen Werke zu tun
habe.

So hat, um nur ein Beifpiel anzuführen, Domvikar
Weber einen fchlichten einleitenden Satz über die Rangordnung
des Kardinalates (2. Band S. 2) zu dem Bekenntnis
erweitert: Nächft dem Papft, der allein ,als Nachfolger
des Apoftelfürften Petrus und als wahrer Statthalter Jefu
Chrifti auf Erden das Haupt der ganzen Kirche und aller
Chriften Vater und Lehrer' ift, und dem kraft göttlichen
Auftr ages in Petrus die Vollgewalt des bifchöf liehen Amtes
über die ganze Kirche übertragen ift . . . (S. 2).

Die Zahl der Mitarbeiter hat fich gegen den zweiten
Band (6) um zwei vermehrt (Dr. Jofef Selbft: Das kirchliche
Leben im Jahre 1910, und Dr. R. Brüning: Konfeffion
und Unterrichtswefen) und um einen vermindert (Dr. K.
Mayer, der feinen Beitrag über die Lage der katholifchen
Kirche im Auslande leider nicht rechtzeitig fertigftellen
konnte), und der bisherige Bearbeiter der caritativ-fozialen
Tätigkeit Dr. W. Liefe ift durch Generalfekretär J. Weyd-
mann erfetzt worden. Und ähnlich wie in dem Beftand
der Mitarbeiter ift auch in der Anordnung des reichen
Stoffes einige Veränderung erfolgt, indem ein neuer Ab-
lchnitt über ,das kirchliche Leben' eingefchoben wurde
und das Kapitel: .Volksbildung' (Abfchnitt 11 der kirchlichen
Statiftik) zu einer befonderen Abteilung .Konfeffion
und Unternchtswefen' umgeftaltet wurde.

Uber die einzelnen Abteilungen möchte ich kurz das
folgende bemerken. In der erften .Organifation der Ge-
famtkirche' (S. 1—32) gibt uns Weber diesmal außer zahlreichen
erläuternden Randbemerkungen zum erftenmal
das Verzeichnis des päpftlichen Hofftaates (S. 20 f.) und
eine Lifte des beim apoftolifchen Stuhle akkreditierten
diplomatifchen Korps (S. 28). Sehr reichhaltig ift diesmal
die zweite Abteilung .Kirchenrechtliche Gefetzgebung
und Rechtfprechung' (S. 33—91) von Profeffor Hilling. Sie
enthält eine genaue Inhaltsangabe von 22 päpftlichen
Dekreten, Motuproprios und fonftigen Erlaffen, von 27
Kongregations- und Kurialentfcheiden, 3 ftaatlichen Ge-
fetzen und 24 Entfeheidungen von ftaatlichen Gerichtshöfen
in kirchlichen Angelegenheiten. Dr. Selbft zeichnet