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Ausgabe:

1912 Nr. 9

Spalte:

259-261

Autor/Hrsg.:

Kennett, Early Ideals of Righteousness

Titel/Untertitel:

Hebrew, Greek and Roman 1912

Rezensent:

Gressmann, Hugo

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 9.

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reiche, gefchmackvolle und durch gute Proben illuftrierte
Abhandlung ,Die islamifche Malerei' trug Ph. W. Schulz
bei (S. 12—19 und 78—82). Die Völkerkunde vertreten
Grothe mit einem reich illuftrierten ,Die Bevölkerungselemente
Perfiens' S. 18—27 und Heinrich Winkler
(Breslau) mit ,Die mongoloiden Völker Europas und die
Basken' S. 119—30 und 171—80. Zu den Notizen Grothes
über die Neftorianer ift jetzt zu verweifen auf das reiche
Material bei Richter (Julius), Million und Evange-
lifation im Orient. Winkler verliert fich für den
Namen der Türken in unhaltbare Kombinationen (türk
aus tjürk, das mit jurak zufammenhängen foll, und jurak
zu der großen gur-Gruppe gehörend). Ethifche und
religiöfe Vorftellungen beherrfchen das Gebiet der JShren-
pforten in China', die der Miffionar P. A. Volpert (Jen
tschou fu) in einer gelehrten Abhandlung mit reichem
Bildermaterial behandelt. Religionsgefchichtliches Intereffe
hat die Notiz ,Der Brahmanifche Opferpfoften von Isäpur'
von Vogel (Simla) S. 86f. Unter den Beiträgen über
Oftafien ragen hervor die beiden Auffätze Münfterber
gs, der mit Vorliebe die von dem Durchfchnitts-
forfcher gemiedenen dornigen Grenzgebiete beftreicht:
.Leonardo da Vinci und die chinefifche Landfchaftsmalerei'
S. 92—100 und ,Die Darfteilung von Europäern in der
japanifchen Kunft' S. 196—214. Herausgeber und Verleger
haben ihr Beftes getan, um in felbftgewollter Be-
fchränkung auf dem Gebiete der Kultur- und Kunftge-
fchichte fördernde Arbeiten herauszubringen. Nun ift es
an denen, die für diefe Gebiete Intereffe haben, und fie
find ja zur Zeit zahlreich, das Fortbeftehen des Unternehmens
durch materielle Unterftützung zu fichern.

Hermsdorf b. Berlin. Martin Hartmann.

Kennett, Prof. R. H., B.D., Mrs. Adam, M. A., and Prof.
H. M. Gwatkin, D.D.: Early Ideals of Righteousness,

Hebrew, Greek and Roman. (V, 85 S.) 8°. Edinburgh,
T. & T. Clark 1910. s. 3 —

Kennett gibt eine intereffante Darfteilung der ,he-
bräifchen Begriffe von Gerechtigkeit und Sünde'; indem
er zur Erläuterung vielfach modern-englifche Parallelen
oder gut gewählte Beifpiele heranzieht, weiß er fich auch
dem Laien verftändlich zu machen. Bei der Idee der
.Sünde' kommt es nicht, wie bei uns, auf die Motive,
fondern nur auf die Umftände an (Gen. 20,9; I Sam.
14,36fr.); denn fie wird nicht moralifch (I Kön. 1,21),
fondern juriftifch gefaßt. Ein .Sünder' ift, wer durch die
Umftände im Verdacht fleht, fchuldig zu fein; fo befon-
ders deutlich Dtn. 21,1 ff. Ungebahnte ,Sünde' muß fo
notwendig Unglück bringen, wie nicht-desinfiziertes Waffer
Seuchen; die Strafe beruht alfo nicht auf Zorn oder Laune,
fie ift vielmehr unvermeidlich mit dem Wefen der göttlichen
Heiligkeit gegeben. Alles Heilige ift mit der
.Sünde' unverträglich, mag diefe moralifcher oder kultifcher
Art fein. Schuld oder Unfchuld in unferem Sinne fpielt
keine Rolle; wer Unglück hat, muß auch fchuldig fein.
Leiden und Strafe find nach der Anfchauung der alten
Israeliten identifch. Da es den Begriff des Naturgefetzes
nicht gibt und da Familie oder Volk eine innere Einheit
bilden, fo wird die Gemeinfchaft mit beftraft oder belohnt,
wenn der Einzelne .fündigt' oder .rechthandelt'. Erft mit
dem Erftarken des Individualismus (feit dem 7. Jhrh.)
wandeln fich die Anfchauungen. Jahve kann an der Sünde
vorbeigehen, kann feine Augen abwenden oder die Sünde
bedecken, aber wenn er fie fleht, muß er fie entweder
beftrafen oder fortfchaffen. Der Vergebung ift man nur
ficher, wenn die Strafe ausbleibt; .Sündenvergebung' ift
alfo ungefähr gleichbedeutend mit .Gnadenerlaß', .Amnestie
'. Mit Gefühlen hat die Sündenvergebung nichts zu
tun. Das Ideal der .Gerechtigkeit' ift (Dtn. 24,13; Pf.
24,5 u. a.) ,für unfchuldig erklärt zu werden'.

Mrs. Adam zeichnet ,die griechifchen Ideale der
Gerechtigkeit', indem fie den Gedanken der Gottähnlichkeit
des Menfchen in den Mittelpunkt ftellt. In der älteren
Zeit (bei Homer, Hefiod, Theognis) ift das Ideal mehr
negativ als pofitiv: es gilt alles zu vermeiden, was den
Zorn der Götter erregen könnte. Sophokles fpricht zuerft
die Forderung aus, die Schwachen und Irrenden zu lieben.
Von den Orphikern flammt die für Plato und die Folgezeit
wichtige Anfchauung, daß die Heimat der Seele im
Himmel fei. Die gewöhnliche griechifche Ethik lautet:
,Liebet eure Freunde und haffet eure Feinde!' Solange
die Götter felbft rachfüchtig aufgefaßt wurden, mußten
auch die Menfchen das Gefetz der Vergeltung üben; nur
Pittakus von Mytilene macht eine rühmliche Ausnahme.
Aber erft bei Sokrates, Plato und Ariftoteles ift diefer
Standpunkt prinzipiell überwunden. Die ganze Entwicklung
gipfelt in der Infpiration Piatos, der die abfolute
Güte der Gottheit als das Vorbild der Menfchen hinftellt.
In der nachariftotelifchen Zeit und bei den Stoikern finkt
das Streben nach der Gottähnlichkeit wieder von feiner
Höhe herab; die Hauptforderung wird, vom äußeren
Kampf abgezogen in Harmonie mit fich felbft zu leben.
Stets aber haben die Griechen gefacht, das Göttliche im
Univerfum wie im Menfchen zu finden. Als fich im Fort-
fchritt der Philofophie die Kluft zwifchen Geift und Fleifch
auftat, haben fie doch bis zu den Neuplatonikern hin an
der Anfchauung feilgehalten, daß eine richtige Erziehung
und ein rechtes Leben nach dem Naturgefetz einen recht-
fchaffenen Charakter hervorbringen würden.

Gwatkin behandelt ,die römifchen Ideale der Gerechtigkeit
'. Für den römifchen Bürger aller Zeiten war
die Hauptpflicht der Gehorsam gegen die Autorität des
Staates. Die Religion, die nur darin beftand, den richtigen
Gott und die richtige Gebetsformel zu finden, und
die mit der Moral nichts zu tun hatte, war zugleich Sache
des Staates. Daran änderte das Eindringen der griechifchen
Religion nichts; größeren Einfluß hatte die griechifche
Philofophie derStoa, deren ,rohe', weil auf Willensfreiheit
beruhende Ethik maßgebend ward. Die Myfterien-
religionen brachten das Ideal der Reinheit, der Askefe und
des Prieftertums. Diefe Dinge ftrömten dann auch in das
römifche Chriftentum und entftellten feinen urfprünglichen
Sinn. Als das Chriftentum zur Staatsreligion erhoben
wurde, ward es vollends in die Form des römifchen
Heidentums gegoffen: Staat und Religion fielen zufammen,
und das religiöfe Ideal war zugleich das ftaatsbürgerliche. —

Der Titel des Buches ift irreführend: Bei ,Early
Ideals' denkt man an die Frühzeit der betreffenden Völker.
Dazu ftimmt K., der fich hauptfächlich auf die vorpro-
phetifchen Anfchauungen befchränkt und die fpäteren
Wandlungen nur kurz andeutet. A. dagegen fleckt die
Grenze hinter den Stoikern ab, obwohl diefe nur flüchtig
geftreift werden. Noch weiter fpannt G. feinen Horizont,
indem er, freilich nur in großen Zügen, bis zur Gegenwart
herabfchaut. Wichtiger aber ift eine andere Differenz: K.
handelt von .Sünde und Gerechtigkeit'; der Hauptbegriff,
den er verfolgt, ift die Sünde (infofern ift auch der Untertitel
: .Hebrew Conceptions of Righteousness and Sin' irreführend
, da ,Sin' voranftehen müßte). Die anderen beiden
Autoren fprechen von ,Sünde' überhaupt nicht oder nur
ganz nebenbei. A. ftellt das ,Ideal der Gottähnlichkeit'
in den Mittelpunkt, G. fkizziert das ,Ideal der ftaatsbür-
gerlichen Religion'. Man hat durchaus den Eindruck, als
könnte bei ihnen das Wort ,Righteousness' fehlen und
als hätten fie den Nachdruck auf ,Ideals' oder genauer
auf ,die religiöfen Hauptideale' der Griechen und Römer
gelegt. Jedenfalls hängt der erfte Auffatz mit den beiden
folgenden nur lofe zufammen, fodaß ihre Zufammenfaffung
kaum berechtigt ift. Auch in der Art der Darfteilung
wirken die drei Vorträge unharmonifch; der erfte faltet
feine Ideen fyftematifch auseinander, fodaß fie in allen
ihren Beziehungen und in ihrer Eigenart deutlich heraustreten
, der zweite flattert von Blume zu Blume, gibt viele
Zitate aus den griechifchen Schriftftellern und arbeitet
trotz der gefchichtlichen Reihenfolge kein klares Bild