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Ausgabe:

1912 Nr. 11

Spalte:

324-325

Autor/Hrsg.:

Anz, Heinr.

Titel/Untertitel:

Literaturgeschichte des Alten Testaments im Abriß 1912

Rezensent:

Budde, Karl

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 11.

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dem Titel Lieh-tsze, .Meifter Lieh', gehende Original
weit entfernt, die Weltanfchauung eines alten chinefifchen
Denkers zu bieten, in feinen acht Büchern fehr verfchieden
gerichtete Vertreter der Tao-Lehre (neben folchen aber
auch vielfach Konfuzius) zu Worte kommen läßt. Das
ganze Buch VII vor allem, diefes ,Evangelium des Welt-
menfchen', das einen an das neuerlich erfchienene Buch
,Der Genußmenfch' von Willem van Wulfen, der fich uns
Heutigen als ein .Cicerone in rückfichtslofem Lebensgenuß'
anbietet, gemahnt, hat mit dem Philofophen Licius nichts
zu tun. Hier wie auch zum großen Teil in Buch VI und
vereinzelt in anderen Abfchnitten des Werkes liegen uns
Aufzeichnungen aus der Schule des von Mencius als Erz-
ketzer gebrandmarkten Yang Dschu vor, der innerhalb
des Taoismus in dem äußerften Gegenfatze zu Licius
fteht. Im Journal of the Peking Oriental Society vol. III
hat A. Forke eine Abhandlung ,Yang-chu the Epicurean
in his relation to Lieh-tse the Pantheist' veröffentlicht.
Diefen Auffatz finde ich bei Wilhelm nicht erwähnt. Wohl
aber läßt er felbft fich p. XXIII—XXIX in kundiger Weife
über das Verhältnis der beiden Taoiften aus, deren fo
divergierende Lehren friedlich vereint in dem .Wahren
Buch vom quellenden Urgrund' enthalten find. Sonft fei
aus der knappen, fehr dankenswerten Einleitung hervorgehoben
die von Wilhelm erftmalig nach einem hand-
fchriftlichen Exemplare gefertigte Uberfetzung einer in
taoiftifchen Kreifen überlieferten fehr alten Spruchfammlung
Yin-fu-ging (.Buch von der verborgenen Siegelhälfte'), in
der er eine der philofophifchen Quellen des Lieh-tsze-
Textes erblicken zu dürfen meint.

Was die Verdeutfchung diefes Textes anlangt, wird
ohne weiteres zugeftanden werden müffen, daß fie den
Sinn des Originals durchweg deutlicher herausftellt. und
an fehr vielen Stellen richtiger wiedergibt als die Uberfetzung
Fabers. Wie es nur natürlich ift, daß einem erften
Verfuche — das war die Faberfche Verdeutfchung —
noch mancherlei Mängel anhafteten, fo ift es fchließlich
auch felbftverftändlich, daß die Sinologie heute, drei oder
vier Jahrzehnte fpäter, .einen Schritt weiter ift'. Daß
Fabers Werk auch weiterhin von Wert bleibt, wird von
Wilhelm felbft im Vorwort hervorgehoben. Vor allem hat
es der jüngere Bearbeiter offenbar gefliffentlich nicht
darauf abgefehen, durch feinen eigenen Kommentar (S.
113—154) die erläuternden Anmerkungen feines Vorgängers
inskünftig überflüffig zu machen.

Verwirrer. Dabei ift es ihm denn auch untergelaufen, daß
er die Gefchichte der letzten Jahrzehnte, die wir doch
genau genug kennen, etwas verfärbt hat: fo ganz ,von
felbft' hat fich z. B. die Metrik doch in der Schule nicht
gemacht, fondern ihr ift früher von vielen recht lebhafter
Widerftand entgegengefetzt worden; und daß die orien-
talifchen Entdeckungen, fobald fie überhaupt vorlagen, von
der altteftamentlichen Forfchung nur mit Freuden begrüßt
und verwertet worden feien, fcheint uns auch nicht ganz
hiftorifch zu fein. ,Vor Tifche las mans anders' z. B.
bei B. Stade, Bibl. Theol. I S. 41. Kommt die Well-
haufenfche Schule in diefem Dithyrambus zu gut we°-,
fo werden anderfeits die Gegner oder halben Anhänger
fo gefchildert, daß fie fich felbft davon kaum getroffen
fühlen werden. Dies kann der Rezenfent z. B. von den ihm
gewidmeten Worten verfichern, auf die einzugehen hier
nicht der Ort ift. Auch fcheint mir der Verfaffer hie
und da zu überfehen, daß Behauptungen nicht dadurch
ficherer werden, daß fie ftändig wiederholt werden. Und
follten nicht die Vertreter der Wellhaufenfchen Schule
endlich einmal zur wirklichen Verteidigung der von uns
angegriffenen Pofitionen übergehen? So fehr ich alfo
auch den Stolz der Schule auf das von ihr wirklich Ge-
leiftete verftehe, fo meine ich doch, diefe Rede wird die
vorhandenen Gegenfätze nicht überwinden.

Gießen. Hermann Gunkel.

Anz, Prof. Dr. Heinr.: Literaturgefchichte des Alten Tefta-
ments im Abriß. Progr.(88S.) 8 °. Berlin, Weidmann 1911.

M. 1.60

Das kleine Buch, das gleichzeitig als wiffenfchaftliche
Beilage zum Jahresbericht des Kaiferin-Augufta-Gymna-
siums in Charlottenburg erfchien, ift mit befonderem
Gefchick und Glück beftrebt, das Alte Teftament in den
großen weit-, kultur- und religionsgefchichtlichen Entwicklungsgang
einzuftellen und aus ihm zu begreifen. In
frifcher und anziehender Sprache fchreitet der Verfaffer
von den älteften Zeiten fort bis zur Schwelle des Neuen
Teftaments und bereitet überall umfichtig den Boden vor
für die weiter folgenden Erfcheinungen. Gewiffenhaft hat
er benutzt, was bisher auf dem Gebiete gearbeitet war,
aber auch überall felbftändig Stellung dazu genommen.
Nur feiten begegnet man einem Verfuch, zwifchen unüberbrückbaren
Gegenfätzen zu vermitteln. Durchweg
Coburg Hans Haas. | spannend, für jeden Gebildeten verftändlich gefchrieben,

' kann das Büchlein weiten Kreifen angelegentlich empfohlen
werden.

Nur für den Verfaffer felbft, in der Vorausficht weiterer
Auflagen, vermerke ich einige Anftöße und Bedenken,
denen ich begegnet bin. Ob Ifrael famt Kanaan fich im
2. Jahrtaufend v. Chr. im Unterfchied von Kanaan die
phönizifche Schrift .gewahrt' hat (S. 4), wiffen wir noch
nicht. Auf der Merneptah-Stele werden ifraelitifche
Einzelftämme in Kanaan vorausgefetzt? (S. 11). Ob
wirklich fchon Mofe Ifrael das Bundesbuch gefchenkt
hat (S. 12), fcheint mir fehr zweifelhaft, unhaltbar, daß
die Lade bald Behälter, bald leerer Thron gewefen fei
(S. 13). Zum .Buch des Wackern' und ,der Kriege Jahwes'
(S. 17) wären die Stellen anzuführen. Darf Verfaffer S. 18

1) Den Titel Tschung-hü-dschen-ging, ,das wahre Buch vom quellenden
Urgrund' oder, wie Faber überfetzt, ,Wahre Norm der tiefen Leere',
gab dem Werke erft ein chinefifcher Kaifer des achten Jahrh. n. Chr.

Marti, Karl: Stand u. Aufgabe der altteftamentlichen Wiffen-
fchaft in der Gegenwart. Rede. (27 S.) gr. 8°. Bern, M.
Drechfel 1911. M. —60

Wer über die altteftamentl. Wiffenfchaft der Gegenwart
handelt, der follte, fo denkt der Rezenfent, es vor
allem verfuchen, die verfchiedenen Beftrebungen, die
gegenwärtig in diefer Disziplin mit einander ringen, mit
Gerechtigkeit zu fchildern; er müßte darftellen, wie fie
alle ihr relatives Recht haben, aber fie zugleich unter

einem höheren Gefichtspunkt vereinigen; er müßte zu I wirklich von Monotheismus reden? Die geringe Meinung

erklären wiffen, wie auf die Zeit eines relativen Abfchluffes von Salomo als Herrfcher (S. 21) fcheint mir unberech-
der Wiffenfchaft, der noch etwa vor einem Jahrzehnt ge- 1 tigt. Auf Seite 22 fchätzt Verf. m. E. die Bedeutung der
leiltet zu fein fchien, jetzt eine Epoche neuen Suchens, ja 1 fogenannten Prophetien in der altägyptifchen Literatur

der Gärung eingetreten ift und notwendig eintreten mußte.
Anders ift der verehrte und, wie wir alle wiffen, um
unfere Wiffenfchaft in hohem Grade verdiente Verfaffer vorgegangen
. Mit jugendlichem Ungeftüm vertritt er die
eine Seite, nämlich die alt-Wellhaufenfche Schule; ihr
fingt er das Loblied in vollen Tönen, und die Neueren,
die nicht ohne weiteres ihr folgen und die er unter dem
übrigens recht wenig zutreffenden Namen .Panbabylonis-

immer noch zu hoch ein. Soll einmal ein Pfalm von David
ftammen, fo ift Pf. 3 f. gewiß richtig gegriffen, Pf. 18 aber
gründlich verfehlt (S. 23). Daß Ifraels Prophetie aus dem
ßaaldienft flamme (S. 27), dürfte man heute aufgegeben
haben. Jef. 11,1 ff. fürjefaja zu verwerten (S. 37) fcheint
mir bedenklich. Auf die Propheten ift der Raum merkwürdig
ungleich verteilt; Jeremia ift vor allen andern unverhältnismäßig
bevorzugt, faft als ob hier ein ganzer

ten' zufammenfaßt, erfcheinen hier als die Störer und I Vortrag verwertet wäre. Nahum und Zephanja find nur