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Ausgabe:

1912

Spalte:

252

Autor/Hrsg.:

Bauer, H.

Titel/Untertitel:

Psychologie der Jugendlichen 1912

Rezensent:

Schuster, Hermann

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 8.

252

wortet Matthes in der zweiten oben genannten Schrift
die Frage: ,ift eine Neubelebung unferer evangelifchen
Kirche möglich f' mit einem energifchen Ja' und die Frage
.warum ift gerade jetzt Gemeindearbeit nötig?1 damit, daß
unfere Zeit nichts notwendiger braucht, als daß ihr der
Glaube an das Ideal durch tatkräftige organifierte Arbeit
für das Ideal geweckt und geftärkt wird. Die Schrift ift
der zweiten Tagung der Konferenz für evangelifche Gemeindearbeit
gewidmet und wohl geeignet, für diefe Arbeit
zu begeiftern.

Die genannte Konferenz hat die Verhandlungen
ihrer erften und zweiten Tagung in Braunfchweig und in
Darmftadt gedruckt herausgegeben und dadurch weiteren
Kreifen einen Einblick in das von ihr Erftrebte und Ge-
leiftete ermöglicht. Die Vorträge von Schian: .Gemeindereform
die Vorausfetzung aller Kirchenreform' in Braunfchweig
, von Rendtorff: .Volkskirche, Kirchengemeinde,
Gemeinfchaft', von Smend: ,Unfer Gottesdienft als Gemeindefeier
', von Niebergall: .Schwierigkeiten und Möglichkeiten
der Gemeindearbeit' in Darmftadt find im Wortlaut
abgedruckt und reich an anregenden und beachtenswerten
Gedanken. Ein genaueres Eingehen auf ihren Inhalt
ift an diefer Stelle unmöglich.

Ziemlich gleichzeitig mit der Braunfchweiger Tagung
der Konferenz für Gemeindearbeit behandelte auf dem
kirchlich-fozialen Kongreß zu Hannover Mahling das
Thema: Die foziale Bedeutung der chriftlichen Gemeinde
und die daraus fich ergebenden Folgerungen für ihre
Arbeit. Im Unterfchied von Matthes, der die vorhandene
Gemeinde mit den Augen des Glaubens betrachtet
, differenziert Mahling fcharf zwifchen der
ideellen neuteftamentlichen Gemeinde und der empirifchen
parochial abgegrenzten Gemeinde, deren Ziel die Umbildung
in die ideelle Gemeinde fein foll. Die Rechts-
organifation der impirifchen Gemeinde ift die Dienerin für
den Lebensorganismus der ideellen Gemeinde, welch
letztere losgelöft von der empirifchen Gemeinde als Gemeinfchaft
unfaßbar fein würde. Was von der fozialen
Bedeutung der chriftlichen Gemeinde zu fagen ift, gilt in
erfter Linie von der ideellen Gemeinde und erft um ihretwillen
im weiteren Sinn auch von der empirifchen Lokalgemeinde
. Die foziale Bedeutung der Gemeinde liegt nun:
a) in der gemeinfamen religiöfen Heilserfahrung; b) in der
die irdifchen Unterfcheidungen und Unterfchiede überbrückenden
Bruderliebe; c) die Gemeinde ift der Hort des
Volksfriedens und des Völkerfriedens; d) die fittlichen
Prinzipien, die Jefus der Gemeinde mitgeteilt hat, find die
höchften und unentbehrlichften Maßftäbe für die kulturelle
Weiterentwicklung der Menfchheit. — In dem, was der
Gemeinde an Arbeit zugemutet wird, berührt fich Mahling
felbftverftändlich in vielem mit Matthes; die oben angedeutete
Verfchiedenheit des grundfätzlichen Ausgangspunktes
ift aber auch praktifch bedeutfam. Es kommt
Mahling vor allem darauf an, einzelne unter die zentrale
religiöfe Heilserfahrung zu ftellen; erft von da aus will er
fie als Salz unter den Leuten wirken laffen, obgleich er
auch die für den Arbeitenden felbft innerlich fördernde
Wirkung der Arbeit nicht verkennt. Matthes traut der
Gemeinfchaft als folcher und ihrer gemeinfamen Arbeit
mehr unmittelbar .anfteckende' Kraft zu. Der Vorzug
des Mahling'fchen Vortrags ift, daß auf die Frage, was
die .Gemeinde' ihrem Wefen nach ift, befonders eingegangen
wird, während Matthes die Gemeinde, wie fie
da ift, zur Arbeit im Dienft des Evangeliums aufruft.
Sucht man auch diefen letzteren Standpunkt auf die ihm
zugrunde liegenden Prinzipien zurückzuführen, fo kommt
man auf die Faffung: für Matthes fteht die Gemeinde ihrer
Idee nach im Dienft des fie beherrfchenden Ideals, für
Mahling ift die Gemeinde der wahren Chriften diejenige,
die die Frucht ihrer Heilserfahrung auf andere wirken läßt.
So wenig Mahling eine äußerliche Unterfcheidung und
Scheidung der ideellen und der empirifchen Gemeinde
haben will: die Gedankenbildung tendiert gar zu leicht auf

eine folche Scheidung, die dann die empirifche Gemeinde
zum Miffionsgebiet der Glieder der ideellen Gemeinde
macht.

Friedberg i. H. K. Eger.

Referate.

Karge, Prien. Dr. Paul: Die Refultate der neueren Ausgrabungen
u. Forlchungen in Paläitina. i.u. 2. Aufl. (Biblifche Zeitfragen.
3. Folge, Heft 8/9.) (93 S.) 8». Münlter i. W., Afchendorff
1910. M. 1 —

Die Einleitung handelt von der Weltftellung Paläftinas und
Syriens, Kap. I von der Gefchichte der neueren Paläftinaforfchung,
Kap. II von den kulturgefchichtlichen und Kap. III von den reli-
gionsgefchichtlichen Ergebniffen. Die Darllellung erhebt nicht
den Anfpruch, etwas Neues zu bringen, aber fie ift gefällig, bietet
eine wohlgelungene Überlicht und darf daher dem Laien empfohlen
werden. Der Vf. urteilt vorfichtig, auch über die vielen
fogenannten Heiligtümer, die man gefunden haben will, beherrfcht
die Literatur und kennt Paläftina aus eigener Anfchauung. Merkwürdig
ift die Theorie, die femitifchen Stämme feien vermutlich
aus der Gegend des perfifchen Golfes gekommen und über
Mefopotamien nach Syrien gedrungen (S. 27); die Lefung der
.Kalenderinfchrift', die in Gezer entdeckt wurde, entfpricht nicht
mehr dem neueften Stand der Forfchung (S. 52); daß manche
der kleinen Idole .einfache Puppen' gewefen fein mögen (S. 86),
ift doch wohl gar zu modern-europäifch gedacht.
Berlin-Weitend. Hugo Greßmann.

Steinmann, Prof. Dr. Alphons: Paulus u. die Sklaven zu Korinth.

1. Kor. 7, 21 aufs neue unterfucht. (IV, 78 S.) 8Ü. Braunsberg,
Opr., H. Grimme 1911. M. 1.50

In Ergänzung feiner Arbeit über .Sklavenlos und alte Kirche'
(vgl. ThLZ. 1910, Sp. S. 814 und 1911 Sp. 310) bietet der Verf. hier
noch eine Spezialunterfuchung über 1. Kor. 7, 21. Er gibt eine Ge-
lchichte der Auslegung von Origenes bis zur Gegenwart und eine
exegetilche Erörterung über die Stelle felbft. Sein Refultat ift,
daß weder fprachliche noch fachliche Gründe einer Auffaflung
von 1. Kor. 7, 21 in dem Sinne ,doch wenn du gar follteft frei
werden können, dann um fo beffer, brauche deine Freiheit als ein
rechter Diener Chrifti' entgegenftehen. Einen pofitiven Beweis
will er aber der exegetifchen Betrachtung allein nicht entnehmen.
Diefen findet er erft durch den Vergleich der Stelle mit andern
paulinifchen Auffaflüngen, mit dem ganzen Geift, in dem der
Apoftel fonft folche Fragen entfcheidet. Ich ftimme ihm durchaus
zu, möchte aber insbefondere noch den Gedanken unter-
ftreichen, daß ein Ratfchlag, durch felbftgewählte Entfagung der
Freiheit lieber im Sklavenftand fein Chriftentum zu beweifen,
mir in direktem Widerfpruch zu dem gerade in fittlichen
Fragen fo gefunden und nüchternen Urteil des Apoftels zu
flehen fcheint. Ich empfehle die Steinmannfchen Ausführungen
jedem zur Beachtung, der anderer Meinung ift.
Wittenburg in Weftpr. Ed. von der Goltz.

Bauer, Dir. H.; Plychologie der Jugendlichen. (Aus der Arbeit für

die Arbeit. XII. Bdchn.) (63 S.) kl. 8". Berlin, Buchh. d.

oftdeut. Jünglingsbundes 1911. M. —60

Der Unitätsdirektor Bauer ift als ein wirklich verftändnis-
voller Freund der Jugend bekannt. Auch das vorliegende Schriftchen
beftätigt diefen Eindruck. Mit reicher Kenntnis und vor-
urteilslofem Standpunkt verbindet es nüchternen, doch hoffnungsvollen
Wirklichkeitsfinn und echte, geduldige, tapfere Liebe zur
Jugend. Vor allem: Es fehlt jede Phrafe, religiöfe wie wiffen-
fchaftliche. Für eine 2. Auflage erbitten wir eine klare Dispo-
fition und eine Inhaltsangabe. Das wird manche unnötige Wiederholungen
(dasfelbe Gleichnis S. 16 und 52) vermeiden helfen
und Freude wie Gewinn der Lefer vermehren.
Hanno.er.____ Schufter.

Mitteilungen.

11. Über den Abfchluß des jüdifchen Kanons. In
einer Sammlung von Effays, die zur Feier des 70. Geburtstags
von Ch. A. Briggs erfchienen find (Effays in modern theology and
related subjects, New York, Charles Scribeners Sons, 1911), verdient
befondere Aufmerkfamkeit eine Abhandlung von George F.
Moore, betitelt: The definition ofthejewish canon and the repu-
diation of Christian scriptures (S. 99—125). Moore ift der Meinung,
daß die Feftftellung des Hagiographenkanons, die im Allgemeinen
ohne Zweifel zur Abwehr der Sektirerei erfolgt ift, fich fpezieil
' gegen die Judenchriften richtete. Aus der Tofephtha weift er mit