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Ausgabe:

1911 Nr. 6

Spalte:

171-173

Autor/Hrsg.:

Felten, Joseph

Titel/Untertitel:

Neutestamentliche Zeitgeschichte oder Judentum und Heidentum zur Zeit Christi und der Apostel. 2 Bde 1911

Rezensent:

Holtzmann, Oskar

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Theologifche Literaturzeitung 1911 Nr. 6.

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über die Niederfchreibung der Mifchna und des Talmuds
und die Reihenfolge der Saburäer. Möchte die von ihm
angekündigte neue Ausgabe wirklich wiffenfchaftlich und
praktifch zugleich werden! Er hält den fog. fpanifchen
Text für den älteren (vgl. meine Einleit. in den Talmud,
4. Aufl., S. 16f.). S. Eppenftein veröffentlicht den Kommentar
des Jofeph Qara zum 1. Buche Samuel. J. C.
fetzt die kulturhiftorifch intereffanten Mitteilungen aus
dem Protokollbuch der portugiefifch-jüdifchen Gemeinde
in Hamburg fort (1655 —1657). A. Ackermann bietet
(S. 1—112) unter Benutzung aller auffindbaren Akten
die Gefchichte des Münzmeifters Lippold, der am 28. Januar
1573 unter der Anklage, den Kurfürften Joachim II.
ermordet zu haben, graufam hingerichtet wurde, ein
.Unkulturbild' (S. 78). Die Unfchuld Ls. an dem ihm
zur Laft gelegten Verbrechen ift erwiefen. Der Verfaffer
erkennt aber an, daß L.s ,Charakter eine Anzahl häßlicher
Züge aufweift'. Ein Auffatz von If. Unna zeigt, daß die
Urteile Eduards von Hartmann über die Religion Ifraels
und über das Judentum auf fehr ungenügender Sachkenntnis
beruhten. Aus der hebräifchen Abteilung feien
noch die Briefe S. J. Halberftams an Abr. Berliner erwähnt
, die zumeift auf die Literaturgefchichte des Judentums
fich beziehen.

Berlin-Großlichterfelde-W. Herrn. L. Strack.

Feiten, Prof. Dr. Jofeph: Neuteltamentliche Zeitgefchichte

oder Judentum und Heidentum zur Zeit Chrifti und der
Apoftel. 2 Bände. Regensburg, Verlagsanftalt vorm.
G. J. Manz 1910. (VIII, 621 u. IV, 580 S.) gr. 8°

M. 22—; geb. M. 26 —

Der namentlich durch feinen Kommentar zur Apoftel-
gefchichte (1892) rühmlich bekannte Verf. legt eine umfangreiche
katholifche Bearbeitung der neuteftamentlichen
Zeitgefchichte vor. Das Werk fchließt fich alfo an an die
Arbeiten von Döllinger (Heidentum und Judentum, Vorhalle
zur Gefch. des Chriftentums, Regensburg 1857) und
Langen (Das Judentum in Paläftina zur Zeit Chrifti,
Freiburg 1866). Der Verf. ift in der proteftantifch-theo-
logifchen Literatur und auch in einer Reihe von philo-
logifchen Arbeitsgebieten wohl orientiert; feine kirchliche
Stellung äußert fich aber darin, daß das katholifche
Dogma und der Bericht der Bibel, mag es fich nun um
den Kindermord in Bethlehem oder die Schätzung des
Quirinius oder den Winteraufenthalt des Paulus in Niko-
polis handeln, von vornherein unantaftbare Wahrheiten
find. Vielleicht wird man die Aufgabe, die fich Feiten
geftellt hat, am richtigften dahin deuten, daß fein Werk
alles das zufammenfaflen foll, was von proteftantifch-theo-
logifcher und von altphilologifcher Arbeit für das katholifche
Verftändnis des N. T. nutzbar gemacht werden
kann. Der katholifche Priefter foll über die Fragen zur
neuteftamentlichen Zeitgefchichte völlig orientiert fein,
aber auch immer die gut katholifche Antwort bereit
halten.

Nur von diefem Gefichtspunkt aus läßt es fich ver-
ftehen, daß der Verf. in feinem erften Band gewagt hat,
was ein Proteftant jetzt wohl fchwerlich wagen dürfte:
Feiten gibt hier (und im zweiten Band Kap. XXII, XXIII)
eine ftreckenweife fehr genaue Parallele zu Schürers
großem Werk. Auch die äußere Einrichtung ift faft die-
felbe: Das gleiche große Format, der bequeme breite
Druck, die Benutzung der Anmerkungen zu Quellenverweifen
und zur Befprechung von Kontroverfen; nur hat
man immer wieder das Gefühl, daß Schürer im Einzelnen
viel mehr gibt und viel tiefer gräbt. Das fchließt nicht
aus, daß Feiten manches beibringt, was Schürer nicht
hat, auch da, wo beide parallel gehen. Feiten geht
aber in feinem Werk über den Rahmen Schürers hinaus
. Dahin gehört das einleitende Kapitel des erften
Bandes, das die Geographie Paläftinas gibt und in dem

wir beiläufig erfahren, daß der Verf. einmal felbft auf der
Höhe über Nazaret geftanden hat, dann Kapitel XIII
(Das häusliche und foziale Leben der Juden) und auch
mancherlei aus Kapitel XIV (Der Sabbat, die Fefte und
andere Vorfchriften und Übungen des religiöfen Lebens);
vor allein aber faft der ganze Inhalt des zweiten Bandes.
Der Unterfchied in der Arbeitsweife Schürers und Feltens
zeigt fich vielleicht am anfchaulichften in den Kapiteln
über die Diafpora, über die Verfaffung der jüdifchen
Städte Paläftinas und über die jüdifche Literatur; überall
gibt Schürer das Material vollftändig, Feiten gibt ein
für die Bedürfniffe feiner Lefer gefertigtes Exzerpt. Dafür
tritt aber fein Werk etwas anfpruchsvoll auf.

Während der erfte Band die politifchen und fozialen
Verhältniffe des jüdifchen Volkes im neuteftamentlichen
Zeitalter behandelt, befpricht der zweite die theologi-
fchen Anfchaungen der Juden und das Heidentum in
neuteftamentlicher Zeit. Die jüdifche Theologie wird
vorgeführt in fechs Kapiteln über den Kanon der heil.
Schrift, über Gott, Logos und Geift Gottes, über die
Engel, die Menfchen, die Hoffnung auf den Meffias und
die Eschatologie. Ref. kann diefe Einteilung nicht
glücklich finden, da das Gefetz, das doch Kern und
Stern alles theologifchen Denkens der damaligen Juden
war, dabei nicht zu der ihm gebührenden Geltung kommt.
Es ift ein Fehler, daß Beten, Faften und Almofengeben,
gefetzliche Reinheit und Gelübde außerhalb diefes Zu-
fammenhangs fchon im erften Band vorgeführt werden;
in ihrer Beurteilung äußert fich die theologifche Ge-
famtanfchauung der Juden in charakteriftifcher Weife.
Andererfeits find die Begriffe Logos und Gottesgeift für
das damalige Judentum nicht von der Bedeutung, welche
fie im Zufammenhang der Feltenfchen Darfteliung erhalten
. Wenn aber in einer neuteft. Zeitgefchichte ,die
Lehre von der hl. Dreifaltigkeit im A. und N. Bunde'
erörtert wird, dann dürfen die unmittelbar zum Nicae-
num führenden Äußerungen Philos nicht ftillfchweigend
übergangen werden, die z. B. Referent in feiner Zeitgefchichte
' 2. Aufl. S. 313 anführt. Das Kapitel über
den Kanon der hl. Schrift bei den Juden im erften chrift-
lichen Jahrhundert behandelt auf Grund von vier Streit-
fätzen die proteftantifch-katholifche Kontroverfe über
die Stellung der Apokryphen im A. T.; dabei kommt
die eigentliche Schwierigkeit, daßjofephus von Jugend auf
einen klar abgefchloffenen Kanon kennt und daß doch
noch fpäter über die Geltung einzelner Schriften geftrit-
ten wird, nicht zu ihrem Recht.

Drei Abfchnitte follen das Heidentum in der neuteftamentlichen
Zeit vorführen, die politifchen Zuftände
des römifchen Reiches, die fozialen und fittlichen Zuftände
und die Religion des römifchen Reiches. Diefen
Abfchnitten fehlt die nötige Begrenzung. Eine neuteft.
Zeitgefchichte kann diefe Dinge doch nur bringen, foweit
fie zur Erklärung des N. T. gehören. Dahin rechnet aber
nicht die Angabe darüber, wie oft Auguftus verheiratet
war, und Ähnliches. Auch die Gefchichte der Provinzen
kommt doch nur foweit in Betracht, als fie das Ur-
chriftentum berührt. Wenn der Verf. von diefer Be-
fchränkung abfieht und dadurch feinem Werke wohl
einen ftrenger wiffenfchaftlichen Charakter zu geben
hofft, fo kann ihm doch nicht verborgen fein, daß er
hier ganz und gar von philologifcher Vorarbeit abhängt.
Eine gründliche Orientierung der katholifchen Theologen
auf diefem Gebiet ift ja nur wünfchenswert. Wenn aber
einmal das Verkehrswefen der Alten in einem eigenen
Kapitel zur Sprache kommt, fo fieht man nicht ein, warum
nicht in diefem Buch eine gründliche Exemplifikation
antiker Schiffahrt nach Act. 27. 28 gegeben wird, fondern
der Verf. auch hier nur auf andere Bücher verweift
. Für die Aufgabe der neuteft. Zeitgefchichte ift
das zweifellos wichtiger als die Einzelheiten über die
Spiele der Alten, die das vorangehende Kapitel gibt.
Der dankenswerte Abfchnitt über die Religion im römi-