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Ausgabe:

1912 Nr. 7

Spalte:

208-209

Autor/Hrsg.:

Marti, Marta

Titel/Untertitel:

‚Gottes Zukunft‘ von Heinrich v. Neustadt. Quellenforschungen 1912

Rezensent:

Clemen, Otto

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207

Theologifche Literaturzeitung 1912 Nr. 7.

208

Jahrhundert angehören. Was aber das Wichtigfte ift:
A und M, fo heißen die beiden Marciani, flehen zu
einander nicht in dem Verhältnis der Abhängigkeit.
Das vorhandene Handfchriftenmaterial bietet daher eine
genügende Grundlage für eine kritifche Ausgabe.

Von den bisherigen Ausgaben haben nur die ältefte
und die jüngfte felbftändigen Wert. Die erfte flammt
von David Hoefchel aus dem Jahre 1601. Ihm hat der
Grieche Margunios geholfen. Hoefchel hat4Handfchriften
benutzt, die fowohl der A- wie der M-Überlieferung
folgten. Er hat aber der überlegenen A-Überlieferung
zu wenig Wert beigelegt. Immanuel Becker war der
Veranftalter der letzten Ausgabe, die in Berlin 1824/25
erfchien. Hier ift zum erften Male Cod. A benutzt.
Das ift der befondere Wert der Ausgabe. Aber M ift
dagegen nicht in feiner Urgeftalt, fondern in fpäter und
entftellter Form herangezogen. Was zwifchen Hoefchel
und Becker an Ausgaben liegt, kann felbftändigen Wert
nicht beanfpruchen. Die Uberfetzungen zu nennen, verbietet
der Raum. Sie folgen übrigens dem gedruckten
Texte. Eine abfchließende Ausgabe ift erft zu erwarten,
wenn die A- und die M-Überlieferung in ihrer Urform
kritifch verwertet ift.

Bibliographifch fei endlich bemerkt, daß für die
Kenntnis der gelehrten Griechen vom 15.—19. Jahrhundert
die NeosXXrjvcxr} <PiZoAoyia von K. N. 2ad-aq, Athen
1868 auch neben Legrands Werken ihren Wert behält.
Die Theologen des 16. Jahrhunderts, fo auch den Margunios
, hat der Referent behandelt in feiner ,Theologifchen
Literatur der griechifchen Kirche im 16. Jahrhundert',
Leipzig 1899.

Hannover. Ph. Meyer.

Balthalar, Prieft. Dr. P. Karl: Gelchichte des Armutsltreites
im Franziskanerorden bis zum Konzil von Vienne. (Vor-
reformationsgefchichtliche Forfchungen. VI.) (IX, 284
S.) gr. 8°. Münfter i. W., Afchendorff 1911. M. 7.50
Es muß einem Franziskaner gewiß fchwer werden,

die Gefchichte des auch für die Kirchengefchichte und j fprechen mindeftens nicht fo fohwach, wie die, die für das Gegenteil an

doch durchaus fachlich gehalten, fo daß man ein klares
Bild und ein eigenes Urteil gewinnen kann.

Nicht einverftanden kann ich mich erklären mit dem
Abfchnitt ,Bruders Elias und die Gefährten der Heiligen'
S. 102 ff., wenigftens für die Zeit 1226—1239. Namentlich
hätte die Bedeutung der Bulle ,Quo elongati' m. E. fchärfer
hervorgehoben werden follen. Denn durch diefe Bulle
hat Gregor IX ausdrücklich als Freund, der die Ablichten
des Franziskus wohl gekannt habe, eine Entfcheidung
gegeben, die ganz zweifellos der Meinung des Verftor-
benen widerfprach, und durch diefe päpftliche Entfcheidung
hauptfächlich wurde der Orden in die verhängnisvolle
Bahn eingeführt, von den klaren Intentionen des
Heiliggefprochenen abzuweichen und gleichzeitig zu behaupten
, man halte das vom Stifter gewollte Ideal feft;
durch diefe päpftliche ,Erklärung' wurde von Anfang an
der Streit fo bitter, weil die konfervative Partei, die fich
bewußt war, den klaren Willen des Ordensftifters für fich
zu haben, immer des Ungehorfams gegen die Kurie be-
fchuldigt werden konnte, wenn fie ihr Recht verteidigen
wollte.

Auch die DarftelluDg der Gefchichte in diefem Zeitabschnitt kann
ich nicht für richtig halten. Es hangt ja freilich hier alles daran, wie
man fich zu dem Bericht Eccleston's (teilt; aber obgleich allmählich immer
mehr Forfcher diefem Bericht folgen, kann ich meine Bedenken, wie ich
fie in Fiere Ehe de Cortone S. 96m und Ztfohr. f. K. Geich. XIII, i6ff.
vorgeführt habe, nicht für widerlegt halten. Die Darftellung Ecclestons
und dem zufolge auch die B.'s enthält offenbare pfychologifche Unmöglichkeiten
. Es ift doch kaum eine Frage, daß der Papft in der Bulle
Quo elongati nicht fo hätte entfcheiden können, wie er entfchieden hat,
wenn er nicht eine große Partei, ja wohl die Majorität des Ordens und
auch der Abgefandten, die ja längere Zeit an der Kurie weilten, auf der
Seite des Elias von Cortona gewußt hätte. Wie fehr er den Elias be-
günftigte, zeigt befonders auch das Schreiben an die Stadt Affifi, die
fcharf wegen des voreiligen Begräbniffes des Heiligen gerügt wird, ohne
daß der Name des Hauptfchuldigen überhaupt genannt wird. Wenn aber
Elias fo persona grata bei der Kurie war, wenn feine Anflehten durchaus
den Sieg errangen, dann können fich die Dinge vorher nicht fo ab-
gefpielt haben, wie Thomas von Eccleston und B. berichten. Insbefon-
dere foheint mir auch Haymo's Verwendung in den nächften Jahren wie
auch fein Generalat entfchieden dafür zu fprechen, daß er grundfätzlich
und damals wohl auch perfönlich auf Seiten des Elias ftand, und ebenfo
find die Gründe, welche für eine gleiche Stellung des Antonius von Padua

Weltgefchichte wichtigen Armutftreites im Franziskanerorden
zu ftudieren und darzuflellen. Denn wahrlich wenn
man auch gänzlich unbeteiligt ift, wenn man nur einige
Sympathie für Franz v. Affifi hat, fo fühlt man fich aufs
peinlichfte berührt von der verblüffenden Rafchheit, von
der erftaunlichen Skrupellofigkeit, mit welcher das, was
der Heilige wollte, über den Haufen geworfen wurde. Gewiß
die Entwicklung ging hervor aus dem unvermeid- j Marti, Marta; 'Gottes Zukunft' von Heinrich v. Neuftadt.

geführt werden können, denn von allen Quellen, die von einer anderen
Stellung reden, kommt aus inneren und äußeren Gründen wiederum nur
Thomas v. Eccleston überhaupt in Betracht.

Doch das find fchließlich Einzelheiten, die man fo
oder fo anfehen kann. Das Buch im ganzen muß ich als
eine recht tüchtige und wertvolle Arbeit rühmen.

Stuttgart. Lempp.

liehen Konflikt zwifchen Ideal und Wirklichkeit. ,Der
Armutftreit ift der Kampf zwifchen der konfervativen
Partei, die mit dem Stifter unter allen Umftänden an der
wörtlichen Befolgung der evangelifchen Armutsvorfchriften

Quellenforfchungen. (Sprache u. Dichtg. Forfchungen
z. Linguiftik u. Literaturwiff. Heft 7.) (124 S.) gr. 8°.
Tübingen, J. C. B. Mohr 1911. M. 4 —

fefthalten will, und der aus der Minifterpartei entftandenen Der Wiener Arzt Heinrich von Neuftadt fchrieb fein

Kommunität, die die Armut im Intereffe einer erfprieß- j religiöfes Lehrgedicht ,Gottes Zukunft' wahrfcheinlich um
liehen feelforgerlichen [und kirchenpolitifchen] Tätigkeit! 13CO und einige Jahre nach feinem abenteuerlichen Heldenauf
dem Wege von päpftlichen Privilegien und Erklärungen ; gedieht Apollonius von Tyrland. Beide Gedichte wurden
modifiziert, dabei aber den Anfpruch erhebt, als j 1875 von Jof. Strobl veröffentlicht. Seit 1906 liegt eine
beobachte fie die von Franziskus gewollte Armut' 1 vollftändige Ausgabe der Werke Heinrichs von S. Singer
(S. 27). Das letzte von uns Gefperrte ift gerade das Pein- | vor. Jetzt find faft gleichzeitig die Arbeiten von A. Bockliche
, das was die Reibereien im Franziskanerorden im j hoff und S. Singer: .Heinrichs von Neuftadt Apollonius
Unterfchied etwa von der Entwicklung im Dominikaner- J von Tyrland und feine Quellen. Ein Beitrag zur mittel-
orden fo bitter und fo häßlich machte. Es ift darum J hochdeutfehen und byzantinifchen Literaturgefchichte'
fehr anzuerkennen, daß B. die Tatfachen aus den Quellen ! (Sprache und Dichtung H. 6, 1911) und die oben genannte
unverhüllt darftellt, er enthält fich wohl faft jedes Urteils, Abhandlung von Fräulein Marti erfchienen.
aber er vertufcht nicht und bemüht fich fichtlich die Die Verfafferin macht die fehr richtige Vorbemer

Wahrheit zu fagen. Wenn man z. B. die Schilderung der kung (S. 8), daß die Bedingungen für das wiffenfehaftliche

Tätigkeit Bonaventuras S. 49fr. vergleicht mit der Mono- und dichterifche Produzieren im Mittelalter von denen

graphie von Lemmens fo findet man, wie vorteilhaft fich unferer Zeit ganz verfchieden waren. ,Der mittelalterliche

B. von diefem neueften Biographen abhebt: bei Lemmens Schriftfteller mußte fich viel mehr auf fein Gedächtnis

faft nur Lobfprüche, aus denen man erft keine klare verlaffen. Wir modernen Menfchen, die wir für jede

Anfchauung vom Leben und der Wirkfamkeit Bonaven- Kleinigkeit Enzyklopädien aufzufchlagen gewohnt find, die
turas erhält, bei B. zwar auch ein fichtliches Bemühen, : wir verpflichtet find, die Zitate genau und womöglich aus

Bonaventuras Maßregeln ins befte Licht zu rücken, aber erfter Quelle zu geben, muffen uns zurückdenken in die