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Ausgabe:

1912

Spalte:

245-249

Autor/Hrsg.:

Troeltsch, Ernst

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der Geschichtlichkeit Jesu für den Glauben 1912

Rezensent:

Herrmann, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 8.

246

liegt. Das Gleiche gilt von der Stellungnahme zum Iflam,
diefer vielleicht größten Gefahr unfrer anderen deutfchen
Kolonien. Mit Genugtuung kann Mirbt hier feftftellen, daß
das Verftändnis der Kolonialregierung für die Größe diefer
Gefahr und für die Hilfe, welche die Miffion in ihrer
Bekämpfung leiftet, wächft.

Überhaupt tritt das in dem letzten Kapitel des Buches
mit erfreulicher Deutlichkeit hervor, wie fich Kolonialpolitik
und Miffion einander nähern, nicht nur von Seiten
einer kulturelle Werte fchaffenden Miffion, fondern auch
von Seiten der Kolonialpolitik. Wenn wir z. B. die Behandlung
der Eingebornen einft und jetzt vergleichen,
fo flehen wir vor einem ,Sieg idealer, humaner und chrift-
Hcher Lebensanfchauungen, durch den das gefamte Kolo-
nialwefen auf eine höhere Bafis gehoben worden ift'. Wohl
fleht das Deutfche Reich, wie alle Kolonialftaaten, es nicht
als feinen Beruf an, für die Ausbreitung des Chriftentums
in feinen Kolonien zu forgen; aber die Kolonialregierung
tut doch vieles, was der Miffion direkt oder indirekt zur
Förderung dient. Es weift eben alles darauf hin — das
ift der Leitgedanke des Mirbtfchen Buches —: ,Miffion

gegenwärtig von dem allmächtigen Gott gefchaffenes wiffen
möchte, braucht nicht mehr geforgt zu werden. Denn ein
folches Verlangen ift den Kirchenjuriften überhaupt nicht
verftändlich, und wo es in der Gemeinde fich regt, ift es fo
wenig gefellfchaftsfähig, daß es bis zu den leitenden Stellen
nicht empordringt. So kann man fich denn damit begnügen,
daß man zwar nicht mehr die Bibel, wohl aber einen Teil
der in ihr enthaltenen Überlieferung zu dem Gefetz macht,
das befolgt werden muß, damit Glaube oder Religion
entftehe.

Durch feine hiftorifche Bildung ift Tr. von diefer
Theologie gefchieden. Daß die Beweife der Gefchichts-
forfcher uns das nicht geben, was die innere Umwandlung,
die wir Religion nennen, in uns bewirken könnte, fleht
ihm, wie allen feft, die die Wiffenfchaft für eine ernfte
Sache nehmen und fich um ein Verftändnis ihrer Methochund
ihrer Grenzen bemüht haben. Damit verbindet er
nun aber eine Haltung, die ihn wieder mit feinen modern
pofitiven Gegnern zufammenbringt. Mit der Erkenntnis,
daß die Religion ein Erleben fei, weiß er ebenfowenig
etwas anzufangen wie fie. Er meint freilich, wenn das

und Kolonialpolitik gehören zufammen, und wir haben j Leben der Religion nicht aus wiffenfchaftlicher Arbeit
Grund zu der Hoffnung, daß aus diefem Bunde gutes für | erwachfe, und ebenfowenig aus dem Entfchluß, etwas
unfere Kolonien erwachfen wird'. i hiftorifch feftflellbares als abfolut ficher anzufehen, fo fei

Wir haben Grund zu der Hoffnung, daß auch das
vortreffliche Buch Mirbts, das ich nur feiner Tendenz nach
charakterifieren, von deffen reichem Inhalt ich aber nur
einen fchwachen Eindruck geben konnte, dazu mithelfen
werde.

Frankfurt a. M. Lueken.

Troeltlch, D. Dr. Ernft: Die Bedeutung der Gefchichtlichkeit
Jehl für den Glauben. (Vortrag.) (51 S.) 8°. Tübingen,

J. C. B. Mohr 1911. M. 1— Gehalt fei eine Idee oder ein Prinzip. Hier ift Vorallem

damit entfchieden, daß für ihre Begründung nur Empfindung
und Gefühl, alfo ein gegenwärtiges inneres Erleben in
Betracht komme. Aber er fieht nun die fo verftandene
Religion aus allem Zufammenhang mit der Gefchichte
herausgenommen. Als ein Erleben follte dagegen die
Religion gerade der Gefchichte angehören und aus ge-
fchichtlicher Wirklichkeit ihr Leben gewinnen. Tr. nennt
die Religion, die die heimliche Religion des modernen
gebildeten Menfchen geworden fei, eine praktifche Erkenntnis
des wahren innerften Willenswefens Gottes. Ihr

Diefe Schrift zeigt uns, wohin wir durch die lange
Vernachläffigung drängender Fragen in der herrfchenden
Theologie endlich gekommen find. Der Verfaffer hat im
wefentlichen diefelbe Denkweife, wie diefe Theologie, die
er bekämpft. Das Leben der Religion führt er ebenfo,
wie ,modern pofitive1, Theologen auf die Herrfchaft von
Gedanken zurück. Darin folgt er ebenfo wie Th. Kaftan
und Ihmels der orthodoxen Überlieferung, mit der fie
fonft in vielem brechen. Troeltfch zieht aber rückhalt-
lofer die Folgerungen aus dem, was fie denken, und macht
uns dadurch die Gefahr unferer Lage noch deutlicher,
jene Theologen fagen fich von der Orthodoxie mit der
Erklärung los, daß ihnen nicht mehr die heilige Schrift
im ganzen das Gefetz für den Glauben und zugleich Grund
des Glaubens fei. Sie geben zu, daß das im Zeitalter der
Orthodoxie unter dem Einfluß eines jüdifch gefetzlichen
Begriffs von Offenbarung gefchehen fei. Das lehnen fie
ab, laffen es aber zu, daß fich diefe jüdifche Gefetzlich-
keit in Pfarramt, in der Gemeinde und in der Staatsverwaltung
auf fie beruft. Ihre pofitive Auffaffung ift in
folgendem ausgefprochen: ,Als die dem evangelifch ver-
ftandenen Glauben entfprechende Offenbarung kann vielmehr
nur eine gnädige Selbfterfchließung Gottes gelten.
Diefe Offenbarung Gottes ift zu beftimmen als Gefchichte
und zwar als diejenige Gefchichte, die in Jefus Chriftus,
in feinem Leben, Sterben und Auferftehen ihren Höhepunkt
hat' (fo Kunze in der A. E. L. K. 1910 S. 127). Wer
darin die Offenbarung findet, die den chriftlichen Glauben
begründe und unüberbietbar fei, nennt fich pofitiv... Bei
diefer Auffaffung wird eine als ficher angenommene Uberlieferung
zum Grund des Glaubens gemacht. Die Frage
der alten Orthodoxie vernimmt man nicht mehr, wie
nämlich diefe Gefchichte ficher fein könne, wenn die heilige
Schrift in ganzen nicht das unfehlbare Gotteswort wäre.

der unfichere Gebrauch des terminus ,praktifche Erkenntnis
' zu beanftanden. Unter einer folchen würde man doch
die Erkenntnis eines Gewollten, alfo einer Aufgabe verliehen
müffen. Das ift aber offenbar feine Meinung nicht,
denn die Religion ift ihm ja vielmehr die Erkenntnis einer
objektiven Wirklichkeit, vor die fich der Menfch gefleht
fehe, nämlich des wahren innerften Willenswefens Gottes.
Vor allem aber zeigt fich, daß auch der Ausdruck Erlebnis
nicht ernft gemeint fein kann. Diefe Unficherheit tritt
darin hervor, daß er als Gehalt der Religion eine Idee
oder ein Prinzip anfleht. Denn das Erlebnis ift mit dem,
was in der Zeit gefchieht, verflochten. Die Idee dagegen
hat ihr ewiges Recht als der Ausdruck eines Denkens,
das feine Einheitlichkeit durchfetzt, oder wahr ift. Ent-
fPiKAgt d'e R" wirkIich aus einem Erlebnis, fo wird fie
felbft auch nur in dem, was den Menfchen in folcher
Weife gefchenkt wird, ihren Gehalt fehen können. Fragt
man, ob denn nicht die Gottesidee den Gehalt der Religion
bilde, fo erwidert die Religion, für fie fei Gott die Wirklichkeit
, unter deren Berührung ein Menfch zu reiner
Hingabe komme, oder fromm werde. Die Religion ift
die wirklich erlebte Hingabe der ganzen Seele. Was
darin nicht enthalten ift, kann auch nur äußerlich mit der
RekS|?n verbunden fein. Das Erlebnis auf der einen Seite
und die Idee oder das Prinzip auf der andern Seite bezeichnen
zwei entgegengefetzte Auffaffungen der Religion,
nämlich das Behaupten oder das Aufgeben ihrer Eigenart
gegenüber dem fchöpferifchen Denken. Wer beides
zufammen vertreten will, gerät in ein verwirrendes Spiel
mit Worten, wie es in dem Terminus ,das Apriori der
Rehgion' zutage tritt, den Tr. verbreitet.

Nun hat aber Troeltfch trotz feinem Reden von einem
Erlebnis fich deutlich für den Urfprung der Religion in
einem allgemeingiltigen Gedanken entfchieden. Das be-

Man braucht das nicht mehr, weil in der Maffe des kirch- j weift die Art, wie er die Stellung feiner Religion zur Ge
liehen Proteftantismus das Verlangen nach Gewißheit des fchichte beftimmt. Wem feine Religion wirklich aus einem
Glaubens nicht mehr fo lebendig ift wie im 17. Jahrhundert, j Erlebnis quillt, wird mit dem jungen Schleiermacher fagen
Für die Bedürfniffe eines Glaubens, der fich felbft als etwas ,der religiöfe Menfch ift ganz und gar hiftorifch'. Er darf fich