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Ausgabe:

1912 Nr. 7

Spalte:

215-216

Autor/Hrsg.:

Robinson, H. Wheeler.

Titel/Untertitel:

The christian Doctrine of man 1912

Rezensent:

Beckwith, ...

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215 Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 7. 216

nun einen völlig neuen Sinn bekommen hat, noch beibe- j ragender Zug ift die große Aufmerkfamkeit, die der
halten wollen'. ! Pfychologie des alten und neuen Teftaments, der patri-

Jodl empfiehlt wefentlich die emotionale Ethik der
Engländer, die Ethik A. Comte's und Feuerbachs, Spencers
und Leslie Stephens, Carneris, Ratzenhofers und ,last
not least Wilhelm Wundts'. Ich vermag mich aber nicht
dem Eindruck zu entziehen, daß feine Kultur, die am Ende
auf der Natur, ,wie die Blüte auf dem feiten nährenden
S'amme ruhen foll', doch keinen unzweideutig geiftigen
Charakter annimmt, fo fehr er es befürwortet. Wenn er
mit dem Worte fchließt: ,Nur der verdient das Glück fich
und das Leben, der fie fich täglich neu erobern will', fo
fetzt er ftatt Freiheit Glück, und das ift doch nicht zufällig
. Er redet von Imperativen, aber er kann im Grunde
nicht über Ratfchläge hinauskommen. Er ftellt den Geilt
nicht felbftändig genug, um von einer geiftigen Kultur
reden zu können. Man hat von anderer Seite von einer
Kulturkomödie gefprochen. Jodl will die Kultur auf die
Ethik gründen, will auch Tätigkeit und nicht bloßen Genuß
. Aber bei ihm ift ein Schwanken zwifchen der Tendenz,
die Ethik auf die Naturtriebe aufzubauen, und der Tendenz,
fie imperativifch zu geftalten und ihre Vorfchriften an
eine verehrungswürdige Macht zu binden (33). Wenn nun
diefe Macht das geiltige Univerfum, die überindividuelle
Menfchheit fein foll, fo fragt fich: Woher kommt diefe
geiltige Menfchheit? Ift fie ein Produkt, die ,Blüte' der
Natur? Ift der Geilt aus der Natur abzuleiten oder ift
der Geilt von der Natur unterfchieden? Und wenn das
Letztere der Fall ift, bedarf es dann nicht einer höchften
Einheit, die Geilt und Natur zufammenhält, die über die
Natur, wie über den endlichen Geilt hinausgeht? Kann
man die geiftigen Güter der Menfchheit wahren, wenn
fie nicht in dem Abfoluten verankert find? Jodl bleibt
in einer Halbheit ftecken. Aber es ift immerhin ein erfreuliches
Zeichen für die in Deutfchland fich vorbereitende
Wiedergeburt des Idealismus, daß Jodl in fo ftarker
Weife eine geiltige Kultur auf dem Grunde der Natur
befürwortet.

Königsberg i. Pr. Dorner.

Robinfon, PI. Wheeler, M. A.: The Christian Doctrine of Man.

(X, 365 S.) 8°. Edinburgh, T. & T. Clark 1911. s. 6 —

Vor diefem Buche gab es englifche Monographien
über die chriftlichen Lehren von Gott, von Sünde und
von der Erlöfung, aber keine von entsprechender Bedeutung
und Gelehrfamkeit über die chriftliche Lehre vom
Menfchen. Hierfür hatte man fich an Werke über exe-
getifche, biblifche und fyftematifche Theologie, an Dog-
mengefchichte und an fpezielle Auffätze von naturwiffen-
fchaftlicher oder philofophifcher Art zu halten. Jetzt wird
man nirgends fonft im Englifchen fo viel exegetifches und
hiftorifches Material über diefen Gegenstand in einem einzigen
Band finden, der vom modernen Standpunkt ge-
fchrieben ift. Nach Robinfon find die wefentlichen Grundzüge
der chriftlichen Anthropologie: der Wert des Menfchen
vor Gott als geiltige Perfönlichkeit, die Anerkennung individueller
geistiger Freiheit und Verantwortlichkeit, die
Sünde als Verdammung deffen, was nicht fein foll, die
Zuverficht zu Gott auf Verwirklichung der Möglichkeiten
geistigen Lebens, die perfönliche Entwicklung, befchränkt
durch soziale Verhältniffe. Die beiden ersten Kapitel handeln
insbefondere von der alt- und neuteftamentlichen Lehre
vom Menfchen; das dritte verfolgt die Gefchichte der
patriltifchen und mittelalterlichen Lehre bis zu ihrem Ergebnis
in der tridentinifchen und reformatorifchen Anthropologie
: Lutheraner, Calvinilten und Arminianer;' das
vierte zeigt den naturwiffenfchaftlichen, philofophifchen
und foziologifchen Ertrag der Diskuffion bis hinauf zur

Itifchen Schriftsteller und der heutigen Zeit gewidmet ift,
in der Überzeugung, daß die Pfychologie jedes Zeitalters
die Grundlage für ihre Auffaffung der Perfönlichkeit ift.
In dem altteftamentlichen Teil fällt viel Licht auf die
geiltig-perfönlichen Werte, die mit phyfifchen Ausdrücken
umschrieben find, welche die Organe und Funktionen des
Lebens bezeichnen, ferner auf die Entwicklung der Bedeutung
der Individualität und auf den Begriff Sünde wie
auf die Anfänge der Lehre von dem Geilte Gottes. Die
Anthropologie des fpäteren Judentums ift dargestellt als
Vertiefung des eschatologifchen Ausblicks, Betonung
des Individualismus und Erkenntnis der ethifchen Probleme.
In dem neuteftamentlichen Teil laden verfchiedene Punkte
zur Auseinanderfetzung ein. Der Verfaffer befpricht die
berühmten Stellen Rom. 5, 12 ff. und 7 mit gründlicher
Kenntnis und mit Zurückhaltung. Er neigt der Anficht
zu, daß das Neue Testament als Ganzes die Auferstehung
nur der Guten lehre. Es ift wohl die Frage, ob er dem
Einfluß griechischen Denkens in der paulinifchen und
johanneifchen Anthropologie genügend Gewicht zugesteht,
z. B. in der Erkenntnis, die auf Erlöfung bezogen wird
und in dem paulinifchen Gegenfatz von Fleifch und Geilt.
Seine Darfteilung des Geiftes Gottes im A. T. ift bewundernswert
, aber im N. T. läßt er, was die Stufen und
Formen feiner Entwicklung anbetrifft, zu wünfchen übrig.
In dem Teil über die patriftifche und mittelalterliche
Lehre ift er Harnack, Loofs, Siebeck und andern deutfchen
Gelehrten fehr verpflichtet. Seine Diskuffion über Freiheit
und Verantwortlichkeit ift kraftvoll und einleuchtend,
aber feine Lehre von der Zufälligkeit des Willensaktes,
von der Sünde als für die fittliche Entwicklung nicht unvermeidlich
, von der sittlichen Verantwortlichkeit als einer
neuen Eigenfchaft im Menfchen, die aus freier (zufälliger)
Wahl entsteht, verbunden mit feiner Kritik der Theorie
von der allgemeinen Sündhaftigkeit als einer allgemeinen
Schwäche, den natürlichen Impuls zu verfittlichen, wird
forgfältige Prüfung erheifchen und auch weitere Erwägung
hinsichtlich feiner einfchränkenden Bemerkung,
daß ,gerade die Natur der Freiheit den Dogmatismus
ausschließt' (p. 338). In feiner ganzen Behandlung hat
die theologifche der empirifchen, pfychologifchen Bafis
und Methode Raum gewährt. Das Buch ift charakterisiert
durch eine feinem Gegenstand gewachfene Gelehrfamkeit
, klaren und zwingenden Stil, Unparteilichkeit in
der Behandlung von Kontroverfen. Das Intereffe bleibt
gefpannt bis zum Ende und das Werk, wenn auch nicht
abfchließend, ift vielleicht das Hochwafferftandszeichen
des heutigen Denkens über die chriftliche Lehre vom
Menfchen.

New York. Beckwith.

Reu, Prof. D. Johann Michael: Quellen zur Gefchichte des
kirchlichen Unterrichts in der evangelischen Kirche Deutschlands
zwifchen 1530 u. 1600. Eingeleitet, hrsg. u. zu-
fammenfaffend dargestellt. 1. Teil: Quellen zur Gefchichte
des Katechismus-Unterrichts. 2. Bd. Mittel-
deutfche Katechismen. 2. Abteiig.: Texte. (VI, 1126 S.)
gr. 8°. Gütersloh, C. Bertelsmann 1911.

M. 20 — ; geb. M. 22 —

Es ift überaus erfreulich, daß nach fünfjähriger Paufe
feit dem Erfcheinen des 2. Bandes nunmehr ein 3. Band
der Reu'fchen Quellenfammlung aus dem Gebiete der
katechetifchen Literatur in der Zeit von 1530 —1600 er-
fchienen ift, weil dadurch die Hoffnung auf einen geficherten
Abfchluß des verdienstvollen Unternehmens eine Stärkung
Mitte des vorigen Jahrhunderts; im Schlußkapitel wird j erfährt. Zu beklagen ift dagegen, daß der vorliegende
das zeitgenöffifche Denken mit Bezug auf menfchliche j Band, welcher die Katechismen Mitteldeutfchlands (Sachfen,
Perfönlichkeit, Freiheit, Sünde und Erlöfung und den I Thüringen, Schlefien, rieften) im Neudruck bietet, vor
Menfchen in der Gemeinfchaft unterfucht. Ein hervor- I dem Erfcheinen der entsprechenden hiftorifch-bibliogra-