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Ausgabe:

1912 Nr. 12

Spalte:

356-358

Autor/Hrsg.:

Glaue, Paul

Titel/Untertitel:

Mitteilungen des Septuaginta-Unternehmens der königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen. 2. Heft: Fragmente einer griechischen Übersetzung des samaritanischen Pentateuch 1912

Rezensent:

Kahle, Paul

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 12.

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masambhava, der während jener Begebenheiten abwefend
ift, erfcheint erft fpäter wieder auf der Bildfläche, wie die
Königin zur Strafe für ihr fündiges Erdreiften von Vairo-
canas Zauberkraft mit Ausfatz gefchlagen ift, und um
Heilung fleht. Durch Padmasambhavas Vermittlung wird
Vairocana zurückberufen, der die Zwifchenzeit auf Reifen
zugebracht und mancherlei erlebt hat (die Gefchichte mit
dem';Schmiedeehepaar bildet ein anmutiges Intermezzo
in der an Epifoden der verfchiedenften Art fo reichen
Erzählung, und fcheint das tibetifche Volksleben der damaligen
Zeit getreu wiederzufpiegeln). Die myftifche
Heilung der Königin durch Vairocana und Padmasam-
bhava wird mit der dem tibetifchen eigenen kraufen Symbolik
erzählt, führt uns aber in eins der intereffanteften
Gebiete des tibetifchen (und nicht nur tibetifchen) Okkultismus
. Vielleicht liegt auch hier irgend etwas Hifto-
rifches zugrunde.

Im letzten Abfchnitt (Kap. 17 ff.) bildet wieder die
Perfon des Padmasambhava den Mittelpunkt der Erzählung
. Er vermählt fleh mit der Prinzeffin Khrom-pa-
rgyan, deren Hand ihm die Königin zum Dank für ihre
Heilung angetragen hat. Aus der Ehe entfpringen zwei
Söhne von fehr ungleichem Charakter: der eine ein
höllifcher Wechfelbalg, der andere eine lebendige Verkörperung
der religiöfen Ideale des Buddhismus. Myftifche
Motive aus der Geburtslegende Buddhas fcheinen bei
diefer Erzählung mit verwendet zu fein. Den Schluß des
Ganzen bilden verfchiedene Anfprachen und Prophezeiungen
Padmasambhavas, die mit der vorausgehenden
Gefchichte in keinem unmittelbaren Zufammenhang ftehen.
In diefem Abfchnitt bleibt, wie Laufer felbft hervorhebt,
verfchiedenes dunkel.

Die Einleitung, die dem tibetifchen Text voraus-
gefchickt wird, enthält außer einer Inhaltsangabe wertvolle
philologifche Ausführungen.

Nur das Urteil über Padmasambhava (S. 23ff., dann nochmals im
Anhang S. 250) fcheint mir etwas zu fubjektiv. Vollkommen zutreffend
ift es, wenn ihn Laufer im Anhang einen ,rätfelhaften Charakter' nennt,
,eine Perfönlichkeit von fo markantem Charakter, wie fie in der ganzen
Gefchichte des Buddhismus fich nicht wiederholt'. Eben darum find
die Vorwürfe zu hart, die a. a. O. gegen ihn erhoben werden. Befonders
fcheinen mir die Ausdrücke ,Roue und WüftliDg' (S. 25) mit ihrem
modern-abendländifchen Beigefchmack einer folchen Perfönlichkeit gegenüber
nicht am Platze zu fein. In der Heirat mit der Prinzeffin, die ihm
der Verf. fo fehr verübelt, vermag ich nichts fo Schlimmes und vor
allem nichts Ungewöhnliches zu erblicken. Von den Beteiligten hat
ficherlich niemand die Vorgänge in diefem Licht betrachtet, und die dem
Lama aus Dankbarkeit angetraute Prinzeffin hat fich gewiß nur aufs
höchfte geehrt gefühlt, daß der große Heilige fich zu ihr herabließ.
Zum Erlöfungspfade gehört freilich in erfter Linie die Keufchheit (brah-
macaryam), aber keine Moralvorfchriften exiftieren mehr für den Yogin,
der das Ziel der Befreiung fchon auf Erden erreicht hat, fein Handeln
ist, wie es im Sütra heißt, jenfeits von Gut und Böfe' (asukläkrsnam).
Die ganze Richtung des Padmasambhava aber ift die des tantrifchen
Buddhismus, des Yoga. So fchwankend auch im ganzen das Charakterbild
des Padmasambhava uns erfcheinen mag, ein bloßer Roue kann der
Mann nicht gewefen fein, der auf die Mitwelt einen fo beherrfchenden
Einfluß geübt hat, und von deffen Geift auch im heutigen Lamaismus
noch vieles lebendig ift.

Eine günftigere Beurteilung als der Heilige von Udyäna erfährt in
dem Buche der Lama Vairocana. Daß er fich dem Anfinnen der Königin
widerfetzte, meint Laufer (S. 22), ,konnte fich nur in der erften reinen
jungfräulichen Zeit des Buddhismus ereignen, als das Mönchtum eine
neue frifche Inftitution war, und die jungen Mönche ihr Gelübde ernft
nahmen. Vairocana . . . gehörte ja zu der ausgewählten Schar jener
Sieben, die damals zuerft die Priefterweihe empfingen. Es müffen alfo
fittlich ernfte würdige junge Männer gewefen fein, die diefen Schritt
taten und aus wirklicher Liebe und Überzeugung ein Leben der Ent-
fagung erkoren'. Nach einer Bemerkung auf S. 16 freilich wäre nur
Furcht vor Entdeckung das Motiv feiner Ablehnung gewefen. Am
mildeften ift Laufer in feiner Beurteilung der Königin, die doch immerhin
dem König, ihrem Gemahl, nach dem Leben getrachtet und den
Thronfolger, ihren eigenen Sohn, vergiftet hat. ,Sie war', fo wird gefügt
, jedenfalls Tibeterin durch und durch, eine refolute Frau . . ., ungewöhnlich
in ihren Leidenfchaften und Ambitionen, nicht ohne politifchen
Verftand, und doch nicht menfehlicher und fympathifcher Züge bar'.

Der tibetifche Text ift forgfältig redigiert und hübfeh gedruckt.
Nicht zum Ausdruck gebracht ift durch die Anordnung des Drucks das
Metrum, und zwar wie es fcheint, mit Abficht, denn aus der erften Anmerkung
auf S. 121 geht mit Sicherheit hervor, daß der Verf. den vorwiegend
metrifchen Charakter des Ganzen richtig erkannt hat. In den

Anfangskapiteln finden fich Profaabfchnitte, und in den beiden letzten
Kapiteln, die ja auch in keinem unmittelbaren Zufammenhang mit dem
Vorausgehenden ftehen, überwiegt die Profa. Aber fonft ift das meide
in Verfen, das vorherrfchende Versmaß ift die neunfilbige Zeile mit dem
der tibetifchen Metrik eigentümlichen trochäifchen Silbenfall. Kap. 7
bis 15 find durchgehends in diefem Metrum gehalten, nur am Anfang
von Kap. 12 findet fich eine längere Zeile. In den anderen Abfchnitten
begegnen uns mehrfach auch fiebenfilbige trochäifche Zeilen. Das Ganze
ift alfo keineswegs die (nur in Kap. 2 und 3 von Liedern unterbrochene)
Profaerzählung, die es nach dem Äußeren des Druckes zu fein fcheint.
In feiner Abhandlung ,Die Bru-za-Sprache und die hiftorifche Stellung
des Padmasambhava' (Leiden 1908) weift Laufer S. 38 (im Anhang ,über
den epifchen Charakter der tibetifchen Annalen') felbft auf jene eigenartige
Abwechslung von gebundener und ungebundener Rede im Tibetifchen
hin. Auch wird dort von ihm aus einem Werke mit ähnlichen Titel
(bkahi-than yig-chen-mo) ein metrifcher Abfchnitt mitgeteilt, der ebenfalls
das Feft der Einweihung der Tempelbauten von bSam-yas be-
fchreibt. Es wäre alfo vielleicht von Intereffe gewefen, wenn er auch
in der gegenwärtigen Abhandlung zu den metrifchen Fragen Stellung
genommen hätte.

In der Über fetzung find die außergewöhnlichen Schwierigkeiten
des Textes, wie es fcheint, im großen und ganzen fiegreich bezwungen.
Um fo größere Anerkennung verdient die Befcheidenheit, mit der Laufer
felbft am Schluffe der Einleitung feine Überfetzung als bloßen Vernich
bezeichnet und die Möglichkeit von Irrtümern im einzelnen einräumt,
indem er ausdrücklich erklärt, er bilde fich nicht ein, ftets das Rechte
getroffen zu haben. Mit Recht weift er darauf hin, daß eine fichere
Löfung aller Schwierigkeiten bei unferer dermaligen Kenntnis des Tibetifchen
noch gar nicht möglich ift, und daß jeder Text wieder neue
Aufgaben und Probleme ftellt. ,Darin liegt die befondere Schwierigkeit,
aber darum auch der befondere und immer neue Reiz der tibetifchen
Studien.' Erwähnen möchte ich, daß mir am Anfang des 22. Kapitels
die Ausfprüche Padmasambhavas aufgefallen find ,die Qual des Wiffens
kenne ich, die Qual der Befchauung kenne ich'. Das wäre ein merkwürdiger
Standpunkt für einen Yogin. Das tibetifche ma- rig- zag-pa.
bcas-pa-na-yis-ses heißt aber doch ,die Qual des Nichtwiffens kenne
ich', ebenfo wird lta-ba im folgenden nicht ,Befchauung' heißen ,— denn
in der Befchauung liegt ja für den Myftiker die höchfte Seligkeit —,
fondern lta-ba (Grundbedeutung ,anfchauen') ift fanfkrit daräana,
drsti, Pali ditthi, ,die Anfchauung', befonders .falfche Anfchauung,
Irrlehre, Ketzerei' (s. Childas Pali-Wörterbuch unter ditthi). Alfo:
,die Qual des Nichtwiffens kenne ich, die Qual des falfchen Glaubens
kenne ich', was fehr gut zu der Grundanfchauung des Buddhismus paßt.
Irreführend ift es auch, wenn Laufer in feiner Überfetzung mehrfach von
,Liebesliedern' fpricht (z. B. am Anfang von Kap. 4), denn dabei denken
wir immer an die finnliche Liebe, den Epiur;, das tibetifche Wort byams- pa,
das fich hier im Texte findet, bedeutet aber die geiftliche Liebe (ayäTtrj),
das Gefühl der ,Freundfchaft' (maitri) zu allen Wefen, das im Buddhismus
die gleiche Rolle fpielt, wie die ,Liebe' im Neuen Teftament.

Alles in allen ftellt die Lauferfche Überfetzung eine
fehr bedeutende philologifche Leiftung dar, für die die
Fachgenoffen ihm zu großem Dank verpflichtet find.
Rühmende Erwähnung verdient auch die hübfehe moderne
Ausftattung des Buches. Die ftilvollen Abbildungen find
von Prof. Grünwedel gezeichnet. Zum Schluffe dürfen
; wir der Hoffnung Ausdruck geben, daß der Verfaffer
auf diefen vielverfprechenden Anfang die nach der Einleitung
(S. 9) zu erwartende Veröffentlichung auch der
übrigen Abfchnitte des bkah-than-sde-lha werde folgen
laffen. Auch das religionsgefchichtlich wertvolle Material
der Schrift foll, wie das Vorwort in Ausficht ftellt, in
einer zukünftigen Publikation über die Mythologie und
Riten der altbuddhiftifchen Sekte Tibets zu feinem Rechte
gelangen.

Steglitz. Hermann Beckh.

Mitteilungen des Septuaginta-Unternehmens der königl. Gefell-
Fchaft der Wilfenfchaften zu Göttingen. 2. Heft. Glaue.Paul,
u. Alfred Rahlfs: Fragmente einergriechifchenÜberset-
zungdesfamaritanifchenPentateuchs.[SA.aus:„Nachr.d.
k. Gefellfch. d. Wiff. zu Göttingen".] [S. 29-68 m.
1 Lichtdr.-Taf.) Berlin, Weidmann, 1911. M. 1.50.

Die griechifche Überfetzung der Samaritaner (SG)
war bisher nur aus Zitaten der Kirchenväter, bef. aus der
Hexapla des Origenes {SafiaQsirixov), bekannt. Jetzt hat
der unerfchöpfliche Boden Egyptens ein paar, wenn auch
nur kleine, Fragmente dieser Ueberfetzung selbft zutage
gefördert. Von den Gießener Fragmenten war bereits
in einer kurzen Notiz in No. 20 des Jahrgangs 1910 diefer
Zeitschrift die Rede. Ihr fpezififch famaritanifcher Cha-